In der Volksrepublik Polen wurde die Existenz der deutschen Minderheit negiert
Vor 35 Jahren stellte in Oberschlesien eine Unterschriftensammlung ihre zahlenmäßige Stärke unter Beweis.
Abgesehen von den misslungenen Versuchen nach dem Tauwetter von 1956 waren vor allem in den 1980er Jahren mehrere Gruppen in der Region bestrebt, deutsche Minderheitenorganisationen registrieren zu lassen. Doch der Weg zu diesem Ziel war lang und steinig. In Benkowitz (Bieńkowice) bei Ratibor (Racibórz) gelang es Blasius Hanczuch bereits in den 1970er Jahren, mehrere Menschen um sich zu versammeln, die, wie er, deutsche Sprache und deutsches Liedgut pflegen wollten. Etwas später kam zudem die Idee auf, sich der Gräber der deutschen Soldaten anzunehmen.
Mut machte den Menschen in Oberschlesien die Entstehung der „Solidarność”. In den 1980er Jahren waren nicht nur im Ratiborer Land, sondern auch in den Großstädten des Industriegebietes und im Oppelner Teil der Region „im Untergrund“ deutsche Organisationen aktiv. Im Jahr 1986 versuchte die gut vernetzte Benkowitzer Gruppe sogar, in Ratibor ein Kongress der deutschen Kultur zu veranstalten. Er fand nur deshalb nicht statt, weil der Sicherheitsdienst einen Tag vor dem geplanten Termin davon erfuhr und mehrere Organisatoren verhaftete. Der erste Antrag auf Registrierung eines deutschen Minderheitenverbandes in Oberschlesien wurde bereits während des Kriegsrechts 1983 gestellt. Dieser, wie auch alle andren, die vor 1990 gestellt wurden, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass kraft alliierter Beschlüsse alle Deutschen aus der Volksrepublik Polen ausgesiedelt worden seien oder sie später im Rahmen der Familienzusammenführung verlassen hätten.
Neubeginn nach der politischen Wende
Erst Anfang 1989 nach den Gesprächen am Runden Tisch setzten Demokratisierungsprozesse ein, die auch das Klima für die Deutschen in Oberschlesien verbesserten. Im Frühjahr desselben Jahres beschloss eine um Johann Kroll in Gogolin (Gogolin) versammelte inoffizielle Gruppe, Unterschriften von Bürgern zu sammeln, die sich als Deutsche fühlten. Das Hauptziel dieser Initiative war, der Warschauer Regierung, aber auch der Bundesregierung vor Augen zu führen, dass in Oberschlesien eine zahlenmäßig starke deutsche Minderheit lebt. Die Gründung einer offiziell anerkannten deutschen Organisation sollte aber gleichzeitig ein Mittel gegen das Ausbluten der Region sein. Denn in der zweiten Hälfte der 1980er Jahren nutzten tausende Oberschlesier, die in der Heimat ihre deutsche Gesinnung nicht manifestieren durften oder die sozialistische Mangelwirtschaft satthatten, die relativ liberale polnische Reisebestimmung, um in die Bundesrepublik zu ziehen, wo sie als Spätaussiedler aufgenommen wurden.
Die Wiedergeburt der Deutschen in Oberschlesien entging nicht den polnischen Medien, die 1989 praktisch keine Angst mehr vor Zensureingriffen zu fürchten hatten. Zwar war vielen Polen, die in den ehemaligen Ostprovinzen des Reiches lebten, bewusst, dass nach 1945 nicht alle Deutschen vertrieben wurden, doch für die breite polnische Öffentlichkeit war das ein Schock. Offiziell wurde die einheimische Bevölkerung Oberschlesiens (und auch Ostpreußens) in der Volksrepublik ja konsequent als „autochthon“ bezeichnet, womit man automatisch deren angeblich ausschließlich slawische Abstammung unterstrich.
Im Sommer 1989 scheiterte noch der Versuch, eine Minderheitenorganisation für das Oppelner Land registrieren zu lassen. Das Woiwodschaftsgericht ließ sich nicht einmal von den 250.000 Unterschriften beeindrucken, die Johann Kroll, sein Sohn Henryk und weitere Aktivisten aus Gogolin gesammelt hatten. Erst Anfang 1990, als Polen mit Tadeusz Mazowiecki schon den ersten nichtkommunistischen Premierminister hatte, wurden in mehreren Woiwodschaften die deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften offiziell zugelassen.
Hinweis: Im Jahr 2022 erschien im Görlitzer Senfkorn Verlag das Buch Wir kamen aus dem Nichts, in dem Henryk Kroll, ein Aktivist der ersten Stunde und späterer Politiker der deutschen Minderheit, im Gespräch mit Dawid Smolorz die Hintergründe der Ereignisse von 1989/1990 schildert.
Text: Dawid Smolorz