Das verfluchte, braune Gold

Eine Tagung in Zgorzelec beleuchtet Transformationspotenziale der Kulturlandschaft in der polnischen Lausitz

Ist Kultur im Stande, die Lausitz beim Kohleausstieg zu retten?

Hat die Kultur, einschließlich der materiellen Kultur, eine Chance, die Lausitz zu retten? Können Arbeitsplätze in der Energiewirtschaft durch Arbeitsplätze im Tourismus ersetzt werden? Ist es möglich, die Wirtschaft auf der Grundlage des kulturellen Erbes ohne demographische und zivilisatorische Verluste wieder aufzubauen? Das waren die Fragen, auf die zahlreiche Teilnehmer der Konferenz „Lausitzer Kulturlandschaft als Ressource für den Wandel in der Region Zgorzelec” Antworten gesucht haben. Sie fand am 11. Januar 2022 in Zagroda Kolodzieja (Stellmacherhaus) statt, einem bekannten Restaurant in Zgorzelec, aber auch dem Sitz des gleichnamigen Vereins Dom Kołodzieja, der einen großen Beitrag zur Rettung der typischen Architektur im polnisch-deutsch-tschechischen Grenzgebiet, der Umgebindehäuser, leistet.

Die Teilnahme an der Konferenz war auch online ermöglicht.

Ein interessantes Programm und hochkarätige Gäste versprachen ein interessantes Treffen. Um möglichst viele Teilnehmer zu erreichen, haben die Organisatoren dafür gesorgt, dass neben der Präsenz vor Ort auch virtuelle Teilnahme via ZOOM und Facebook möglich war.

Das Treffen in Zgorzelec diente der Auseinandersetzung mit dem Problem, das sich seit vielen Jahren anbahnt und in der letzten Zeit immer brisanter wurde: Wie lange wird die Region um Zgorzelec noch von der Kohle leben können?

Geschichtlicher Rückblick

Zwei Jahrhunderte sind vergangen, seit man angefangen hat, in der Ober- und Niederlausitz Braunkohle industriell abzubauen. Zunächst zur Deckung eines bescheidenen Bedarfs: für die Heizung und den Garten zur Düngung des Bodens. Mit der Zeit wurde es als Treibstoff für Dampfmaschinen in der damals florierenden Weberei in der Oberlausitz verwendet, später schließlich in immer größeren und leistungsfähigeren Kraftwerken, vor allem in der DDR.

Am Ende des 20. Jahrhunderts ging die Nachfrage nach elektrischer Energie stark zurück. Die stromintensive Textil-, Automobil-, Chemie- und viele andere Industrien, die in den sozialistischen Staaten ohne Rücksicht auf ökonomisches Kalkül aufrechterhalten worden waren, konnten der Rationalisierung der Transformation und der Flut konkurrenzfähiger asiatischer Importe nicht standhalten. Auf der deutschen Seite der Ober- und Niederlausitz vollzog sich bald ein weiterer zivilisatorischer Wandel. Ein dynamisch wachsendes ökologisches Bewusstsein hat die meisten Kraftwerke, die “schmutzige Energie” produzieren, hinweggefegt.

Reichenau, heute Bogatynia, war in den 1930er Jahren ein großer, industrieller und zugleich schöner Ort (Quelle: SLUB / Deutsche Fotothek).

Das einzige große Kraftwerk in der polnischen Lausitz – Turów in Bogatynia – wurde in den 1990er Jahren mit einem enormen Kostenaufwand von einer Milliarde Dollar modernisiert, um bis zur Erschöpfung der für die 2030er Jahre geplanten Lagerstätte in Bogatynia zu dienen. Damit begann sich der alte industrielle Charakter des durch die Staatsgrenze geteilten Landes zu verändern. Auf deutscher Seite wurde es nach der Wiedervereinigung entvölkert; auf polnischer Seite, wo es keine großen Textil- und Verarbeitungsbetriebe mehr gab, verfiel es ebenfalls allmählich. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde der südliche Teil der polnischen Oberlausitz – der Landkreis Zgorzelec – zu  einer fast industriellen Monokultur auf der Basis von Braunkohle, die vom modernen Europa immer weniger toleriert wird. Es wurde als nicht zukunftsorientiert bezeichnet und verpönt, dabei sollte es Beschäftigung für mindestens eine weitere Generation sichern. Trotz relativ hoher Löhne in Turów, beschleunigte die Wende die Abwanderung junger Menschen aus den Gemeinden Bogatynia und Zgorzelec und indirekt auch aus den Nachbargemeinden. Ein Anstieg der Kriminalität und das Wachstum des Schmuggels und der Drogenindustrie vervollständigten die schlechte Situation an der südwestlichen Grenze Polens.

