Relikte einer tragischen Zeit vor 80 Jahren
Ereignisse vom Januar 1945 bleiben bis heute im Süden der Innenstadt von Gleiwitz (Gliwice) sichtbar.
Im Süden der Innenstadt von Gleiwitz (Gliwice) befinden sich bis heute Relikte der Ereignisse vom Januar 1945, als der Krieg nach fünfeinhalb Jahren – für die meisten unerwartet – in die Stadt zurückkehrte. In der entlang der einstigen Rybniker Straße (heute ulica Rybnicka) gelegenen Siedlung Süd gab es keine schweren Kämpfe, nicht einmal eine Schießerei. Die ersten Rotarmisten, die dort auftauchten, wurden von den Jugendlichen daher sogar freundlich begrüßt, denn diese dachten im ersten Moment, das wären Angehörige ausländischer, aber mit Deutschland verbündeter Verbände. Wie sich der inzwischen verstorbene Einwohner des Viertels Heinz Syrek erinnerte, war die Evakuierung der Zivilbevölkerung damals überhaupt kein Thema gewesen. Und zwar, weil niemand erwartet habe, dass Oberschlesien so schnell von der Roten Armee eingenommen werden würde. Schließlich sei die Front noch wenige Tage zuvor 250 Kilometer östlich von der Region verlaufen. Die in den 1920er Jahren erbaute, moderne Siedlung Süd, in der die Familie wohnte, wurde ohne einen Schuss besetzt.

„Umso mehr verwunderte es uns, dass die sowjetischen Soldaten am 26. Januar alle Männer verhafteten, die sie in unserer und in einigen benachbarten Straßen fanden. Das wurde mit keinem Wort erklärt“, erzählte sechs Jahrzehnte später Syrek. Am nächsten Tag erfuhren die Frauen in der Siedlung, dass ihre Männer an der Ziegelei jenseits der Rybniker Straße erschossen worden waren. Der damals Zwölfjährige ging mit seiner Mutter dorthin und brachte die Leiche des Vaters, wie es auch einige weitere Familien taten, mit einem Schlitten in den Garten des Nachbarhauses.

In einem bis heute erhaltenen Massengrab ruhen dort zehn Ermordete. Auch neben einigen weiteren Häusern im Bereich der heutigen Straßen Rybnicka und Olchowa gibt es Gräber der Einwohner, die im Januar 1945 von den Sowjets erschossen wurden. Insgesamt sind damals 83 Männer aus der Siedlung Süd Opfer der blinden Rache der Sieger geworden. Die Leichen aus dem größten Massengrab wurden allerdings in den 1950er Jahren auf den Hauptfriedhof umgebettet. Um das Grab, in dem unter anderem Heinz Syreks Vater ruht, kümmert sich heute Maria Warzecha, geboren 1944 als Brunhilde Kupka. Auch ihr Vater und einer ihrer Onkels wurden am 26. Januar an der Ziegelei erschossen und später hier begraben. „Viele Angehörige der Opfer leben heute in Deutschland oder in anderen Städten Polens. Aber an Allerheiligen wird das Grab, das sich in meinem Hausgarten befindet, immer noch von Kindern bzw. Enkelkindern der Opfer besucht“, so Maria Warzecha.

Maria Warzecha ist eine der Protagonistinnen des 2019 im Auftrag des Hauses der Deutsch-Polnischen Zusammenarbeit (Dom Współpracy Polsko-Niemieckiej) entstandenen Dokus unter dem Titel Die letzten Tage des deutschen Gleiwitz (Sprachen: Deutsch und Polnisch):
Heinz Syreks Erinnerungen aus dem Jahr 1945 beinhaltet wiederum das Buch Schauplatz Oberschlesien von Dawid Smolorz und Marcin Kordecki (Polnische Ausgabe: Górny Śląsk. 20 historii z 20 wieku).
Text: Dawid Smolorz