Literatur auf Lachisch
Der weitgehend vergessene Dichter und Schriftsteller machte in den 1930er Jahren den im schlesisch-mährischen Grenzraum gesprochenen Dialekt literaturfähig.
Der lachische Dialekt war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Muttersprache der slawischen Bewohner großer Teile Tschechisch-Schlesiens und Nordmährens. Gesprochen wurde er auch südwestlich von dem damals deutschen Ratibor/Racibórz und in einem kleinen Zipfel im Westen der Slowakei. Die tschechischen Forscher betrachten das Lachische als Mundart der tschechischen Sprache. Die polnische Sprachwissenschaft klassifiziert es wiederum meistens als einen der Übergangsdialekte zwischen dem Tschechischen und dem Polnischen. Der in Friedek/ Frýdek in den Zeiten der Habsburgermonarchie geborene Óndra Łysohorsky (Bürgername Erwin Goj) überraschte in den 1930er Jahren die Öffentlichkeit in seinem Land mit seiner Feststellung, in der Tschechoslowakei, Polen und in Deutschland würden ca. zwei Millionen Menschen Lachisch als Muttersprache sprechen. Der spätere Dichter und Schriftsteller wuchs im deutschen und im lachischen Sprachumfeld auf. Seine ersten Gedichte, die Mitte der 1920er Jahre erschienen, schrieb er auf Deutsch. Nach dem Studienabschluss und einem Stipendienaufenthalt in Italien arbeitete Erwin Goj als Lehrer im tschechischen und slowakischen Teil der Republik. In den 1930er Jahren kodifizierte und systematisierte er den lachischen Dialekt und veröffentlichte seine ersten Gedichte und Prosawerke in dieser Sprache. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg nahm er Kontakte mit linken und sogar dezidiert kommunistisch orientierten Gruppierungen auf. Konsequent vertrat er die Ansicht, dass die slawischen Einwohner Nordmährens und Tschechisch-Schlesiens nicht gezwungen werden sollten, zwischen der tschechischen und der polnischen Identität zu wählen. Er war der Meinung, sie hätten durchaus das Recht, sich als Angehörige des mährischen oder des schlesischen Volkes zu bezeichnen.
Während des Zweiten Weltkrieges hielt sich Łysohorsky in der Sowjetunion auf. Er wurde Mitglied des Sowjetischen Schriftstellerbundes, seine Werke erschienen nun auch auf Russisch. Vergebens bemühte er sich bei Stalin um eine offizielle Anerkennung des lachischen Volkes und Unterstützung im Kampf gegen angebliche tschechische Unterdrückung. Trotz seiner linken Gesinnung wurde der Dichter nach seiner Rückkehr in die Tschechoslowakei 1946 schikaniert, da er als Separatist galt und die in seinem Heimatland eingeführte Form des kommunistischen Systems scharf kritisierte. Der Konflikt mit der Zentralverwaltung und der Partei führte in den frühen 1950er Jahren zur Konfiszierung seiner Werke und ihrer Verbannung aus den Bibliotheken. Erst auf Druck Moskaus bekam Goj eine Stelle an der Universität Bratislava und wurde in den Tschechoslowakischen Schriftstellerverband aufgenommen. In den 1960er Jahren wurden seine Gesamtwerke herausgegeben, zweimal wurde der Schlesier sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen. Er starb 1989 in Pressburg/Bratislava.
Mit dem Künstlernamen Óndra Łysohorsky knüpfte Erwin Goj an den Räuber Ondřej Fuciman (1680–1715) an, der in den Westbeskiden als Volksheld galt. Gojs Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche, Englische und Französische. Auf Deutsch erschienen sie u. a. 1989 im Verlag Böhlau („Lachische Poesie 1931–1976“) und 1998 im Hess-Verlag („Dort wo Karpaten an Sudeten rühren. Lachische Gedichte“).
Text: Dawid Smolorz