Ein Jahr lang dauerte die Umgestaltung des Neumarktes in Wrocław (Breslau) und kostete 10 Mio. Złoty (ca. 2,4 Millionen Euro)
Eine historische Brunnenanlage fehlt allerdings noch auf dem Platz…
Der grüne Neumarkt in Breslau (Wrocław) kann seit Neuestem bewundert werden. Nach einem Jahr Umbau, der 10 Mio. Złoty (ca. 2,4 Mio. Euro) kostete, hat sich der bisher betonierte Platz im Zentrum der Stadt völlig verändert. Auf dem Platz sind bisher fast 200 Bäume und 63.000 Sträucher gepflanzt worden. Nach umfangreichen Sanierungsarbeiten haben die Einwohner endlich die Möglichkeit, hier ihre Zeit im Grünen zu verbringen.
Es fehlt nur noch der Brunnen. Der Platz dafür sowie die unterirdischen Wasseranschlüsse wurden bei der Sanierung vorgesehen, jetzt fehlt nur noch das Geld für diese letzte Etappe der Revitalisierung. Ob das wieder der Neptunbrunnen sein wird, bleibt offen. Die Breslauer können sich keinen anderen Brunnen vorstellen und es interessiert sie wenig, dass der Gott des Meeres nicht ganz zu der Nachkriegsarchitektur des Neumarktes passt…
Der Neumarkt war Jahrhunderte lang neben dem Ring (Altmarkt) und dem Salzmarkt der drittwichtigste Handelsplatz der Stadt. Seine Popularität verdankte er dem „Gabeljürgen“ (so wurde im Volksmund der Neptunbrunnen genannt, der bis 1945 hier stand), dem „Tippelmarkt“, einem beliebten Keramikmarkt, bei dem vor allem die kaffeebraunen Töpfe aus Bunzlau angeboten wurden, und dem „Christkindel-Markt“, der 1904 hier vom Ring verlegt wurde.
Man kann es kaum glauben, dass der Neumarkt vor dem Zweiten Weltkrieg fast so schön wie der Breslauer Ring war. Er war von allen Seiten mit malerischen Bürgerhäusern umgeben und mit Verkaufsständen, Buden und Bänken gefüllt. Der Platz wurde wahrscheinlich in derselben Zeit wie der Ring angelegt, vermutlich 1242, im Zuge der Neugründung der Stadt nach dem Mongolensturm, oder spätestens 1263. Im Jahre 1266 wurde nämlich zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt, dass der Herzog Heinrich III. die von ihm 24 gegründeten Fleischbänke mit dem Schlachthof am Neumarkt an drei Breslauer Bürger verkaufte (sie befanden sich an der Ausmündung der Kupferschmiedestraße – heute ul. Kotlarska). Sechzig Jahre später hat der Neumarkt die Selbständigkeit verloren – er wurde in die Altstadt eingemeindet. In der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden alle Heringsbuden (30 Stück!) vom Altmarkt auf den Neumarkt verlegt, einige Zeit später kam hier auch der Gänse- und Hühnermarkt. Weil man hier mit lebedigen Tieren handelte, wurde in der Mitte des Platzes ein offener Brunnen angelegt.
Im Jahre 1732 erfolgte der Bau einer steinernen Anlage mit einer schönen Neptunfigur, die mit einem Dreizack auf vier Delphinen stand. Aus dem Mund der Delphine floss das Wasser heraus – direkt in die von Tritonen und Nymphen getragene Muscheln – sowie aus den Zinken des Dreizacks. Nach über hundert Jahren wurde der Brunnen restauriert. Die Figur des Meereskönigs wurde von dem Bildhauer Albert Rachner neu gefertigt und die alte Figur wurde auf dem Privatgrundstück des ehemaligen Stadtrats Leutnant Carl Müller in Langendorf (Wielowieś) aufgestellt. Diese Tatsache sowie Teile dieser ersten, bereits in der Vorkriegszeit vergessenen Figur wurden von dem Historiker Dr. Tomasz Sielicki entdeckt und wieder gefunden.
Diese sensationelle Entdeckung erweckte bei den Breslauern die Hoffnung, den Neptunbrunnen wieder in ihrer Stadt zu haben. Der „neue“ Neptunbrunnen wurde zur Zeit der Festung Breslau 1945 zerstört – ähnlich wie der ganze Neumarkt. Nicht ist aus der ganzen Bebauung erhalten geblieben – nur zwei Gebäude: ein Bürgerhaus und das heutige Stadtamt (früher Oberpräsidium).
Nachdem der Platz von Trümmern aufgeräumt wurde, diente er auch den Handelszwecken. In den Jahren 1958-1963 wurde der Basar abgeschafft, weil man mit dem Bau der „modernen Siedlung“ begann. Der Neumarkt hat nicht nur seine ursprüngliche Funktion verloren, sondern durch den unglücklichen Wiederaufbau auch die Beliebtheit bei den Breslauern und Touristen. Man hat mehrmals versucht, hier etwas Leben einzuführen, aber jeder Versuch scheiterte. In den letzten Jahren wurde an der Stelle des unterirdischen Luftschutzbunkers eine Tiefgarage gebaut und der Platz wurde revitalisiert. Man „vergaß“ dabei aber Bäume und Pflanzen – auf dem vollständig betonierten Platz herrschte im Sommer eine unerträgliche Hitze. Dank der grade stattgefundenen „grünen Revolution“ soll sich die Situation definitiv ändern. Jetzt kann man gemütlich im Schatten auf den „Gabeljürgen“ warten…
Text und Bilder (wenn nicht anders angegeben): Małgorzata Urlich-Kornacka