Auf Lessings Spuren in Breslau (Wrocław)

Am 15. Februar jährt sich zum 243. Mal der Todestag von Gotthold Ephraim Lessing

Was erinnert an den großen Dichter der Aufklärung im heutigen Wrocław?

Gotthold Ephraim Lessing (22. Januar 1729 bis 15. Februar 1781), eine führende Persönlichkeit der deutschen Aufklärung, Dramatiker und Literaturtheoretiker, verweilte in Breslau von November 1760 bis Mitte April 1765. Er war hier aber nicht als Schriftsteller tätig, sondern als Sekretär des Generals Friedrich Bogislav von Tauentzien

Er führte die Korrespondenz des Generals, richtete eine Privatbibliothek ein, besuchte Theater, verbrachte Abende mit seinen Offizierskollegen und sammelte Eindrücke und Impulse für seine weitere Tätigkeit, indem er das Soldatenleben nach dem Siebenjährigen Krieg beobachtete. An seinen Aufenthalt in der Stadt wurde später mehrmals erinnert: es gab eine Lessing-Loge, eine Lessingbrücke, eine Lessingstraße, einen Lessingplatz, ein Lessinghaus, Lessing-Pfefferkuchen und ein Restaurant „Lessing“. Wir prüfen nach, was heute von den Lessing-Sachen im polnischen Wrocław erhalten geblieben ist.

Die Lessing-Loge in der Agnesstraße 5 (heute Bałuckiego 5)

Die Lessing-Freimaurerloge wurde 1885 gegründet und gehörte dem unabhängigen Orden der B’nei B’rith an. Sie diente den deutschen Juden in Breslau. Die Loge wurde nach Gotthold Ephraim Lessing benannt, einem großen Bewunderer der Juden, die er als „das weiseste und toleranteste aller Völker“ bezeichnete, was er in einem Drama „Nathan der Weise“ zum Ausdruck brachte. Die Loge beschäftigte sich mit kultureller und sozialer Tätigkeit zugunsten der jüdischen Bevölkerung. Ihr Ziel war, die Wissenschaft und die Kunst zu fördern und den Armen, Bedürftigen und Verfolgten zu helfen. Die Lessing-Loge können wir heute nur auf einer alten Postkarte sehen. Von der ganzen Bebauung der Bałuckiego-Straße ist das Haus Nr. 5 als einziges Gebäude zerstört worden.

Lessingbrücke (heute Most Pokoju)

Bevor eine moderne Lessingbrücke die zwei Ufer der Oder verband, funktionierte an dieser Stelle ein privater Holzsteg für Fußgänger. Nachdem der Besitzer der Brücke eine Brückenmaut erhob, nannte man sie „Vierpfennigbrücke“. Als die Pläne für den Bau der Lessingstraße vorlagen, entschied sich der Magistrat, eine repräsentative Oderbrücke zu errichten. Sie wurde 1875 vom Stadtbaurat Alexander Kaumann anhand des Entwurfs des Geheimen Baurat Schwedler erbaut. Die 116,7 lange Lessingbrücke wurde infolge der Kriegshandlungen so schwer beschädigt, dass es sich nicht mehr lohnte, sie zu reparieren. Im Jahre 1958 wurden die Reste der Konstruktion abgetragen und durch eine völlig neue Brücke ersetzt. Die heutige Brücke, die 1959 eröffnet wurde, heißt Most Pokoju (Friedensbrücke).

Das Restaurant »Lessing« (früher Adalbertstr. 10, heute Wyszyńskiego)

Ein großer Teil der damaligen Adalbertstraße (besonders in der Nähe der Lessingbrücke) wurde während der Kriegshandlungen zerstört. Von dem Lessing-Restaurant ist heute keine Spur mehr übrig – bis auf ihre literarische Abbildung. Das Restaurant wurde in dem Kriminalroman von Marek Krajewski „Tod in Breslau“ beschrieben.

„Nachdem sie den mittelalterlichen Dom mit dem roten Gebäude des Priesterseminars Georgianum passiert hatten, hielten sie schließlich in der Adalbertstraße. Und kurz darauf saßen sie im Restaurant »Lessing«, wo sie ein Kellner mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. Im Saal herrschte angenehme Kühle. Der Atem fiel gleich wieder leichter. Beide wurden von einer wohligen Schläfrigkeit ergriffen, und Anwaldt schloss die Augen. Er hatte das Gefühl, von einer großen sanften Woge geschaukelt zu werden, und nur von fern nahm er wahr, wie Besteck klapperte. Mock machte sich mit zwei Gabeln über seinen knusprigen Lachs in Krensoße her. Amüsiert schaute er seinen schlafenden Kollegen an.

»Wachen Sie auf, Anwaldt.« Er gab ihm einen Stups mit dem Ellenbogen. »Ihr Essen wird kalt.«

Kurz darauf betrachtete er rauchend, wie Anwaldt gierig seinen Hackbraten mit Sauerkraut und Kartoffeln hinunterschlang.“

Marek Krajewski, Tod in Breslau, Deutscher Taschenbuchverlag, S. 178-179.

