„Ich bin schon als Friseur zur Welt gekommen“

Coiffeur Richard Stanik steht seit über 50 Jahren im Dienste der Schönheit

Nach seiner Flucht aus Polen eröffnet er in den 70er-Jahren in Bonn den bekannten Salon „Chez Richards“ und wird zum Star-Friseur der High-Society aus Deutschland und Polen.

Der Besuch beim Friseur ist für viele Menschen mehr als ein neuer Haarschnitt. Nicht selten suchen sie dabei einen Freund mit einem offenen Ohr. Wer das gut kann und dazu sein Handwerk beherrscht, der wird seine Kunden dauerhaft an sich binden können, weiß Coiffeur Richard Stanik. Er hat in seinem bekannten Bonner Salon „Chez Richards“ Fürsten, Stars und Diplomaten frisiert, und wer einmal kam, kam immer wieder. Zu seinen Kunden zählten Herzogin Irina von Sachsen und Prinzessin Karin Sobieski zu Schwarzenberg, Sänger wie Karel Gott, Peter Alexander und Chris Roberts, aber auch die bekannte polnische Sängerin Urszula Sipinska, die es besonders schätzte, dass der Starfriseur ihre Sprache spricht. Das alles ermöglichte aber erst die spektakuläre Ausreise aus seiner Heimat Schlesien im Jahr 1972.

Besuch in der Heimat

In dem bekannten Kurzentrum „Sebastianeum“ im oberschlesischen Groß Stein/Kamień Śląski hat sich der Star-Friseur für einige Tage eingemietet. Ich treffe Stanik zwischen Mittagessen und Massage. Mein erster Blick fällt auf das Haar des hochgewachsenen Mannes. Der blonde Schopf strahlt. Und das Lächeln auch. Um den Hals trägt er gut sichtbar einen Anhänger von dem Abbild der Mutter Gottes. „Das war ein Geschenk an meine Mutter, sie war sehr katholisch. Als sie mit 95 die Augen schloss, habe ich die Kette an mich genommen“, erklärt mir Stanik.

Im oberschlesischen Oberglogau/Głogówek, von wo die Mutter stammt, kommt er im Februar 1945 zur Welt. Kurz zuvor ist die Rote Armee bereits einmarschiert, doch noch ist Schlesien Teil des Dritten Reiches und Stanik damit deutscher Staatsbürger. Nur wenige Monate später fällt das Gebiet an Polen, und nach der Zwangspolonisierung der deutschen Familien wird aus Richard ein Ryszard. Im Elternhaus spricht man aber weiterhin deutsch und manchmal auch den oberschlesischen Dialekt. Als Stanik in die Schule kommt, befürchten die Lehrer, dass er die polnische Sprache nie erlernen würde. Doch sie irren, schnell spricht Richard die ersten polnischen Worte und kann sich bald problemlos verständigen. Nach der Schule beginnt er eine Lehre als Friseur in Kandrzin-Cosel/Kędzierzyn-Koźle. In der Handwerkskammer in Oppeln/Opole macht er 1969 seinen Meister.

Ein besonderer Salon in Walzen

„Der Meisterbrief von der Oppelner Handwerkskammer wurde weltweit anerkannt. Das war ein wichtiger Schritt“, erklärt Stanik. Kurz darauf macht er sich selbstständig und eröffnet in Walzen/Walce seinen ersten eigenen Salon. Die Einrichtung – bescheiden: Zwei Spiegel für die Herren, zwei für die Damen. Einfache Stühle, nicht einmal aus dem Friseurbedarf. Das Wasser fließt vom Haarewaschen direkt auf die Straße, denn Abflüsse gibt es in dem kleinen Laden nicht. Trotzdem läuft das Geschäft gut. Schon nach drei Monaten kauft er seinen ersten Wagen: einen gebrauchten „Warszawa“. Zwei Jahre später kann er sich einen neuen Wartburg leisten. „Den hatte nicht mal der Bürgermeister“, sagt Stanik. Der Schlüssel zum Erfolg: Stanik ist Friseur mit Leib und Seele, das gefällt den Menschen. „Ich bin schon als Friseur zur Welt gekommen“, lacht Stanik. „Ich habe als Kinder die Puppen meiner Schwestern frisiert. Und später dann sie selbst, indem ich Papier gerollt und Haarsträhnen darumgebunden habe, um Locken zu formen.“ Oft steht er von morgens um neun bis abends um zehn im Salon. „Zu Hochzeiten habe ich den Laden manchmal schon um 4:00 Uhr geöffnet, um den Damen die Haare hochzustecken.“ Und natürlich ist Stanik ein gern gesehener Gast, dem das Hochzeitspaar sogar den Eröffnungstanz widmet. Aber nicht nur bei den Damen ist er beliebt, auch die Herren wollen Staniks Dienste in Anspruch nehmen und kommen dafür auch aus den Nachbarorten gefahren. Darunter aus Broschütz/Brożec der Bruder des späteren Erzbischofs Alfons Nossol.

