Bericht von der deutsch-polnischen Kuratorentagung im HAUS SCHLESIEN
Deutsche und polnische Historiker arbeiten an der Weiterentwicklung der Erinnerungskultur.
Flucht und Vertreibung, Heimatverlust und Integration sind in der Bundesrepublik wie in Schlesien vielerorts prägende Ereignisse der jüngeren Lokal- bzw. Regionalgeschichte. Deren Vermittlung ist unter anderem Aufgabe der Stadt- und Regionalmuseen vor Ort. In ihren Ausstellungen und museumspädagogischen Programmen erzählen sie nicht allein von den lokalen Geschehnissen, sondern setzen diese auch in einen größeren historischen und gesellschaftlichen Kontext. Dabei gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten, den Besuchern eine differenzierte Perspektive auf die Thematik zu vermitteln. Welcher Ansatz zu welchem Anlass und in welchem Museum passend ist, welche Möglichkeiten es gibt und wie welche Zielgruppen erreicht werden können, muss dabei immer wieder neu verhandelt werden. Gerade im Hinblick auf Ideen und Erfahrungen mit einer multiperspektivischen Darstellung und Vermittlung der Nachkriegsgeschichte und den daraus folgenden Bevölkerungsverschiebungen, ist ein Gedankenaustausch mit Fachkollegen aus anderen Einrichtungen im In- und Ausland, die ähnlich strukturiert sind oder auch in ganz anderen Zusammenhängen die Thematik aufgreifen, sehr bereichernd.
Zu diesem Zweck hat HAUS SCHLESIEN vom 24. bis 26. Mai 2023 erneut eine deutsch-polnische Kuratorentagung organisiert, in deren Rahmen sich Museumsfachleute aus Deutschland und Polen in kleiner Runde über die Entwicklung der Erinnerungskultur und die museale Darstellung von Flucht und Vertreibung austauschen konnten. Ermöglicht wurde dieses Zusammentreffen durch die finanzielle Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Den Auftakt zur Tagung bildete am Anreisetag eine kurze Vorstellungsrunde, der sich ein ausgedehnter Rundgang durch die neue Dauerausstellung von HAUS SCHLESIEN anschloss. Am Folgetag wurde in einem ersten Themenblock zunächst Flucht und Vertreibung sowie Ankommen und Integration als Teil der lokalen bzw. regionalen Geschichte in den Fokus gestellt. Zu Beginn stellte die Kuratorin Renata Matysiak aus dem Archäologisch-Historischen Museum in Glogau (Głogów) die im dortigen Museum gezeigte Ausstellung Die Glogauer 1945 vor. Mit dem im Jahr 2015 in Zusammenarbeit mit deutschen Partnern entstandenen Ausstellungsmodul verfolgt das Museum einen multiperspektivischen Ansatz, der das Schicksal der deutschen Vertriebenen wie das der polnischen Ankommenden darstellt. Daran schloss sich die Präsentation des neueröffneten Museums Flucht – Vertreibung – Ankommen in Erbendorf durch den dortigen Leiter Jochen Neumann an. Im Rahmen eines grenzüberschreitenden EU-Projektes mit der Stadt Plesná ist hier nahe der tschechischen Grenze ein neues Museum entstanden, das den Bogen vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart spannt, dabei das Hauptaugenmerk jedoch auf die Geschehnisse nach dem Zweiten Weltkrieg legt. Abgeschlossen wurde der Themenblock durch das Referat von Natalie Reinsch, die die von ihr zum 75. Jubiläum des Landes Niedersachsen konzipierte Ausstellung Vom Ihr zum Wir erläuterte, die im Rahmen des vom Museumsverband Niedersachsen und Bremen initiierten Heimatstubenprojekt Herkunft.Heimat.Heute entstanden ist.
