Sowjetischer Dolchstoß

Erstes Opfer des Hitler-Stalin-Paktes

Am 17. September 1939 wurde Polen von der Sowjetunion angegriffen – der Überfall beeinflusste auch das Schicksal von Tausenden Oberschlesiern aus dem Osten der Region.

Um drei Uhr morgens des 17. Kriegstages überschritten die Verbände der Roten Armee die Grenze zu Polen. Damit erfüllte die Sowjetunion ihre Verpflichtungen aus dem Hitler-Stalin-Pakt und schloss sich dem Krieg auf deutscher Seite an. Die sowjetischen Truppen stießen in den östlichen Wojewodschaften Polens meistens nur auf einen schwachen Widerstand des überraschten polnischen Grenzschutzes und der wenigen regulären Armeeeinheiten. Der Großteil der polnischen Kräfte kämpfte zum damaligen Zeitpunkt in den zentralen Regionen des Landes gegen die deutsche Wehrmacht. Zu schwereren polnisch-sowjetischen Kämpfen kam es in Grodno (heute Hrodna, Weißrussland), Wilna/Vilnius, bei Szack in Wolhynien sowie bei Lemberg/Lwiw und im Lubliner Land. Angesichts der sowjetischen Aggression flohen die polnische Regierung, der Staatspräsident, der Oberbefehlshaber, der Primas und Teile der Verwaltung ins benachbarte Rumänien, wo sie interniert wurden.

Sowjetische Soldaten in Ostpolen. Quelle: http://karski.muzhp.pl/wojna_17_wrzesnia.html, Wikimedia Commons.

In den Ostgebieten Polens löste der Angriff der Roten Armee teils spontane, teil von Moskaus Agenten inspirierte lokale Rebellionen aus, an denen vor allem Angehörige nationaler Minderheiten beteiligt waren: Juden, Weißrussen und Ukrainer. Zudem griffen kommunistische Milizen kleinere Truppen der polnischen Armee an, um die häufig ohnehin schwache Verteidigung zu desorganisieren. Nach der Besetzung Ostpolens unterstützten ferner die ortskundigen kommunistischen Kollaborateure den sowjetischen Geheimdienst bei der Identifizierung polnischer Beamten-, Lehrer- und Offiziersfamilien, die dann in mehreren Transporten nach Sibirien und Kasachstan deportiert wurden.

Als der Widerstand der Polen größtenteils gebrochen worden war, fanden in dem von zwei Feinden besetzten Polen mehrere deutsch-sowjetische Siegesparaden statt, die größte von ihnen am 22. September in Brest-Litowsk/Brest. Die neue deutsch-sowjetische Interessengrenze teilte den polnischen Staat entlang der Flüsse San, Bug, Pisa und Narew. Bis zum Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 arbeiteten das „Dritte Reich“ und die Sowjetunion in vielen Bereichen eng zusammen, unter anderem bei der Bekämpfung der polnischen Untergrundbewegung.

Den Einmarsch der Roten Armee erlebten in den östlichen Wojewodschaften auch Tausende Einwohner Polnisch-Oberschlesiens. Unter ihnen waren vor allem vor Kriegshandlungen geflüchtete Zivilisten, Soldaten und Offiziere der polnischen Armee, evakuierte Beamte und Polizisten. Während die meisten Soldaten und Zivile aus unteren Bevölkerungsschichten spätestens Mitte 1940 im Rahmen der deutsch-sowjetischen Flüchtlingsaustausches nach Hause zurückkommen durften, wurden die Vertreter der Eliten und ihre Familien – hierzu zählten nach sowjetischer Auffassung höhere Beamte, Lehrer Offiziere und Polizisten – als „umerziehungsunfähig“ eingestuft und ermordet. Im NKWD-Sitz in Twer wurden 1.231 Polizisten der autonomen Wojewodschaft Schlesien erschossen (mehr dazu: https://www.silesia-news.de/2020/10/30/oberschlesier-als-opfer-stalins/). Auch auf den Listen der Opfer der Massenerschießungen in Katyn und anderen Orten fehlt es nicht an oberschlesischen Familiennamen.

Begegnung deutscher und sowjetischer Offiziere in der Endphase des Polenfeldzugs. Quelle: Agentur TASS, Wikimedia Commons.

Ihren Überfall auf Polen stellte die Sowjetunion als „Schutz der Brudervölker der westlichen Ukraine und westlichen Weißrusslands“ dar. So rechtfertige man bis 1989 auch in Polen offiziell die deutsch-sowjetische Allianz, die die sogenannte vierte Teilung des Landes zu Folge hatte.

Text: Dawid Smolorz