Der Neptun vom Breslauer Neumarkt kehrt zurück nach Wrocław

Die barocke Brunnenfigur hat den Krieg überstanden und wurde von einem Regionalisten gefunden

Jahrzehnte lang galt die Neptun-Statue als Kriegsverlust.

Der Neptunbrunnen auf dem Breslauer Neumarkt gehörte zu den wichtigsten Symbolen der Stadt, was auf zahlreichen Postkarten verewigt wurde. Alle glaubten, der Neptun teilte das Schicksal des 1945 in der Festung Breslau zerstörten Neumarkts (heute Plac Nowy Targ) und sei für immer verloren. Nach mehr als einem Jahrhundert Abwesenheit ist der barocke Neptun am 7. Dezember 2022 nach Wrocław zurückgekehrt. Die Statue ist nicht vollständig, sie ist in Stücke zerfallen, aber es besteht kein Zweifel: Das ist der Neptun vom Neumarkter Brunnen. Wie ist das möglich?

Die Reste des barocken Neptunbrunnens wurden in Wielowieś (Langendorf) gefunden.

Die sensationelle Entdeckung machte der Historiker Dr. Tomasz Sielicki. Er fand heraus, dass 1874 bei der Generalsanierung des Brunnens auch eine neue Neptunstatue geschaffen wurde. Sie wurde von Albert Rachner angefertigt, dem Schöpfer der Linnaeus-Büste im Botanischen Garten. Und genau diese Skulptur, das Duplikat, wurde 1945 zerstört, während das Original auf dem Privatgrundstück des ehemaligen Stadtrats Leutnant Carl Müller aufgestellt wurde. Sielicki fand Zeitungsberichte aus der damaligen Zeit mit der Information, dass der alte Neptun 1889 auf Müllers Anwesen in Langendorf (heute Wielowieś) bei Groß Wartenberg (Syców) aufgestellt wurde. Und in der Tat hat ihn der junge Forscher dort im Oktober 2022 gefunden.

Die erste Begegnung von Dr. Tomasz Sielicki und Joanna Biniek vom Niederschlesischen Denkmalschutz mit dem gefundenen Neptun, Oktober 2022. Foto: privat

Nicht der gesamte Breslauer Brunnen wurde nach Langendorf gebracht, aber viele seiner Elemente, darunter das wichtigste – die Neptun-Statue. Niemand wusste, dass sie sich hier befand. Es ist ein wahres Wunder, dass dieser originale, barocke Neptun während der Belagerung 1945 nicht zerstört wurde. Er ist trotzdem sehr beschädigt. Er hat keinen Kopf und keine Hände. Der Hauptteil der Statue ist hingegen gut erhalten.

Die Fragmente der Statue wurden am Mittwoch, dem 7. Dezember 2022, zum Alten Jüdischen Friedhof in der Ślężna-Straße in Wrocław gebracht, einem Gelände des Städtischen Museums. Der Neptun wird gesichert, untersucht und – soweit es Mittel dafür gibt – restauriert.

Der Transport von Neptun nach Wrocław wurde von der Gemeinde Syców, dem Eigentümer des Grundstücks in Wielowieś und Privatpersonen finanziert: Tomasz Sielicki, Bartłomiej Kandora, Marek Karabon, Kamila und Krzysztof Kokot mit ihren Familien.

Historischer Rückblick auf den Neumarkt in Breslau

Im mittelalterlichen Breslau war der Neumarkt der dritte Marktplatz der Stadt. Hier wurde unter anderem mit lebenden Tieren gehandelt. Die Tiere mussten getränkt werden, und so wurde 1592 in der Mitte des Platzes ein Brunnen gebaut. 200 Jahre später wurde er für unbrauchbar erklärt, und der Stadtrat beschloss, die Wasserfassung zu modernisieren und mit einem eindrucksvollen architektonischen Element zu versehen.

Der Neptunbrunnen auf dem Breslauer Neumarkt vor dem Umbau, 1870er-1880er Jahre. polska-org

Die Wahl fiel auf eine Statue von Neptun. Der Mythologie zufolge stieß Neptun seinen Dreizack in den Boden und Wasser floss heraus. Auf diese Weise sollten Flüsse gebildet werden. Im 18. Jahrhundert wurden Brunnen mit Neptunfiguren in ganz Schlesien und Böhmen populär. Eine Theorie besagt, dass die Neptun-Mode von Michael Mandig aus Danzig ausging, der eine Statue des Meeresgottes in Olmütz (Mähren) anfertigte.