Der Darstellung der Entwicklung der Erinnerungskultur war der zweite Themenabschnitt gewidmet, den Dr. Jens Baumann, Beauftragter für Vertriebene und Spätaussiedler des Freistaates Sachsen, mit der Vorstellung des Transferraum Heimat im sächsischen Knappenrode einleitete. Die in der ehemaligen Energiefabrik untergebrachte Ausstellung beginnt mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges und schildert neben dem Fluchtgeschehen und den Vertreibungen auch die Zeit des Ankommens. Catherine Perron, Assistant Research Professor an der Science Po in Paris, lenkte in ihrem Beitrag den Blick vom großen Ganzen auf das einzelne Objekt. Sie trug erste Überlegungen zu einem Forschungsprojekt vor, dass sich mit Objektbiographien und Provenienzforschung in Bezug auf Kulturgüter aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten beziehen soll. Unmittelbar daran schloss sich der Vortrag von Vanessa Rauche, Magisterstudentin an der Amsterdam School of the Arts, an, die über erste Rechercheergebnisse zu diesem Projekt berichtete, die sie anhand der Arbeit mit der Bunzlauer Heimatsammlung gewonnen hat. Den Abschluss des ersten Tages bildete ein Besuch im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Im anschließenden Gespräch mit dem Ausstellungsdirektor Dr. Thorsten Smidt ging es vor allem um die Pläne für die anstehende Neugestaltung der Dauerausstellung und die Überlegungen, wie die Themen Flucht, Vertreibung und Integration auf engem Raum möglichst eindrücklich präsentiert werden können.
Den zweiten Tag leitete Bartholomäus Nowak, Kurator der Städtischen Museen Zittau, mit seinem Vortrag zur 2020 gezeigten Ausstellung entKOMMEN ein. Die in Kooperation mit lokalen Partnern entstandene Ausstellung beschränkte sich dabei nicht auf die unmittelbare Nachkriegsgeschichte, sondern nahm auch andere mit der Regionalgeschichte eng verknüpfte Migrationsbewegungen in den Blick. Im folgenden Beitrag ließ Silke Findeisen, Kuratorin im HAUS SCHLESIEN, die Entstehungsgeschichte von HAUS SCHLESIEN und die Entwicklung dessen Ausstellungstätigkeit Revue passieren und schilderte dabei den Weg vom Schaufenster Schlesien zum grenzüberschreitend agierenden Dokumentations- und Informationszentrum. Ein umfassender Überblick zur Darstellung von Flucht und Vertreibung in den Ausstellungen des Riesengebirgsmuseums in Hirschberg (Jelenia Góra) seit den frühen 1990er Jahren durch den dort tätige Kurator Henryk Dumin schloss sich an.
In einem letzten Themenblock, der das Thema in einem eher nationalen Kontext betrachtete, stellte Janusz Stolarczyk, Kurator im Museum des Neustädter Landes (Muzeum Ziemi Prudnickiej) in Neustadt O.S. (Prudnik) die im Haus produzierte Publikation Wszystko jest, tylko ludzi nie ma. Przesiedlenia w latach 1945 – 1947 we wspomnieniach mieszkańców Ziemi Prudnickiej mit Erinnerungen der Bewohner des Neustädter Landes zur Umsiedlung und Ankunft 1945-47 vor und verdeutlichte dabei die Problematik der stark national beschränkten Blickwinkel. Den Abschluss bildete ein Blick in das im letzten September in Oppeln (Opole) eröffnete Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen. In ihrem Bildvortrag nahm Bogna Piter, Kuratorin und Mitarbeiterin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, die Teilnehmer mit auf einen Rundgang durch die Ausstellung und legte dabei einen Schwerpunkt auf die unmittelbare Nachkriegsgeschichte.
Den Vorträgen schlossen sich jeweils rege Diskussionen an, die sich auch in die Kaffee- und Mittagspausen hineinzogen. Mit vielen Anregungen, neuen Ideen und positiven Eindrücken machten sich die Teilnehmer am späten Freitagnachmittag auf den Heimweg. Die Beiträge werden zusammengetragen und in einem zweisprachigen deutsch-polnischen Tagungsband veröffentlicht und so einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden.
Text: Silke Findeisen / HAUS SCHLESIEN