Lessing-Straße (heute Dobrzyńska)

Der Entwurf für die Straße, die am Ohlau-Ufer begann und zur Klosterstraße führte, entstand 1862. Mit ihrem Bau wurde 1868 angefangen. Zwei Jahre später wurde hier eine der berühmtesten Vaudeville-Bühnen Breslaus, das spätere Lobe Theater, eröffnet. Es war die Initiative von Theodor Lobe – Schauspieler, Regisseur und Direktors des Stadttheaters. Das Theater, das im Neorenaissance-Stil von Friedrich Barchewitz entworfen wurde, wurde am 2. August 1869 eröffnet. Im Programm stand – außer dem Prolog von Paul Thiemich und Ouvertüre von Dumont – „Minna von Barnhelm“ von Gotthold Ephraim Lessing. Bestimmt war es kein Zufall. Dieses Stück hat Lessing in Breslau verfasst. Das Lobe-Theater verfügte über 1298 Plätze. In dem Erdgeschoss befand sich ein Restaurant, der Zuschauerraum und die Bühne belegten den 1. und 2. Stock. Das Lobe-Theater und die anderen Gebäude der Lessingstraße (mit einer Ausnahme der ehemaligen Krankenkasse (Nr. 21–22) haben den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden.

Lessingplatz (heute plac Powstańców Warszawy)

Der Platz hieß früher Ziegel- oder Holzplatz. Seine Umgestaltung und Umbenennung hing mit der Errichtung der Lessingstraße und der Lessingbrücke zusammen. Einen großen Teil des Platzes hat das Regierungsgebäude genommen: zuerst die alte Regierung (das heutige Nationalmuseum) und später die neue Regierung (heute Sitz der Wojewodschaftsverwaltung).  Im Jahre 1877 wurde auf dem Lessingplatz 1/3 eine Lessingturnhalle erbaut. Von ihr ist heute keine Spur mehr.

Lessinghaus (früher Junkerstr. 1-3, heute Ofiar Oświęcimskich)

Solchen Namen hat das ehemalige Rybisch- und das benachbarte Haus in der Junkerstraße Nr. 1-3 (zu Unrecht) bekommen. Vor dem Zweiten Weltkrieg befand sich hier das bekannte Konditorei Café Brunies (damals diente das prachtvolle Renaissanceportal als Schaufenster der Konditorei), und das benachbarte Haus als Restaurant und Weinstube Raiffeisen. In der Zeit der Festung Breslau wurden die Gebäude zerstört, aber nach dem Krieg originaltreu rekonstruiert. An dem Rybisch-Haus hing früher eine Gedenktafel an den Dichter Lessing, obwohl Lessing nie in diesem Haus gewohnt oder gearbeitet hatte. Der Name wurde im Zusammenhang mit dem General von Tauentzien genutzt, bei dem Lessing als Sekretär tätig war. Er hat die Bürgerhäuser erworben – übrigens erst 1764, also nach Lessing Weggang von Breslau.

Die Junkerstr. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Foto. Krystyna Gorazdowska.

Lessingpavillon auf dem Bürgerwerder (Kępa Mieszczańska)

Den Entwurf für seine berühmteste Komödie „Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück“ schrieb Lessing in heiteren Frühlingsstunden im Göllerschen Garten (der auch als „Gelehrter Garten“ bekannt wurde) auf dem Bürgerwerder. Die Insel war vom Ende des 18. Jahrhunderts mit zahlreichen Soldatenkasernen bebaut. Der Pavillon des ehemaligen Etablissements steht bis heute, obwohl es schwierig ist, ihn wiederzuerkennen. Das Grundstück ist privat, der Zugang dadurch erschwert.

Die Begegnung zwischen Tellheim und Minna sollte der Dichter persönlich in dem Gasthof „Zur goldenen Gans“ in der Junkerstraße in Breslau gesehen haben – genau in diesem Lokal, in dem 1843 erstmalig in Breslau eine Gasbeleuchtung montiert wurde. Es war ein richtiger Renner für die damaligen Verhältnisse und die Popularität des Gasthofes ist stark gestiegen. Die Handlung des Werkes von Lessing spielt im Jahre 1763.

Lessing-Pfefferkuchen

Die Lessing-Pfefferkuchen wurden in Wrocław nach langer Zeit wiederbelebt. Der Legende nach sollte Lessing das Offiziersleben genossen haben und ist spät nach Hause gekommen. Weil er das Quartier bei einem Bäckermeister in der Schweidnitzer Straße mietete, wurde dieser mit der Zeit sauer. Er hat eine süße Rache an dem Dramatiker genommen, indem er eine neue Lebkuchenfigur entwickelte – die Gestalt des gebückten Lessings, wie er morgens nach Hause zurückkehrt.

Lessing-Pfefferkuchen, Foto. Pierniki Wrocławskie.

Text und Bilder (wenn nicht anders angegeben): Małgorzata Urlich-Kornacka