Gustav Freytags „Soll und Haben“ und die Kaffeekultur in Schlesien

In Gustav Freytags 1855 erschienenem Roman wird detailreich die Lebenswelt des Bürgertums in Schlesien beschrieben

An vielen Stellen wird deutlich, wie wichtig der Kaffee für die bürgerliche Geselligkeit und das gesellschaftliche Selbstverständnis war.

In Gustav Freitags 1855 erschienenen Roman “Soll und Haben” wird detailreich die Lebenswelt des Bürgertums in Schlesien beschrieben. Betrachtet man die Stellen, an denen der Konsum von Kaffee beschrieben wird, wird deutlich, wie wichtig das Getränk für die bürgerliche Geselligkeit, aber auch das gesellschaftliche Selbstverständlich war.

Der Aufstieg des Protagonisten des Buches, des jungen Anton Wohlfahrt, beginnt mit dem Paket Kolonialwaren, dass dessen Vater jährlich aus einem Breslauer Kontor zugeschickt bekommt: „An jedem Weihnachtsfest wurde durch die Post eine Kiste in das Haus des Kalkulators befördert, worin ein Hut des feinsten Zuckers und ein großes Paket Kaffee standen.“ Der Hausherr zerbrach stets feierlich den Zuckerhut und seine Frau röstete die Kaffeebohnen. Damals war es noch üblich, die Bohnen ungeröstet zu kaufen. Da es sich bei den Paketen um ein Dankeschön handelt, gibt es auch stets den guten Kaffee aus Kuba. So wurde der Hausherr in seiner Heimatstadt Ostrau bekannt als Kenner von Kolonialwaren, der „Meliszucker und den Brasilkaffee als untergeordnete Erzeugnisse der Schöpfung mit einer gewissen Verachtung“ betrachtete und dessen Launen mit den Marktpreisen von Zucker und Kaffee stiegen und fielen. Der junge Anton geht dann im weiteren Verlauf der Geschichte in eben jenem Breslauer Kontor in die Kaufmannslehre, aus dem das jährliche Paket kam.

Ein beliebtes Ausflugsziel des Breslauer Bürgertums: Das Kaffeehaus Pirscham. (E.A. Pjetschka Kunstatelier Breslau, Erstdruck 1902, Sammlung HAUS SCHLESIEN).

Als ihn jemand fragt, ob die Arbeit dort nicht langweilig sei, entgegnet er ihm: „Ich weiß gar nicht, was so interessant ist als das Geschäft. Wir leben mitten unter einem bunten Gewebe von zahllosen Fäden, die sich von einem Menschen zum andern, über Land und Meer, aus einem Weltteil in den andern spinnen. […] Wenn ich einen Sack mit Kaffee auf die Waage setze, so knüpfe ich einen unsichtbaren Faden zwischen der Kolonistentochter in Brasilien, welche die Bohnen abgepflückt hat, und dem jungen Bauernburschen, der sie zum Frühstück trinkt“. Hier wird vor allem die wirtschaftliche Komponente des Kaffees deutlich, denn es war gerade der Handel, der den Aufstieg des Bürgertums begründete. Es gibt auch zahlreiche Stellen, wo der gesellige Aspekt des Kaffeetrinkens beschrieben wird: „Man nahm Platz, die Kellner schleppten eine riesige Kaffeekanne mit der entsprechenden Anzahl Tassen herbei. Jetzt war es eine Freude, der Handlung zuzusehen, wie jeder der Herren bemüht war, dem Fräulein das Eingießen abzunehmen, weil die Kanne für sie zu schwer war“, die Aufgabe des Fräuleins war dann die Gesamtkoordination des Geschehens: jeder sollte Kuchen und genug Sahne bekommen, ferner wechselte sie mit jedem Herrn ein paar freundliche Worte.

Veranstaltungshinweis

Bei der Themenführung am 20. Juli um 14.30 Uhr geht es im Haus Schlesien um den Verkauf und Konsum des beliebten Heißgetränks im Alltag Schlesiens, illustriert anhand von Literaturpassagen. Wie trank das schlesische Bürgertum seinen Kaffee? Welche Rolle spielten Kaffeerituale in der Konstituierung der bürgerlichen Öffentlichkeit? Wer gehörte dazu und wer nicht? Diesen und weiteren Fragen wird nachgegangen.

Entgelt 3,- €, ermäßigt 1,50 €, Anmeldung unter 02244 886 231 oder kultur@hausschlesien.de erbeten.

Text: Florian Paprotny / HAUS SCHLESIEN