Ein Teil des Ortes, Nieder-Reichenau, ist in tiefem Loch des Tagebaus verschwunden.

Paradigmenwechsel im Denken über die Energie

Aus diesem Grund haben Regionalisten und sozial engagierte Kommunalpolitiker und auch Wissenschaftler schon vor 20 Jahren begonnen, auf dieses wachsende Problem aufmerksam zu machen. Aus den Erfahrungen mit dem Kohleausstieg und der Transformation der Kohle-Region um Wałbrzych (Waldenburg) und im oberschlesischen Industriegebiet schienen die polnischen Politikern nichts gelernt zu haben. Es herrscht das naive Denken, dass es genügt, das Loch mit Geld zu stopfen, um das sich die kommenden Generationen in 30 Jahren kümmern werden. Die Realität überrascht jedoch immer diejenigen, die darauf nicht vorbereitet sind. Die polnischen Politiker wurden vom Klimawandel und dem daraus resultierenden Paradigmenwechsel im Denken der Europäischen Union über die Energie überrascht.

Heutzutage werden in Polen die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Stimmen, die die Notwendigkeit eines Ausstiegs aus der Kohle, insbesondere der Braunkohle, postulieren, immer lauter und fordern, dass der wirtschaftliche Wandel endlich beginnt.

In solchen Mikroregionen wie Bogatynia-Zgorzelec haben es diejenigen, die diese umweltfreundlichen Ansichten vertreten, nicht leicht. Die im Energiekonzern beschäftigte Bevölkerung hat ein großes Interesse daran, dass der Konzern so lange wie möglich in Betrieb bleibt. Jedes Postulat, auch wenn es sich auf die Zukunft bezieht, um das Braunkohlekraftwerk abzuschalten, wird hier als Angriff betrachtet. Aktivisten der NGOs, der Nichtregierungsorganisationen, insbesondere auf lokaler Ebene, die einen Diskurs über die Energiewende einleiten, werden automatisch zu Feinden der lokalen Gemeinschaft. Im Zeitalter der sozialen Medien ist dies sehr leicht zu erkennen, und man braucht keine tief greifenden soziologischen Untersuchungen, um das Phänomen zu bemerken.

Umso wertvoller sind mutige Initiativen, die eine Plattform für Diskussionen schaffen. Die von EKO-UNIA und Partnern aus Wrocław organisierte Konferenz war eine weitere Gelegenheit – nach der letztjährigen Konferenz in Leśna (Marklissa) und der Konferenz in Szklarska Porębka (Schreiberhau) vor anderthalb Jahren – um zu erörtern, welche Probleme, aber auch Chancen und Herausforderungen dem gesamten polnisch-tschechisch-deutschen Grenzgebiet im zweiten Viertel des Jahrhunderts bevorstehen.

Referenten und Inhalte der Tagung

Die Gäste präsentierten eine breite Palette von Themen.

Marek Sztark, der Vorsitzende des Sozialrates für Kultur in Niederschlesien (Społeczna Rada Kultury Dolnego Śląska), stellte rund ein Dutzend Menschen vor, die sich für die Rettung von Denkmälern einsetzen.

