In Wrocław wird in der Weihnachtszeit eine kulinarische Traditionen Breslaus wiederbelebt und gelebt
Die Lessing-Pfefferkuchen gehörten zu den berühmtesten Lebkuchen der Vorkriegsstadt.
In der Markthalle in Breslau wurde ein Stand mit regionalen Produkten aus Niederschlesien eröffnet. Unter den vielen Produkten kann man u.a. Breslauer und andere schlesische Lebkuchen finden, die von Anna Kuśmierek-Rudy aus der familiengeführten Lebkuchenmanufaktur „Pierniki Wrocławskie“ anhand der alten Rezepte neu belebt wurden, z. B. Liegnitzer Bomben, Neisser Konfekt, Schweidnitzer Bolkobissen oder Lessing-Pfefferkuchen. Die letzten gehörten zu den berühmtesten Lebkuchen des Vorkriegsbreslaus.
Gotthold Ephraim Lessing ist während des dritten schlesischen Krieges nach Breslau gekommen und war hier fünf Jahre lang (von 1760 bis 1765) als Sekretär des Generals Friedrich Bogislav von Tauentzien tätig. LINK: Sächsischer Dichter in preußischen Diensten: Gotthold Ephraim Lessing in Breslau – Silesia News (silesia-news.de) Nach dem Hubertusburger Frieden verweilten in der Stadt viele Soldaten und Lessing beobachtete das bunte Offiziersleben. Das gab ihm genug Stoff, seine berühmteste Komödie „Minna von Barnhelm“ zu schreiben. Die Begegnung zwischen Minna und Tellheim hat Lessing aus dem Leben geschöpft, aus dem Vorgang, den er zufällig im Gasthof „Zur Goldenen Gans“ in der Junkerstraße (heute Ofiar Oświęcimskich) gesehen hat. (Das Gasthaus, in dem später auch der polnische Dichter Juliusz Słowacki und der polnische Komponist und Klavierspieler Frédéric Chopin übernachtet haben, wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört). Der Überlieferung nach, dichtete Lessing seine Komödie im Göldnerschen Garten auf dem Bürgerwerder. Der Pavillon des ehemaligen Etablissements steht bis heute, obwohl es seine Glanzzeit lange hinter sich hat.
Am Tag arbeitete Lessing für General von Tauentzien, am Abend nutzte er die Zeit, ins Theater zu gehen. Gustav Karpeles, der Autor von „Im Foyer. Essays und Skizzen“ (Leipzig, 1878) berichtet, dass in einem kleinen stets gefüllten Theater „Kalte Asche“ allabendlich in der vordersten Parkettreihe ein junger Mann gesessen habe und dass niemand ahnte, dass dieser junge Mann bald zum Apostel der dramatischen Kunst wird. Die Vorstellungen begannen um 17.00 Uhr, Lessing kam jedoch erst nach 18.00 Uhr und ging vor dem Schluss des Nachspieles wieder weg. Das hatte jedoch mit der Qualität der Vorstellungen nichts zu tun, später in Hamburg hat er ähnlich gehandelt. Wie Max Schlesinger in der „Geschichte des Breslauer Theaters“ bemerkte, habe er aber mit einem Blick mehr als andere mit stundenlanger Aufmerksamkeit gesehen.
Nachher musste er bestimmt lange mit den Offizieren in den Gasthäusern gesessen haben, denn der Legende nach, ist er immer spät nach Hause zurückgekommen. Er wohnte privat bei einem Bäcker-Meister in der Schweidnitzer Straße (leider kennt man den Namen des Bäckers und die genaue Adresse nicht). Der Bäcker duldete lange Zeit die nächtlichen Eskapaden des Dichters, eines Tages wurde es ihm aber zu viel. Er beschloss, eine Rache – und genau gesagt – eine süße Rache an Lessing zu nehmen.
Kurz vor dem Christkindelmarkt 1761 entwickelte er eine neue Lebkuchenform, die eine Karikatur von Lessing war. Das Gebäck stellte eine Person dar, die in einem zu engen Mantel und durchgelaufenen Schuhen, gebückt und müde am Morgen nach Hause kommt. Der Pfefferkuchen wurde in kurzer Zeit so populär, dass der Ausdruck „Die Rache ist süß wie der Lessing-Pfefferkuchen“ in die Sprache der Breslauer eingegangen ist.
Die Geschichte hat Grzegorz Sobel in dem Buch „Jarmark bożonarodzeniowy w dawnym Wrocławiu“ (Der Christkindelmarkt im alten Breslau) beschrieben und die Besitzer der Pfefferkuchen-Manufaktur angeregt, an die alte Tradition anzuknüpfen und „neuen“ Lessing zu entwickeln. Nach vielen Versuchen ist es gelungen. Und so kann man den gebückten Lessing wieder in der Stadt Breslau sehen.
Text und Fotos (wenn nicht anders angegeben): Małgorzata Urlich-Kornacka