Neues Buch von Olga Tokarczuk feiert Premiere in der Jahrhunderthalle in Wrocław (Breslau)

“Empuzjon” spielt im schlesischen Görbersdorf, dem weltweit ersten Luftkurort

Das Buch ist eine Hommage auf Thomas Manns “Zauberberg”, eine der wichtigsten Bücher für die polnische Autorin.

Am 1. Juni 2022 ist das neue Buch von Olga TokarczukEmpuzjon“ im Verlag Wydawnictwo Literackie erschienen. Es ist der erste Roman der polnischen Literaturnobelpreisträgerin nach acht Jahren, seit ihrem dem Opus Magnum „Jakobsbücher“. Am selben Tag wurde der Schriftstellerin die Ehrendoktorwürde von der Universität Wrocław verliehen.

Die Premiere findet am 2. Juni 2022 um 19 Uhr in der Jahrhunderthalle (Hala Stulecia) in Wrocław statt, wird von dem Literaturprofessor und seit 2020 Rektor der Schlesischen Universität in Kattowitz (Uniwersytet Śląski w Katowicach) Ryszard Koziołek moderiert und online (z. B. via Facebook) übertragen. 

Olga Tokarczuk mit ihrem neuen Roman. Fot. Lukasz Giza.

Eine Hommage auf Thomas Manns Zauberberg
Die Handlung des neuen Buches beginnt im Herbst 1913 und spielt im Luftkurort Görbersdorf in Schlesien, dem heutigen Sokołowsko. Hier entstand 1855 das weltweit erste Sanatorium für Lungenkranke (Tuberkulose), das Gebäude steht bis heute. Kurz vor dem Großen Krieg treffen hier Kurgäste aus Lemberg, Wien, Königsberg, Breslau und Berlin und diskutieren über damals aktuelle Themen der großen Politik wie die Probleme der Monarchie und Demokratie, aber auch über gesellschaftliche Fragen, die Rolle der Frauen, irrationale Gefühle und Dämonen… Allein die Konstellation erinnert an das Muster des Romans „Zauberberg“ von Thomas Mann. Zeit und Ort der Handlung sind ähnlich: vor dem Ersten Weltkrieg, in einem Sanatorium für Lungenkrankheiten. Im Fall von Mann war es Davos, im Fall von Tokarczuk Göbersdorf. Bei Mann stand der junge Ingenieur Hans Castorp im Mittelpunkt der Handlung, bei Tokarczuk der junge Ingenieur Mieczysław Wojnicz aus Lemberg. Und eine ähnliche Gruppe von Nebenfiguren: Angestellte des Sanatoriums, überpolitisierte Patienten, die sich während ihrer Rekonvaleszenz mit endlosen Diskussionen amüsieren, füllen die Seiten des Romans.

Aber das sind nur Äußerlichkeiten. Die Nobelpreisträgerin bildet die Welt von Thomas Mann nicht einfach nach. In „Empuzjon“ führt sie ein Zwiegespräch mit dem „Zauberberg“. Insbesondere nimmt Tokarczuk die von Mann dargestellte „Welt ohne Frauen“ unter die Lupe, beleuchtet sie und analysiert. Es ist auch als ein intertextueller Streit, eine Ergänzung, Modifizierung oder auch eine Alternative zu sehen. Auf jeden Fall ist „Empuzjon“ eine Hommage an Thomas Manns Opus Magnum. In Interviews erwähnte Olga Tokarczuk oft, den “Zauberberg” zum ersten Mal im Alter von 16 Jahren und dann mehrmals gelesen und jedes Mal etwas Neues in der Lektüre gefunden zu haben.

In der Hala Stulecia (Jahrhunderthalle) findet am 2. Juni um 19 Uhr die Premiere von “Empuzjon” statt. Eintrittskarten waren schnell vergriffen, es gibt aber eine Online-Übertragung.

Prof. Ryszard Koziołek über den neuen Roman von Olga Tokarczuk:
Das vielleicht aktuellste Thema von “Empuzjon” ist das Geschlecht. „Empuzjon” ist eigentlich eine Geschichte über eine Welt ohne Frauen, auch wenn die Handlung des Romans mit einem Verbrechen an einer Frau beginnt und die “Frauenfrage” das am heftigsten diskutierte Thema ist. Männliche Protagonisten, die zusammen in einer Pension leben, diskutieren über Weiblichkeit und vermischen dabei frauenfeindliche Zitate aus der Literatur und Philosophie der Moderne mit Kneipenweisheiten über Weiblichkeit und Männlichkeit, die von männlichen Chauvinisten aller Epochen gepredigt werden. Am Ende des Romans erhält der Leser eine Anthologie der Quellen.

Auf den ersten Blick scheinen die antifeministischen Haltungen und Ansichten, die in den Köpfen und Worten der männlichen Frauenfeinde auftauchen, dem antifeministischen Schrottplatz des neunzehnten Jahrhunderts entnommen zu sein. Aber schnell wurde mir klar, wie viele von ihnen in der öffentlichen Debatte noch immer funktionieren. Dazu gehört vor allem der Glaube an das nationale Eigentum am weiblichen Körper, denn “ihr Körper und damit sie selbst gehört allen, denn sie ist das Gefäß, aus dem Menschen geboren werden, der Körper der Frau, ihr Bauch, ihre Gebärmutter gehören also der Menschheit”. Seltsam, aber wie wir aus aktuell in Polen sehen, halten die Enkel von Otto Weininger daran fest.

Text: Agnieszka Bormann, Quelle: Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Quelle der Bilder: Facebookseite Fundacja Olgi Tokarczuk