Schnell wie Radke – Olympische Heldin aus Breslau

1928 gewann Karoline „Lina” Radke das erste olympische Gold in der Leichtathletik für Deutschland

Sie war Meisterin in einem Wettbewerb, der damals als ungeeignet für Frauen galt.

2. August 1928, Olympiastadion in Amsterdam. Das Finale des 800-Meter-Laufs der Frauen. Karoline „Lina“ Radke aus Breslau ist die Favoritin. Sie hält zwei Weltrekorde über diese Distanz, darunter den aktuellen, der am wichtigsten ist. Ihre härteste Konkurrentin wird bekanntlich die Schwedin Inga Gentzel sein, die ebenfalls schon einen Weltrekord aufgestellt hat. Auch die Japanerin Hitomi Kinue ist im Halbfinallauf vertreten. Sie hat sich bisher als Sprinterin einen Namen gemacht, aber es hat sich gezeigt, dass sie auch auf der Mittelstrecke stark ist. Es bleibt jedoch abzuwarten, wozu sie im Finale wirklich in der Lage ist, wenn keine Kalkulationen erfolgt.

Drama auf den letzten Metern

Da kommen sie! Hitomi im Sprinttempo, das Tempo ist von Anfang an mörderisch, so dass viele Athletinnen gleich zu Beginn weit zurückfallen. Nach der Hälfte der Strecke sind nur noch drei Läuferinnen vorne, in der Reihenfolge: Hitomi, Gentzel und Radke – es gibt also keine Überraschungen. Radke scheint bewusst hinter ihren Konkurrentinnen zu lauern und auf den richtigen Moment zum Angriff zu warten. Sie beschleunigt in der Kurve, lässt erst Gentzel hinter sich und überholt dann die Japanerin. Ihr Vorsprung wächst, am Ausgang der Kurve sind es bereits 10 Meter, das Ziel rückt immer näher. Ist es vorbei?

Keineswegs. Hitomi gibt nicht auf, man sieht ihr an, dass sie alles gibt. Und sie kommt immer näher an Radke heran, die immer schwächer wird. Vielleicht hat die Deutsche mit der Endspurt zu schnell begonnen? So sieht es jetzt aus. Auf den letzten Metern scheint Lina noch alle Kraft zu haben, beschleunigt noch einmal und überquert die Ziellinie als Erste, 5 Meter vor der Japanerin.

Mit 2:16,8 Minuten (der schnellste 800-Meter-Lauf von Radke überhaupt) erstellt sie schon wieder einen Weltrekord. Das ist das erste olympische Gold für die deutschen Leichtathleten und die erste für die deutschen Frauen seit Beginn der Olympischen Spiele im Jahre 1896.

Lina Radke (rechts) und Kinue Hitomi, Amsterdam 1928. Quelle: Wikipedia.org
Schwer vorstellbare Rekorde

Karoline Batschauer wurde 1903 in Karlsruhe geboren und kam 1927 mit ihrem Mann Georg Radke nach Breslau (Wrocław). Interessanterweise hatte sie einige Monate zuvor bei den deutschen Meisterschaften, die damals im Breslauer Olympiastadion (damals noch Schlesierkampfbahn) stattfanden, den ersten Platz im 800m-Lauf gewonnen und dabei den Weltrekord (mit einer Zeit von 2:23,8 min) gebrochen. Ein Jahr später, ein paar Wochen vor den Olympischen Spielen in Amsterdam, schaffte sie es erneut auf dem Laufbahn in Brieg (Brzeg), diesmal mit einer Zeit von 2:19,3 min. Also in Amsterdam verbesserte sie ihr eigenes Ergebnis um fast 3 Sekunden.

In Breslau trat Lina im Trikot mit dem schwarzen Stern des VfB Breslau auf und wurde wie ein Star behandelt, sogar die Formulierung „schnell wie Radke“ ging damals in den allgemeinen Sprachgebrauch ein. In einer Zeit, in der die Sportlerinnen im tiefen Schatten der Sportler standen, was dies überhaupt nicht selbstverständlich. Erwähnenswert ist dabei, dass der 800-Meter-Lauf erst nach Gründung des Internationalen Frauensportverbandes FSFI (Fédération Sportive Féminine Internationale) zum Programmbestandteil der Olympischen Spiele 1928 werden konnte. Danach wurde die Disziplin – wie auch alle anderen Läufe über 100 Meter für Frauen – wieder aus dem Programm gestrichen, mit der Begründung, Frauen seien hier physisch überfordert. Der 800-Meter-Lauf wurde erst 1960 wieder eine olympische Disziplin.

Lina Radke, Amsterdam 1928. Quelle: Wikipedia.org

Nach dem Krieg lebte Karoline „Lina” Radke mit ihrem Mann zunächst in Torgau und zog später in ihre Heimatstadt Karlsruhe. Sie starb 1983.

Text: Sławomir Szymański