Gordian Meyer-Plath, Vertreter des sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, stellte Beispiele für die erfolgreiche Umnutzung von Bergbaufolgebauten und Industriestandorten für Kultur- und Freizeitzwecke in der Lausitz und um Leipzig vor. Da gerade in Deutschland die Braunkohleförderung im industriellen Maßstab begann, wundert es nicht,  dass sie eben hier (und vor allem in Sachsen) als erste stillgelegt, rekultiviert und in andere, meist Erholungs- und Freizeitfunktionen umgewandelt wurden. Der Findlingspark in Nochten bei Boxberg oder der Berzdorfersee südlich von Görlitz sind hervorragende Beispiele mit Vorbildfunktion.

Die Vertreterinnen der Wissenschaft aus der Schlesischen Technischen Universität, Prof. Magdalena Żmudzińska-Nowak und Dr. Elżbieta Rdzawska, berichteten über ein Forschungs- und Konzeptionsprojekt in Wigancice Żytawskie (Weigsdorf), einem Dorf, das durch das nahe gelegene Bergwerk Turów geschädigt wurde. Der größtenteils mit Fachwerkhäusern bebaute Ort wurde in den 1980er und 90er fast vollständig zerstört. Teils unter dem Abraum des Bergwerks begraben, teils wegen unwürdiger Lebensbedingungen, wurde Wigancice vor 30 Jahren endgültig aufgegeben. Die starke Gemeinschaft dieses ehemals großen Dorfes, das sich in der Gegend einen neuen Wohnort gefunden hat, hält eine sentimentale Bindung an ihre alte Heimat aufrecht und bemüht sich seit einigen Jahren unter der Leitung von Elżbieta Lech-Gothardt vom Verein Dom Kołodzieja um die Wiederherstellung des Dorfes. Unter der Leitung der beiden Wissenschaftlerinnen haben die Studenten das Gebiet seit 2018 erkundet und später an der Universität äußerst interessante, moderne und funktionale Vorschläge für den Wiederaufbau des Dorfes entwickelt, die die Tradition respektieren und gleichzeitig die Bedürfnisse der Bewohner des 21. Jahrhunderts berücksichtigen. Sollte der Wiederaufbau von Wigancice realisiert werden, liegen bereits fertige Konzepte auf dem Tisch, die es zu nutzen gilt.

Im zweiten Teil des Treffens waren Dr. Kamila Kamińska und Dr. Krystyna Dziubacka von der Universität Wrocław, Elżbieta Lech-Gotthardt, Gordian Meyer-Plath und Dr. Maciej Zathey vom Institut für Territoriale Entwicklung in Wrocław eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen. Die Diskussionsteilnehmer wiesen vor allem auf die Chancen und Gefahren bei der Umgestaltung des polnischen Teils der Lausitzer Region hin. Sie betonten die Notwendigkeit des Dialogs (K. Kamińska), sprachen von der negativen demografischen Bilanz und einer wackeligen lokalen Identität (M. Zathey), einer negativen Einstellung zum kulturellen Erbe (K. Dziubacka) und dem sehr schlechten Zustand der historischen Denkmäler in der Gemeinde Bogatynia (Reichenau), von denen es über 1400 gibt (E. Lech-Gotthardt).

Immer wieder werden die mangelnde Identifikation der Bevölkerung mit ihrem Lebensort, der fehlende Respekt vor der alten, deutschen Architektur und das geringe Wissen über die kleine Heimat beklagt. Die Schlussfolgerungen waren im Allgemeinen wenig positiv.

Umso mehr, wie Radosław Gawlik (Vorstandsvorsitzender von EKO-UNIA), der die Konferenz leitete, bemerkte, sollen die lokalen Politiker die Verantwortung für ihre Region übernehmen und nicht den Kopf in den Sand stecken.

Diese interessante Tagung wurde von der Ökologischen Vereinigung EKO-UNIA in Zusammenarbeit mit dem Verein Dom Kołodzieja (Stellmacherhaus), der Stiftung Kuźnia (Schmiede) und der Vereinigung Na Trójstyku (Im Dreiländereck) organisiert. Schirmherren waren der Rektor der Universität Wrocław, das Institut für Territorialentwicklung und die Zeitschrift “Góry Izerskie (Isergebirge)”.

Text und Fotos: Arkadiusz Lipin
Redaktion und Übersetzung: Agnieszka Bormann