Am 21. Mai 1911 begann die Radsport-Ettapenrundfahrt „Quer durch Deutschland”, die als Vorläuferin der Deutschland Tour gilt
Bis heute ist Deutschland Tour das wichtigste deutsche Ettappenrennen im Straßenradsport.
Am 21. Mai 1911 startete am westlichen Stadtrand von Breslau, heute Wrocław, die erste Etappe der ersten Deutschland Tour, ausgetragen unter dem Namen Erste, große internationale Radfernfahrt „Quer durch Deutschland”. Das Ziel war am 27. Mai die Stadt Aachen, die Gesamtstrecke betrug fast 1500 km. Der Name Quer durch Deutschland war gerechtfertigt, denn es handelte sich nicht um ein Rennen rund um das Land, sondern “vom östlichen Ende bis zum westlichen Ende Deutschlands”, als die Presse die Idee der Veranstaltung vorstellte. In späteren Zeiten wurde das Rennen unter verschiedenen Namen veranstaltet, unter anderem Großer Preis von Deutschland, Deutschland Rundfahrt und jetzt als Deutschland Tour.
Die Staubkönige
Im Gegensatz zu heutigen wichtigen Radrennen war der Start kein Medienereignis. Es fand im fahlen Morgengrauen, am 21. Mai, um 5.30 Uhr, an der Gaststätte “Zum Letzten Heller”, damals am westlichen Stadtrand von Breslau, statt. Heute existiert das Gebäude nicht mehr, aber die Straße, die sich an dieser Stelle befindet, heißt immer noch Zum Letzten Heller (ul. Na Ostatnim Groszu).
Trotz der frühen Stunde fanden sich ein paar hundert Fans vor Ort ein. Die Strecke wurde von 56 Rennfahrern in Angriff genommen. Die erste Etappe führte nach Dresden, die Teilnehmer hatten 256 Kilometer zu bewältigen. Die frühe Startzeit war der Sorge geschuldet, dass die Rennfahrer vor Einbruch der Dunkelheit das Ziel erreichen mussten. Die Qualität der damaligen Ausrüstung und vor allem der Zustand der Straßen ließ zu wünschen übrig. Und mit den eventuellen technischen Problemen mussten die Fahrer selbst fertig werden. Vielleicht waren es nicht mehr die Zeiten der Radpioniere, aber der Sport war immer noch eine heroische Herausforderung. Die Reporter beschrieben diese Radfahrer malerisch als “Staubkönige”.
Der Sieger der ersten Etappe war der Danziger Hans Ludwig, einer der besten Radfahrer Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg. Derselbe Fahrer gewann auch das gesamte Rennen und lieferte sich dabei einen harten Wettkampf mit einem anderen Radsportstar der damaligen Zeit – dem Berliner Adolf Huschke.
Keine Grand Tour, aber wichtig
Quer durch Deutschland sollte das Äquivalent zur Tour de France sein, erreichte aber nie den Rang einer Grand Tour, obwohl z. B. der Giro d’Italia (Italienrundfahrt) erst zwei Jahre früher und die Vuelta a España (Spanienrundfahrt) erst in den 1930er Jahren begann. 1922 wurde erst die zweite Auflage organisiert, und auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde das Rennen unregelmäßig und in unterschiedlichen Formeln ausgetragen. Dennoch wird die Deutschland Tour nach wie vor veranstaltet und gilt als das wichtigste Etappen-Radrennen in Deutschland.
Radsport-Hochburg an der Oder
Die Deutschland Tour besuchte Breslau noch vier weitere Male, in den Jahren 1927, 1931, 1937 und 1939. Der Radsport war hier in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Sportart Nummer eins. Zwar hatten die Breslauer Bahnradfahrer bedeutende sportliche Erfolge und waren beliebter als Straßenradfahrer, aber um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurden in Breslau mehr als 20 Radsportvereine gegründet, die sich auf den Straßenradsport konzentrierten. Einige von ihnen hatten sehr originelle Namen wie Wanderlust, Staubwolke, Zugvogel, Hechtsprung, Wanderfalke oder Schnecke. Sie hatten nicht nur erholsame, sondern auch sportliche Zwecke. Vor 1914 wurden, meist auf den Straßen südlich oder westlich von Breslau, viele Rennen veranstaltet. Und besonders beliebt bei Radfahrern waren die Straßen rund um den Zobtenberg. Nach über 100 Jahren ist das immer noch der Fall.
Text: Sławomir Szymański