Deutsche und polnische Geschichtsausstellungen 1900-2010
Das prämierte Werk aus der Reihe „Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte“ ist nun auch in Polen erschienen.
Das prämierte Werk „Breslau museal“ von Dr. Vasco Kretschmann aus der Reihe „Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte“ ist nun auch in Polen erschienen.
Die deutsche Fassung wurde 2018 mit dem Forschungspreis des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumswissenschaften und 2019 mit dem Deutsch-Polnischen Rotary-Preis Wratislavia ausgezeichnet. Die polnische Fassung wird von HAUS SCHLESIEN und dem Städtischen Museum Breslau (Muzeum Miejskie Wrocławia) herausgegeben und im Via Nova Verlag Wrocław publiziert. Das Buch bietet einen Einblick in die wechselhafte Geschichte der Odermetropole aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Die Annäherung erfolgt über die in den deutschen und polnischen Ausstellungen zur Stadtgeschichte verkörperte Erinnerungskultur. Was sagen uns die Exponate, ihre Auswahl und ihre Kontextualisierung in musealen Ausstellungen zum Verhältnis der Bewohner zu ihrer Stadt und ihrer Identität?

Kretschmann nähert sich dem Gegenstand über drei thematische Schwerpunkte: Stadtansichten, Judaica und Militaria. Im Themenkomplex der Stadtansichten analysiert er die Museumsabteilung „Alt-Breslau“ des Schlesischen Museums für Kunstgewerbe und Altertümer von 1908. Dabei zeigt er auf, dass diese vor allem dem Breslauer Bürgertum dazu diente, sich vor dem Hintergrund des beständigen Wandels der damaligen Verhältnisse in eine historische Imagination, die heile, vorindustrielle Welt, zurückzubegeben. Bei Erscheinen der Ausstellung 1908 war der Beginn der Industrialisierung und Verstädterung im deutschen Raum etwa so lange her wie aus heutiger Perspektive die Zeit des Wirtschaftswunders. Faktisch befand sich Deutschland noch in der Phase der Hochindustrialisierung. So wurde „Alt-Breslau“ zu einem Sehnsuchtsort der Großstadtgesellschaft.
Das analytische Gegenstück ist die 1992 im Stadtarsenal (Arsenał Miejski) erschienene Fotoausstellung „Unbekanntes Stadtportrait“. Das Stadtarsenal ist eine der Abteilungen des Historischen Museums in Breslau (Muzeum Historyczne we Wrocłąwiu). Bis 1989 wurde in Polen faktisch nicht über die deutsche kulturelle Prägung der Stadt gesprochen. Mit der nostalgischen Darstellung der preußisch-deutschen Epoche der Stadt schlug man nun einen völlig neuen Weg ein: sie erschien hier in Polen erstmals in einem positiven Licht. Fotografien aus der Zeit zwischen 1900 und 1930 dienten den neuen Bewohnern als Fenster in ein vergangenes Breslau, das wie in der Alt-Breslau-Ausstellung zum Sehnsuchtsort der Gegenwartsbewohner wurde. Der Kurator der Ausstellung Maciej Łagiewski wollte mit der Ausstellung die Besucher zu einer „Zeitreise“ einladen.
Im Themenkomplex der Judaica-Ausstellungen zeigt Kretschmann die Inklusivität und Exklusivität nationaler Identitäten anhand des Umganges mit der jüdischen Bevölkerung auf. Die erste von ihm analysierte Ausstellung wurde 1929 im Schlesischen Museum für Kunstgewerbe und Altertümer präsentiert und erzählt die Geschichte der Breslauer Juden bis 1850, also bis zur Judenemanzipation in Preußen. Diese Ausstellung sollte verdeutlichen, dass die jüdische Gemeinde schon immer Teil der Stadt war und wurde als integraler Bestandteil der schlesischen Landesgeschichte präsentiert. Damit wurde die jüdische Geschichte auch in die preußisch-deutsche Meistererzählung eingeordnet. Durch diese breite Kontextualisierung war sie damals auch interessant für Nichtjuden. Die Eroberung Schlesiens durch Preußen wird als Wendepunkt interpretiert, nach dem ein reformatorischer Prozess begann, der schließlich in der Judenemanzipation gipfelte. Damit markierte der Endpunkt der Ausstellung das Ende der Diskriminierungen der jüdischen Mitbürger und ein neues Verhältnis der jüdischen Bevölkerung zu Preußen: aus ihnen wurden vollwertige Staatsbürger.