Flucht und Neuanfang

Der berufliche Erfolg und die Anerkennung unter den Kunden ruft bei den kommunistischen Behörden schon bald Argwohn hervor. Finanz- und Gesundheitsamt tauchen jeden Monat bei Stanik auf, um Schmiergeld zu kassieren. Doch Stanik will sich damit nicht abfinden. Er beschließt, nach Deutschland zu gehen. Doch die Regierung verweigert die Ausreise. Stanik muss einen anderen Weg finden. Er bezahlt 100.000 Zloty an „Fluchthelfer“ und verlässt über Nacht das Land. „Ich bin mit dem Taxi nach Warschau gefahren, habe dort mit meiner deutschen Geburtsurkunde mein Visum abgeholt und bin in den Zug „Moskau – Paris“ gesprungen. Am nächsten Morgen bin ich in Köln ausgestiegen, habe tief Luft geholt und dachte nur: Gott sei Dank.“ Von Köln geht er nach Bonn und kann als Friseur schnell Fuß fassen. Kaum drei Jahre nach seiner Flucht aus Polen macht er seinen eigenen Salon auf. Durch seine ungezwungene, charmante Art und seine Passion für den Beruf erwirbt Stanik, der sich jetzt „Monsieur Richard“ nennt, Anerkennung als Friseur der Fürsten und der Prominenz aus Politik und Showgeschäft, die in seinem Friseursalon ein- und ausgehen. „Ich bin immer offen auf die Menschen zugegangen, bei mir haben sie sich wohlgefühlt“, erklärt Stanik seinen Erfolg. Aber auch das Friseurhandwerk entwickelt er weiter, besucht Fortbildungen, gewinnt Wettbewerbe.

Berufung leben

Später erwirbt er das Diplom „Master of coulors“ (Meister der Farben) bei der bekannten Friseurmarke „Wella“. „Farbe ist das Leben, Farbe ist gut für die Seele“, ist Stanik überzeugt.

Zurück nach Groß Stein: Ich will die Gunst der Stunde nutzen, und von dem Star-Friseur wissen, welche Haarfarbe für mich die richtige ist. Stanik betrachtet mein langes Haar mit den hellen Strähnen. „Die Farbe ist gut. Nur ein wenig mehr Glanz muss rein.“ Aber wie schaffe ich das? Mit einer Pflege und so: „Kamillenblüten oder Zitronensaft in Wasser geben und anschließend als Spülung über das Haar. Das hellt natürlich auf“, sagt der Meister der Farben. Seit rund 20 Jahren verwendet er ausschließlich Natur-Produkte zum Haare färben, auf Chemie-Keulen verzichtet er der Gesundheit zuliebe. Heute liegt er damit voll im Trend, denn Bio- und Natur-Verfahren stehen hoch im Kurs. Doch Stanik ist in den Ruhestand getreten. Nur für seine treuesten Stammkunden macht er eine Ausnahme. „Einige kommen seit über 50 Jahren zu mir“, sagt er. In seinem Wintergarten in Bonn hat er für sie liebevoll eine kleine Frisierecke eingerichtet.

Er betrachtet immer wieder die vielen Fotos von früher, die er als Anschauungsmaterial mitgebracht hat. Sie zeigen ihn mit Karel Gott, mit der Prinzessin Sobieski zu Schwarzenberg und jeder Menge weiterer Prominenz. „Früher war ich jemand“, sagt Stanik. „Heute bin ich ganz klein. Aber das schadet nicht. Alles hat einmal ein Ende.“ Stanik lächelt und sieht zufrieden aus. Ruhm ist am Ende eben doch nur Schall und Rauch. Was aber übrigbleibt ist Leidenschaft. „Ich kann ohne Kamm und Schere nicht sein“, sagt Stanik. Seine Berufung lebt er auch mit 76 Jahren weiter.

 

Text & Fotos: Marie Baumgarten

Alle Fotos zeigen Richard Stanik in Groß Stein