Der Brunnen wurde 1732 im Auftrag des Stadtrates von der Steinmetzfirma Johann Adam Karinger in Sandstein ausgeführt. Die Statue und die dekorativen Elemente wurden von Johann Baptist Lemberger gestaltet. Der Brunnen bestand aus einem achteckigen Becken, in dessen Mitte vier Figuren sagenumwobener Meerestiere – Meerjungfrauen und Tritonen – standen. Jede von ihnen trug eine Muschel, die zusammen eine Schale bildeten. Von ihr erhob sich ein Kapitell, auf dem vier Delphine standen. Aus ihren Mündern sprudelte Wasser in die Schale und von dort in das Becken. Das Werk wurde von der Neptun-Figur auf einer Säule gekrönt. Er wurde als bärtiger Mann mit einem strengen Blick dargestellt. In seiner rechten Hand hielt er sein Attribut, den Dreizack.

Ein unanständiger nackter Mann mit einer Mistgabel?

„Die nackte Gestalt der mythologischen Gottheit war nur teilweise von einem wallenden Gewand bedeckt. Aus diesem Grund hielten die Breslauer Neptun für sündig und gottlos und setzten ihn sogar mit dem Teufel gleich. Die Statue wurde regelmäßig zum Opfer des Vandalismus, obwohl der Brunnen von einem Zaun umgeben war. Das war ein so häufiges Problem, dass die Stadtverwaltung eigens einen Wächter anstellte, um ihn zu bewachen”, sagt Tomasz Sielicki.

Der Dreizack, der auch Wasser ausspuckte, erinnerte die Breslauer Bürger an eine Mistgabel zum Werfen von Dung. Aus diesem Grund nannten die Einwohner ihren Neptun gern einen „Gabeljürgen“.

Die Postkarte aus dem Jahre 1901 zeigt den Neptunbrunnen nach dem Umbau. Bei der Modernisierung 1874 hat der Bildhauer Albert Rachner eine neue Neptun-Statue erstellt. polska-org

Mit der Zeit gewannen ihn die Breslauer so lieb, dass er einer der Einwohner der Stadt wurde. „Er erschien als Figur in Kurzgeschichten. Er war Schirmherr der berühmten Silvesterparaden. Die Bürger von Breslau begrüßten das neue Jahr mit lauten, an Neptun gerichteten Rufen. Einige kletterten sogar auf die Brunnenanfassung, das als öffentliches Rednerpult diente. Der Brunnen wurde zu einem der wichtigsten Symbole der Stadt, verewigt auf Hunderten von Postkarten. Der Gabeljürge schützte den Handel, der unter seinen Augen auf dem Neumarkt stattfand. Dies war zumindest bis 1908 der Fall, als die Eröffnung der Markthalle dem Freiluftmarkt ein Ende bereitete. In der Zwischenkriegszeit wurde Neptun eindeutig mit dem Weihnachtsmarkt in Verbindung gebracht, der damals noch nicht – wie heute – auf dem Ring stattfand.

Experten bestätigen: Dies ist der barocke Neptun

Die zerbrochene Neptun-Statue wurde in Wielowieś von Dr. Tomasz Sielicki und Joanna Biniek vom Büro des Niederschlesischen Landesdenkmalpflegers gefunden. Die Kunsthistoriker Barbara Andruszkiewicz und Dr. Romuald Nowak vom Nationalmuseum in Wrocław bestätigten die Echtheit des gefundenen Neptuns. Er ist derselbe, der im 18. Jahrhundert die Bürger von Breslau mit seiner Nacktheit beleidigte und ein stummer Zeuge der turbulenten Ereignisse des Völkerfrühlings war.

Die Relikte des Brunnens werden nun im Stadtmuseum in Wrocław aufbewahrt. Wie es mit ihnen weitergeht, hängt davon ab, wie viel Geld aufgebracht werden kann. Das Wichtigste ist im Moment, dass die fast 300 Jahre alte Originalskulptur gefunden und gerettet wurde.

Text: Agnieszka Bormann, Info und Fotos: www.wroclaw.pl (mit freundlicher Genehmigung).