„Górnik Zabrze” ist mehr als nur ein Sportverein
Für viele Oberschlesier verkörpert er die regionale Fußballtradition und ist wichtiger Bestandteil ihrer Identität.
Der Verein, der bisher insgesamt 14 Mal die polnische Meisterschaft gewann, war am 14. Dezember 1948 durch den Zusammenschluss von vier lokalen Fußballklubs gegründet worden. Ziel dieser Fusion war es, einen Sportverein ins Leben zu rufen, der zu einem Markenzeichen des sozialistischen, polnischen Bergbaus werden würde („górnik“ heißt „Bergmann“). Doch ist dieser Plan nicht ganz aufgegangen.
Zabrze (1915-1945 amtlich: Hindenburg) war in den Zeiten der Volksrepublik eine in vieler Hinsicht untypische Stadt. Als einziges der großen urbanen Zentren des früheren Deutsch-Oberschlesien erlebte es nach 1945 keinen starken Bevölkerungsaustausch. Folglich machten ehemalige deutsche Staatsbürger und ihre Nachkommen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Mehrheit der Einwohner aus. Dieser Umstand beeinflusste freilich auch das Fußballleben. Vor allem die Fans von „Górnik“ galten bis Ende der 1980er Jahre als „deutschgesinnte Revanchisten“, wie es in der offiziellen Sprache der damaligen Zeit hieß.
Als der Verein 1957 seinen ersten Titel des polnischen Meisters feierte, bestand die Mannschaft zum Teil aus Zöglingen der durch die polnische Verwaltung aufgelösten Vereine „Preußen Hindenburg“ und „Reichsbahn SV Borsigwerk“. Bei den Fußballern, die vor 1945 in Oberschlesien zur Welt gekommen waren, war die Kenntnis der deutschen Sprache eine Selbstverständlichkeit. Nicht so selbstverständlich war sie hingegen bei Andrzej Pałasz. Dieser 1960 in Zabrze geborene 34-fache polnische Nationalspieler wuchs im deutschsprachigen Umfeld auf und erlernte Polnisch erst vor seiner Einschulung. Die deutsch-polnischen Verflechtungen sind bei „Górnik“ wohlgemerkt auch heute präsent. Es ist ja kein Zufall, dass der Weltmeister von 2014, der aus Gleiwitz gebürtige Lukas Podolski, seit zweieinhalb Jahren für den Zabrzer Verein Tore schießt.
Jahrzehnte lang war „Górnik“ eine Großmacht im polnischen Fußball. Zwischen 1957 und 1972 standen die Weiß-Blau-Roten Jahr für Jahr auf dem Siegerpodest, davon zehnmal auf der obersten Stufe. Kein anderer Verein in Polen holte sich fünfmal in Folge den Titel des Landesmeisters. „Górnik“ gelang dies im Zeitraum 1963 bis 1967. Eine Wiederholung dieses Erfolgs verfehlten die Nachfolger der ersten „goldenen Elf“ nur knapp: Nach vier nacheinander folgenden Triumpfen in der Liga (1985-1988) wurde die Mannschaft aus Zabrze 1989 kurz vor Saisonende von dem Königshütter „Ruch Chorzów“ und dem Kattowitzer „GKS Katowice“ in der Tabelle überholt. Als einziger Klub aus Polen nahm „Górnik Zabrze“ 1970 am Endspiel eines europäischen Fußballwettbewerbs teil. Bis heute wird in der älteren Fan-Generation gestritten, ob das gegen Manchester City verlorene Finale des Pokals der Pokalsieger als Erfolg oder als vertane Chance betrachtet werden soll.
Der diesjährige „Geburtstag“ von Górnik wird von mehreren Events begleitet. Auf dem Programm stehen u. a. Fahrten mit dem Mannschaftsbus auf den Spuren der besten Spieler der Vereinsgeschichte, Wettbewerbe für Fans und Besuche der Fußballer in ausgewählten Schulen der Stadt und ihrer Umgebung. Anders als bei runden und halbrunden Jubiläen bisher praktiziert, wird es allerdings anlässlich des 75. Geburtstags keine große Fete geben.
Zur Zeit befindet sich die von dem in den 1980er Jahren erfolgreichen Górnik-Spieler Jan Urban trainierte Mannschaft im mittleren Tabellenbereich. In der laufenden Saison hat sie schon mehrmals positiv überrascht, manches Mal aber auch enttäuscht. Doch die Fans von „Górnik Zabrze“, der neben „Ruch Chorzów“ als beliebtester Fußballklub Oberschlesiens gilt, bleiben geduldig. Das mussten sie übrigens in den vergangenen Jahrzehnten lernen. Schließlich warten sie schon seit 35 Jahren – also fast die Hälfte der gesamten Vereinsgeschichte – auf den 15. Meistertitel.
Offizielles Video zum 75. Gründungsjubiläum (Polnisch):
Text: Dawid Smolorz