Die zweite Ausstellung in diesem Themenkomplex bildet die 1989 gezeigte Ausstellung „Breslauer Juden 1850-1945“ des Breslauer Architekturmuseums, die Kretschmann als „kleine geschichtskulturelle Revolution“ bezeichnet. Das war sie in zweifacher Hinsicht: Das Thema war über die Jahre komplett in Vergessenheit geraten, da sich in der Volksrepublik Polen niemand damit beschäftigt hatte. Es wurde unter der deutschen Geschichte der Stadt subsumiert, über die in Polen nach der Übernahme der Stadt 1945 geschwiegen werden musste. Damit bildete diese Ausstellung auch eine erinnerungspolitische Wende, mit der die deutsche Geschichte der Stadt langsam in den Fokus der polnischen Öffentlichkeit zu rücken und die Mehrheitsgesellschaft sich ihrer Diversität bewusst zu werden begann. Auch diese Ausstellung geht auf Maciej Łagiewski zurück. 1982 verlor er aufgrund politischer Repressionen wegen seines Engagements bei der Solidarność-Bewegung seine Stelle als Dozent für Kunstgeschichte an der Breslauer Sportakademie (Akademia Wychowania Fizycznego). Der Direktor des Architekturmuseums Prof. Olgierd Czerner war jedoch ebenfalls Teil der Solidarność und stellte Łagiewski in seinem Haus ein: Im Architekturmuseums leitete er ab 1983 die Restaurierung des alten jüdischen Friedhofs in Breslau und präsentierte 1984 erstmals in einer Broschüre die Geschichte des Friedhofs, woraus dann 1989 die Judaica-Ausstellung hervorging.
Im dritten Themenblock verdeutlicht Kretschmann die propagandistische Vereinnahmung von Geschichte: In der ersten Ausstellung „Wehrhaftes Deutschland – Schlesien im Ansturm der Zeiten“ die 1936 anlässlich des 150. Todestages Friedrich des Großen im Schlesischen Museum für Kunstgewerbe und Altertümer gezeigt wurde, wird Breslau als Festung im Grenzland, als Bollwerk gegen das Slawentum dargestellt. In der zweiten Ausstellung „Der Sieg 1945“ aus dem Jahr 1975 – präsentiert im unterirdischen Museum zur Festung Breslau im Gewölbe des Partisanenhügels (Wzgórze Partyzantów, ehemals Liebichshöhe) – wurde der Mythos einer polnisch-sowjetischen Befreiung bedient, die zum offiziellen Geschichtskanon der Volksrepublik Polen gehörte. Später rückten die Erzählungen einer „Befreiung“ durch die Sowjets zunehmend in den Hintergrund, eine Ausstellung im Stadtmuseum aus dem Jahr 1989 trug beispielsweise den Namen „Tragödie einer Stadt – Ein Bild der Zerstörungen Breslaus“.
Bezeichnend ist auch, dass das Warschauer Armeemuseum (Muzeum Wojska Polskiego) noch 1991 die Leihgabe von Schildern der Breslauer Stadtwache an das Historische Museum in Breslau verweigerte, obwohl diese faktisch aus Breslau stammten und 1945 nach Warschau gebracht worden waren. Begründet wurde dies u.a. damit, dass sie an das „traurige Kapitel der Abtrennung Schlesiens von Polen erinnern“ würden. Hier wird das Fortleben des offiziellen politischen Paradigmas der „Wiedergewonnenen Gebiete“ deutlich, das sich erst langsam änderte, wobei die Stadt Breslau dabei in Polen eine Vorreiterrolle einnahm. Wie bei Kretschmann deutlich wird, ist das nicht zuletzt mutigen Wissenschaftlern wie Łagiewski zu verdanken, der Anfang der 1990er zum Direktor des Historischen Museums in Breslau berufen wurde und so federführend an der Ausgestaltung des heutigen Stadtbildes mitwirkte. Abschließend vergleicht Kretschmann seine Ergebnisse mit stadtgeschichtlichen Dauerausstellungen anderer Städte (u.a. Krakau, Danzig, Köln) und stellt fest, dass museale Ausstellungen immer der Stabilisierung von Herrschaft dienen. Im Falle Breslau wurde bis 1945 das Deutschtum betont, zur Zeit der Volksrepublik das Polentum und ab 1989 zunehmend das Bild einer multikulturellen europäischen Stadt entworfen.
„Breslau museal“ zeigt, wie die Breslauer in ihrer jeweiligen Epoche ihre Stadt sehen wollten oder sollten. Es wird deutlich, wie Gegenstände in jeweils unterschiedlichen Kontexten verschiedene Wirkungen entfalten können. Das Buch ist ein Muss für jeden, der sich mit der deutschen und polnischen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik beschäftigt und ist nicht nur für Wissenschaftler interessant.
Text: Florian Paprotny
Breslau museal. Deutsche und polnische Geschichtsausstellungen 1900-2010 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 27), Böhlau: Köln/Weimar/Wien 2017.
Muzealny Wrocław. Polskie i niemieckie wystawy historiczne w latach 1900-2010, Via Nova: Wrocław 2021.