Blues aus Oberschlesien

Zum 30. Todestag von Ryszard Riedel

Oberschlesien gilt als polnisches Mekka des Blues und der aus Königshütte (Chorzów) gebürtige Riedel wurde in den 1980er Jahren zur Ikone dieses Musikgenres.

Die Wiege des Blues sind bekanntlich die Südstaaten der USA, vor allem das Mississippi-Delta. Eines der Bilder, das man gewöhnlich mit dieser Musik verbindet, sind schwer arbeitende Menschen. Wenn man die Wurzeln des polnischen Blues verfolgt, so führt die Spur eindeutig in den industrialisierten Teil Oberschlesiens. Wahrscheinlich es ist kein Zufall, dass ausgerechnet diese ebenfalls durch schwere Arbeit geprägte Region zur polnischen Blues-Mekka wurde. Die ersten Gruppen, die „schwarze Musik“ machten, wurden in Kattowitz (Katowice) und Umgebung bereits in den frühen 1970er Jahren gegründet. Józef Skrzeks „SBB“ (ursprünglicher Name „Silesian Blues Band“), „Krzak“ und der charismatische Sänger Jan Kyks Skrzek ebneten weiteren Blues-Musikern aus der Region den Weg.

Das Logo von „Dżem“.

Eine wichtige Zäsur waren für den oberschlesischen und den polnischen Blues die Jahre 1980/1981, als die Tichauer Band „Dżem“ mit dem Sänger Ryszard Riedel (1956-1994) in der Musikszene Fuß fasste. Den Beginn der großen Karriere markierten die Auftritte bei dem Festival der Jungen Generation in Jarotschin (Jarocin) und in der durch das Polnische Fernsehen übertragenen Musikvorführung „Pozłacany warkocz“ (Vergoldeter Zopf). Bei der letzteren zog Riedel u. a. durch eine lebhafte, oberschlesischsprachige Interpretation des Liedes „Gizd“ (Schurke) die Aufmerksamkeit der Musikfans auf sich. Oberschlesisch war wohlgemerkt seine Muttersprache – das konnte man nicht überhören.

Ryszard Riedel mit „Gizd“ in seinem Fernsehauftritt 1981.
Große Karriere und ihre Schattenseiten

Den beiden Auftritten folgten Einladungen zu Tourneen, auch eröffneten sie der Gruppe die Türen der Aufnahmestudios. Im Jahr 1982 erschien die erste Single von „Dżem“ und drei Jahre später die erste LP „Cegła“, die enthusiastisch aufgenommen wurde und bis heute als eine der wichtigsten Platten der polnischen Rock-Geschichte gilt. Erwähnenswert ist, dass Riedel, der eine charakteristische, leicht heisere Stimme hatte, keine vokale Ausbildung absolviert hat. Der Autodidakt, der nicht einmal einen Grundschulabschluss hatte, war auch Autor vieler Songtexte. Die meisten von ihnen waren stark autobiografisch geprägt. Obwohl sie in der Regel in politischer Hinsicht neutral blieben, war Riedel wegen seines Auftretens in den für Polen so turbulenten 1980er Jahren eine Art Freiheitssymbol.

„Jak malowany Ptak“ (Wie ein bemalter Vogel) von Dżem, Konzert in Bromberg (Bydgoszcz) 1993.

Die große Karriere war von großen Problemen begleitet, deren Ursache im Drogenkonsum lag. Lange kämpfte Riedel mit seiner Heroinabhängigkeit, die schließlich am 30. Juli 1994 zum frühen Tod des Musikers führte. Obwohl seit seinem Ableben bereits 30 Jahre vergingen, bleibt er nach wie vor eine Ikone und gilt als eine der größten Persönlichkeiten der polnischen Musikszene der 1980er und der frühen 1990er Jahre. Beliebt war er unter den Fans nicht zuletzt wegen seiner Authentizität und Ehrlichkeit. Er machte keinen Hehl daraus, dass Musik und Gesang eine Arznei gegen die immer größer werdenden Probleme in seinem Leben seien.

Das lange Nachleben der Legende

Elf Jahre nach Riedels Tod hatte der Spielfilm „Skazany na bluesa“ (Verdammt zum Blues) seine Premiere. Der Streifen konzentriert sich auf die frühe Phase der Karriere des Sängers und seine letzten, von Drogenabhängigkeit geprägten Lebensjahre. In der Hauptrolle ist Tomasz Kot, einer der besten polnischen Schauspieler der mittleren Generation, zu sehen.
Die Band „Dżem“ setzte auch nach dem Tod Ryszard Riedels ihre Tätigkeit fort. Seit einigen Monaten ist Sebastian Riedel, Sohn des charismatischen Sängers, der Vokalist der Band.

Blues in Oberschlesien

Oberschlesien gilt bis heute als Blues-Hochburg Polens. Seit 1981 findet in Kattowitz das von dem bekannten Musiker Ireneusz Dudek initiierte „Rawa-Blues-Festival“ statt – das wichtigste Blues-Ereignis des Landes. Überdies entstand vor einigen Jahren die „Oberschlesische Blues-Route“. Sie führt nicht nur auf der Landkarte, sondern existiert auch als Internetportal mit Interviews, Videos und jeder Menge Musik.

Rawa- Blues 2009, das größte Blues-Festival Polens. Quelle: lilly_m, Wikimedia Commons

Text: Dawid Smolorz