Wolkenkratzer auf dem Ring

“WENN. Unrealisierte Visionen von modernem Breslau” heißt die neue Ausstellung im Breslauer Architekturmuseum

Präsentiert werden kühne architektonische Entwürfe vom Anfang des 20. Jahrhunderts.

Am 18. Januar 2024 wurde im Architekturmuseum in Wrocław (Breslau) eine Ausstellung mit dem Titel WENN. Unrealisierte Visionen von modernem Breslau eröffnet. Sie zeigt, wie die niederschlesische Hauptstadt hätte aussehen können, wenn es keinen Ersten Weltkrieg, keine Wirtschaftskrise der 1920er Jahre, keine Nazi-Machtübernahme, keinen Zweiten Weltkrieg gegeben hätte. Wenn, wenn…

An der Powstańców-Śląskich-Str. (ehem. Kaiser-Wilhelm-Str.) steht das höchste Gebäude der Stadt – der Wolkenkratzer Sky Tower. Es ist kaum zu glauben, dass ein ähnliches Objekt hundert Jahre früher gebaut sein könnte! In den 1920er Jahren waren Architekten der Moderne von amerikanischen Wolkenkratzern fasziniert und suchten nach eigenen Lösungen. Sie haben eine ganze Reihe von interessanten Projekten entwickelt, die – obwohl nie realisiert – einen großen Einfluss auf die spätere Architektur hatten. Sie wurden damals deutschlandweit präsentiert, diskutiert und bildeten dadurch einen Ausgangspunkt für Entwicklung der modernen Städte. Besonders wichtig war das für Breslau, das damals – urban gesehen – eine der vernachlässigten Großstädte Deutschlands darstellte. Die Fläche war klein, die Einwohnerzahl groß, die Wohnsituation katastrophal. Die Stadtverwaltung bemühte sich, der Situation durch verschiedene Initiativen Herr zu werden. In die Planungsarbeit wurden fast alle damals in Breslau (und auch in Deutschland) schaffenden Architekten engagiert. Die berühmtesten unter ihnen waren Max Berg, Hans Poelzig, Adolf Rading und Ernst May.

An dem 1927 ausgeschriebenen Architekturwettbewerb für das Warenhaus Wertheim beteiligte sich eine Reihe prominenter Architekten. Der Gewinner war der Berliner Hermann Dernburg, aber auf der Ausstellung kann man die anderen Projekte, u.a. das von Erich Mendelsohn (das erste von oben) sehen.

In der Ausstellung werden Architekturpläne und anhand von ihnen gebaute Modelle gezeigt, sowie Reproduktionen von Materialien, die nur in Veröffentlichungen erhalten geblieben sind. Ergänzt wird die Ausstellung um Projekte, die an verschiedenen Wettbewerben teilnahmen, nicht ausgewählt wurden, aber trotzdem aus der heutigen Perspektive interessant sind.

Wolkenkratzer auf dem Ring

Am eindrucksvollsten ist der Entwurf für ein Bürogebäude der Stadtverwaltung von Max Berg und Ludwig Moshamer. Der Wolkenkratzer (93 Meter) sollte auf dem Ring errichtet werden und den ganzen inneren Block (ehemalige Tuchhallen) ersetzen. Es handelte sich nur um eine Entwurfsskizze, aber wenn sie damals realisiert worden wäre, gäbe es ein zweites Chicago in Breslau! Die Visionen von damals sind überraschend, schockierend, aber vor allem inspirierend – auch für heutige Generationen von Architekten. Kühn, innovativ und interessant – die Ausstellung zeigt, wie das Gesicht der modernen Stadt – „der Stadt der Zukunft“ – aussehen sollte.

Die ausgestellten Entwürfe und Zeichnungen stammen aus den Sammlungen des Architekturmuseums in Wrocław, des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung e.V. (IRS) in Erkner bei Berlin, dem Architekturmuseum der Technischen Universität in Berlin, der Akademie der Künste in Berlin und den Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, wo zwei außergewöhnliche Zeichnungen von Oskar Kokoschka zu dem von Max Berg entworfenen Krematorium auf dem Grabiszyński-Friedhof in Wrocław erhalten sind.

Die von Dr. hab. Jerzy Ilkosz und Jolanta Gromadzka kuratierte Ausstellung ist bis zum 21.04.2024 im Architekturmuseum zu sehen.

Text und Bilder: Małgorzata Urlich-Kornacka