Kinder des Tauwetters in Oberschlesien

Vornamen als Manifestation der deutschen Identität

Tausende Oberschlesier wurden nach dem Krieg gezwungen, ihre deutschen Namen zu polonisieren. Doch dann konnten sie ihren Kindern deutsche Vornamen geben.

In den ersten Nachkriegsjahren zwang die polnische Verwaltung tausende Oberschlesier dazu, ihre deutschen Vornamen, und nicht selten auch Nachnamen zu polonisieren. Das politische Tauwetter nach Stalins Tod (1953) brachte aber eine Liberalisierung mit sich, die sich auch auf den Bereich der Vornamensgebung auswirkte.

Als Stefania Smolorz, damals frisch gewordene Lehrerin, 1965 im Gleiwitzer Stadtteil Ellguth-Zabrze (Ligota Zabrska) ihre berufliche Laufbahn begann, war ein großer Anteil der Kinder in der dortigen Grundschule noch einheimischer Abstammung. „Es fiel schon auf, dass viele Schüler, die in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zur Welt gekommen waren, deutsche Vornamen hatten. In den Klassen, in denen ich unterrichtete, gab es unter anderem einen Klaus, einen Walter, eine Helga, eine Hannelore und eine Rozwita“, erinnert sich die pensionierte Lehrerin aus Gleiwitz.

Dieses Phänomen ist aus mehreren Gegenden der Region bekannt. Als im Oktober 1956 die stalinistische Ära in Polen offiziell endete und der zumindest in der frühen Phase als liberaler Kommunist geltender Władysław Gomułka an die Macht kam, spürte man auch in Oberschlesien den „frischen Wind“. Zwar wurden die Bürgerfreiheiten dann nach und nach wieder eingeschränkt, doch gingen die späten 1950er und die 1960er Jahre in die oberschlesische Geschichte als eine Periode ein, in der möglich war, was weder vorher noch nachher von den Behörden der Volksrepublik akzeptiert wurde.

Hubert statt Siegfried

Diese Feststellung bezieht sich auch auf die Vornamensgebung. In der gesamten Zeit des Kommunismus herrschten aber in Polen in diesem Bereich keine einheitlichen Regeln. Oft war der (fehlende) gute Wille der Standesbeamten entscheidend. An eigener Haut erlebten dies die Eltern von Hubert Okoń aus Zelasno (Żelazna) bei Oppeln (Opole), die sich für ihren 1962 geborenen Sohn ursprünglich einen anderen Namen ausgesucht haben. „Ich hätte Siegfried heißen sollen, offiziell mit polnischer Schreibweise Zygfryd. Doch die Standesbeamten erklärten ganz eindeutig, dass dies auf keinen Fall gehen wird. Hubert war die zweite Option, aber auch das klang den Behörden noch zu deutsch. Ein zweites Mal wollten sich aber meine Eltern nicht beugen. Am Ende hat mein Vater die Beamten mit dem Argument überzeugt, dass es diesen Vornamen auch außerhalb des deutschen Sprachraumes gibt, und dass auch Polen ihn tragen“, erklärt Okoń.

Ein –a am Ende macht den Vornamen polnisch

Ein Kind des politischen Tauwetters ist in diesem Sinne auch Irmgarda Brzoska aus Ratiborhammer (Kuźnia Raciborska), Jahrgang 1957. „Da ich einer deutschen Familie entstamme, war es für meinen Vater selbstverständlich, dass ich einen deutschen Vornamen tragen sollte. Irmgard ging nicht, aber die leicht polonisierte Variante mit ‚a‘ am Ende hat der Standesamt akzeptiert. Ich kenne mehrere Gleichaltrige, die so wie ich in der Volksrepublik geboren wurden, aber deutsche Vornamen haben. Eine Freundin von mir heißt zum Beispiel Hildegarda, eine andere Ingeborga. Mein Name gilt in Polen als sehr selten, aber in meiner Schulklasse in Kandrzin-Cosel gab es außer mir auch zwei weitere Mädchen, die ‘Irmgarda‘ hießen“, erinnert sich die Einwohnerin von Ratiborhammer. Wie sie betont, habe sie wegen ihres Vornamens direkte Schikanen nicht erlitten, aber indirekt bekam sie bei der Erledigung von amtlichen Angelegenheiten mehrmals fehlende Akzeptanz zu spüren. „Ich schämte mich früher für meinen Namen. Heute sehe ich ihn aber als Triumph, weil er so selten und so originell ist. Ich gebe aber zu, dass einige sich ihn nicht merken können und mich mit ‚Irma‘ oder sogar mit meinem zweiten Vornamen ‚Maria‘ ansprechen“, so Brzoska.

