Das Erbe des großen Denkers und Politikers verbindet das Schlesische, Deutsche, Jüdische und das Polnische
In seiner Heimatstadt Breslau (Wrocław) wird er mit einer Tagung, Ausstellung und Tafel geehrt.
Der große Denker und Politiker Ferdinand Lassalle, dessen Erbe das Schlesische, Deutsche, Jüdische und Polnische verbindet, wird in seiner Heimatstadt Breslau (Wrocław) mit einer Tafel, einer Ausstellung und einer deutsch-polnischen Tagung gewürdigt.


Sein 200. Geburtstagsjubiläum wurde vom 11. bis zum 13. April in Breslau gefeiert. Gäste aus Deutschland und Polen kamen in die niederschlesische Metropole, darunter viele ehemaligen Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung, die in diesem Jahr den 100. Jahrestag ihres Bestehens feiert.


Im Breslauer Rathaus wurde eine Ausstellung eröffnet, die das Leben und Tätigkeit von Ferdinand Lassalle und das 100. Jubiläum der Friedrich-Ebert-Stiftung präsentierte. Die Begrüßungsansprachen hielten u. a. Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung, und Michał Syska, Direktor des Ferdinand Lassalle Centre for Social Thought. Über die Geschichte und das Vermächtnis von Ferdinand Lassalle für die europäische Sozialdemokratie haben in ihren Vorträgen Prof. Wojciech Browarny von der Breslauer Universität und Kristina Meyer, Sprecherin des Geschichtsforums der SPD erzählt. Während des offiziellen Teiles wurde eine Tafel mit Porträt von Ferdinand Lassalle präsentiert, die später an der Stelle, wo ursprünglich das Haus von ihm stand, befestigt wird (das Geburtshaus von Ferdinand Lassalle wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstört).


Bei den Ansprachen und Vorträgen wurde unterstrichen, welche Bedeutung die Tätigkeit von Lassalle für die Entwicklung der Sozialdemokratie in ganz Europa ausübte. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass sich noch viele Geheimnisse mit der Gestalt und dem Leben von Ferdinand Lassalle verbinden. Zwei von ihnen: die der Geburt und der Beerdigung wurden von Prof. Wojciech Browarny ein bisschen gelüftet. Ferdinand Lassalle wurde am 13. April 1825 (und nicht am 11. April, wie man behauptet) geboren. Das Geburtsdatum steht in dem Geburtsregisterbuch der jüdischen Gemeinde in Breslau: am 13. April 1825 unter der Nr. 605 steht, dass Rosalie, geb. Heizfeld einen Sohn Ferdinand zur Welt brachte und dass die Geburt 6 Stunden dauerte. Der Knabe kam in Gegenwart von Dr. Henschel zur Welt, der übrigens ein bekannter Botaniker und Medizinhistoriker war (August Willhelm Eduard Henschel).


Von der Beerdigung gibt es Berichte von nur wenigen Zeugen, weil die Polizei dafür sorgte, dass das Ereignis anonym blieb. Die Gräfin von Hatzfeld, die früher von Lassalle bei ihrem Scheidungsprozess jahrelang repräsentiert wurde, wollte aus der Beerdigung große Manifestation in Berlin machen. Der Sarg wurde aber von der Polizei beschlagnahmt und am 13. September 1864 in einem Güterwagon der Berliner Eisenbahnlinie nach Breslau gebracht. Man versteckte vor der Familie, wann genau der Sarg mit der Leiche von Ferdinand Lassalle geliefert wird. Die Presse und Bekannte wurden speziell desinformiert, um eine große politische Demonstration zu vermeiden. Einige Freunde und Bekannte sind doch zu Beerdigung am 14. September zum jüdischen Friedhof gekommen – das bestätigte Hugo Friedländer, der als junger Gymnasiast ein Zeuge der Beerdigung von Ferdinand Lassalle in Breslau war. Er war später Journalist (Mitarbeiter der sozialdemokratischen Presse) und Gerichtsreporter.


Als nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 ein Kongress der PPS (der Polnischen Sozialistischen Partei) organisiert wurde, wurde eine neue Grabsteinplatte für Lassalle gestiftet. Wahrscheinlich wurde damals das falsche Datum – 11. April auf die Grabsteinplatte gesetzt (dieses Datum steht aber auch auf den alten Postkarten). Die originale Grabsteinplatte wurde während des Kampfes um Festung Breslau zerstört. Im Jahre 1959 stiftete der Breslauer Nationalrat (Wrocławska Rada Narodowa), der Vorgänger des Stadtrates (Rada Miejska Wrocławia) – eine neue Grabsteinplatte, die bis heute auf dem jüdischen Friedhof in der Lohe-Str. (ul. Ślężna) in Breslau steht. Es fehlt aber ein Medaillon mit dem Porträt von Lassalle, das das ursprüngliche Grab verzierte. Der Bildhauer Tomasz Rodziński fertigte vor kurzem ein neues Medaillon, das sich jetzt auf der Ausstellung im Königlichen Schloss befindet.


Das ursprüngliche Medaillon hatte einen Deckel, der nur zu besonderen Anlässen geöffnet wurde. In der jüdischen Tradition ist es nämlich verboten, sich abzubilden. Im 2. Buch Mose heißt es: »Du sollst dir kein Bild machen, kein Abbild dessen, was im Himmel droben und was auf Erden hierunten und was im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen …« (2. Buch Mose 20, 3–5). Ferdinand Lassalle war also eine Ausnahme.

Trotz des Todes von Ferdinand Lassalle haben sich seine Ideen weiterverbreitet: auch unter den polnischen Arbeitern, die damals in Breslau lebten. Im Jahre 1892 entstand eine polnische Gesellschaft mit gesellschaftspolitischem Profil: Gesellschaft der polnischen Sozialisten in Breslau (Towarzystwo Socjalistów Polskich we Wrocławiu). Die Gesellschaft wurde auf einer öffentlichen Versammlung polnischer Arbeiter in dem Gasthof „Zu den drei Tauben“ am Neumarkt 8 gegründet. An der Versammlung nahmen auch Frauen teil, was für die damaligen Zeiten eine Ausnahme bildete. Der Verein hatte etwa 50 Mitglieder und war auf alle Gruppen offen. Die Treffen fanden alle zwei Wochen statt gegen 19.00 oder 20 Uhr. Die Teilnehmer der Versammlungen bereiteten sich auf Wahlen vor, hörten Vorträge, führten politische Diskussionen, rezitierten Gedichte und sangen Arbeiterlieder (das alles nach dem langen Arbeitstag). Die Hauptziele der Gesellschaft der polnischen Sozialisten waren der Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung der polnischen Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland, eng verbunden mit dem Anliegen, ihre nationale Identität wiederzuerlangen und zu bewahren.
Text & Bilder: Małgorzata Urlich-Kornacka
Die Autorin bedankt sich herzlich bei Dr. Alan Weiss (Breslau schaut aus der Erde hervor) für die Hilfe bei der Suche nach Archivdokumenten.