Mein Vorname war für mich eine Art Firmenschild

Im Falle von Walter Stannek aus Gogolin (Gogolin) ging es zwar auch um eine Manifestation, doch stand diese nicht im Vordergrund. „Ich wurde 1968 geboren. In diesen unsicheren Zeiten waren meine Eltern nicht unbedingt bestrebt, ihre Gesinnung gegenüber der ganzen Welt zu manifestieren. Wegen ihrer deutschen Abstammung hatten sie genug Schikanen erlitten, mehr brauchten sie nicht. Vielmehr ging es dabei um die Erhaltung der deutschen Tradition, allerdings sozusagen im häuslichen, im privaten Bereich. Meine Eltern dachten auch vorausschauend und die spätere Entwicklung bestätigt, dass sie Recht hatten. Sie sind nämlich davon ausgegangen, dass ihre Kinder in Zukunft vielleicht doch in einer anderen Realität leben werden als die des kommunistischen Polens. Für alle drei ihrer Söhne wählten sie deshalb Vornamen, die in mehreren Sprachen identisch oder ähnlich klingen. Meine älteren Brüder hießen Norbert und Ferdynand. Hier muss ich allerdings hinzufügen, dass bei meinen Brüdern ursprünglich andere Vornamen in Betracht gezogen wurden, die aber von dem Chef des lokalen Standesamtes nicht akzeptiert wurden. Einer meiner Brüder hätte zum Beispiel Wolfgang heißen sollen. Gegen Walter hatten die Behörden, soviel ich weiß, keine Einwände“, erklärt der Gogoliner.

„Mein Vorname war für mich von Anfang an eine Art ‚Firmenschild‘. Oft haben mich Menschen automatisch in eine bestimmte Schublade gesteckt, vor allem die, die stets zu schnellen Urteilen neigen. In der Grundschule in Gogolin fiel ich nicht auf, da die meisten Mitschüler so wie ich deutsche Oberschlesier waren. Dabei ist jedoch zu betonen, dass für die meisten von ihnen ihre Eltern polnischklingende, sprich mehr politisch korrekte Vornamen gewählt haben. In dieser Hinsicht haben meine Eltern in einem gewissen Sinne schon Mut bewiesen. Wenn jemand damals ein Problem mit ‚Walter‘ hatte, dann waren es manche Lehrer, die aus anderen Regionen stammten. In der technischen Fachschule in Oppeln war es aber schon anders. Dort dominierten Zugezogene und mein Vorname beeinflusste weitgehend die Art und Weise, wie ich sowohl von den Lehrern als auch von einigen Mitschülern behandelt wurde. Es gab damals viele, die auf alles Deutsche allergisch reagierten. Sehr gut fühlte ich mich dagegen während meiner Studienzeit in Breslau. Dort hat man meinen Vornamen als etwas Originelles betrachtet, auch wenn die meisten Kommilitonen früher oder später erkannt oder erfahren haben, warum ich so und nicht anders heiße. Ich bin mit meinem Vornamen sehr zufrieden. Im Berufsleben arbeite ich oft mit ausländischen Partnern zusammen und ‚Walter‘ klingt in jeder Sprache gut. Schon vor fünf Jahrzehnten wussten meine Eltern, was sie taten. Ich bin ihnen für meinen Vornamen dankbar“, schließt der Gogoliner. Über seinen für polnische Verhältnisse untypischen Vornamen und das Schicksal seiner deutsch-oberschlesischen Familie erzählte Walter Stannek in einer Reportage des Polnischen Rundfunks im Jahr 2017.

Nicht deutsch, sondern skandinavisch

Ingemar Klos aus Deutsch Zernitz (Żernica) bei Gleiwitz (Gliwice), Jahrgang 1961, verdankt den Vornamen der unbeugsamen Haltung seines Vaters. „Die Standesbeamten versuchten anfangs, ihn mit verschiedenen Mitteln von der Idee abzubringen, seinem Sohn einen – wie sie behaupteten – deutschen Namen zu geben. Er wollte aber nicht klein beigeben und argumentierte, dass der Vorname nicht deutschen, sondern skandinavischen Ursprungs sei und erklärte – was auch der Wahrheit entsprach – dass er ein großer Fan des erfolgreichen schwedischen Boxers Ingemar Johannson war. Mein Vater war unter anderem deshalb so hartnäckig, weil er einige Jahre zuvor einen langen und für ihn sehr unangenehmen Kampf um die Beibehaltung seines deutschen Vor- und Familiennamens führen musste. Aus ‚Ewald Kloss‘ wollten die Behörden um jeden Preis ‚Edward Kłos‘ machen. Hätten sie das geschafft, wäre sogar der Klang des Nachnamens geändert worden. Am Ende setzte sich der Vater insofern durch, als er ‚nur‘ den Verlust eines ‚s‘ akzeptieren musste und fortan offiziell ‚Ewald Klos‘ hieß“, erzählt der lokale Aktivist und Heimatforscher.

Die Frage, ob der germanische Vorname sein Leben beeinflusst hat, bejaht der Oberschlesier. „Alle wussten immer gleich, dass ich ein Einheimischer bin. Vor allem in der weiterführenden Schule in Gleiwitz musste ich deshalb vonseiten der Mitschüler oft böswillige Kommentare über mich ergehen lassen. Da galt ich immer als ‚szwab‘ (verächtlich für einen Deutschen, Anm. d. Autors). Aber regelrecht schikaniert wurde ich erst während meines Wehrdienstes bei der Polnischen Volksarmee in den frühen 1980er Jahren. Dort war ich gleich aus dreierlei Gründen verdächtig: wegen des deutschen Familiennamens, wegen des germanischen Vornamens und aufgrund meiner Mitgliedschaft bei der freien Gewerkschaft ‚Solidarność‘. Vor allem im ersten Jahr bekam ich deshalb meistens deutlich schwierigere Aufgaben als meine Kollegen“, erinnert sich Ingemar Klos.

Personalausweis in der Volksrepublik Polen.

Text: Dawid Smolorz