Ausstellung “Unheimisch | Nieswojość” verlängert

Fotoausstellung in der Galerie Brüderstraße 9 in Görlitz wurde verlängert bis 30.06.2020.

Fotografien aus Niederschlesien nach 1945 von Agata Pankiewicz und Marcin Przybyłko.

Die am 6. Februar 2020 eröffnete Fotoausstellung “Unheimisch / Nieswojość” ist bis 30. Juni 2020 verlängert worden. Seit der am 4. Mai erfolgten Einführung der Lockerungen der Beschränkungen im öffentlichen Leben gelten in der Galerie Brüderstraße dieselben Hygiene- und Verhaltensregeln zur Vorbeugung von Infektionen, wie sonst im öffentlichen Bereich (Mund-Nasen-Schutz und Abstand).

Die Fotoausstellung über Niederschlesien nach 1945 thematisiert das Phänomen der Region Polens, in der es einen beinahe vollständigen Bevölkerungswechsel gab, und veranlasst erneut, über die kulturellen und die in der Landschaft sichtbaren Folgen dieses Prozesses nachzudenken.

Der Ausstellung liegt eine gleichnamige polnische Publikation zugrunde, die im Dezember 2019 von der Kunstakademie Krakau (Akademia Sztuk Pięknych w Krakowie) und dem Verlag Wydawnictwo Warstwy am Breslauer Literaturhaus (Wrocławski Dom Literatury) herausgegeben wurde. Neben den Fotos sind Essays von 12 Autorinnen und Autoren (unter anderem Olga Tokarczuk, Ziemowit Szczerek, Ilona Witkowska) aufgenommen, in denen sie über die kulturellen Folgen des Bevölkerungsaustausches nach 1945 in der geistigen und sichtbaren Landschaft Niederschlesiens reflektieren.

Die Bilder sprechen ein schwieriges Thema an, ein Thema, das in Polen intensiv diskutiert wird. Erst jetzt ist dieser Diskurs in der Form überhaupt möglich, nach der Wende, in der Enkel- und Urenkelgeneration der ersten polnischen Siedler. Der Diskurs ist zwar ein polnisches Phänomen, aber auch aus der deutschen Perspektive interessant und aufschlussreich. Es handelt sich ja um die ehemals deutschen Gebiete und um den Umgang mit dem deutschen Kultur- und Architekturerbe.

Aber nicht um die ganze Bandbreite dieses Themas geht es in der Ausstellung. Die Galeriebesucher werden keine sanierten Schlösser sehen. Pankiewicz und Przybyłko sind Fotografen mit anthropologischer Mission, sie machen nur ganz bestimmte Fragmente der niederschlesischen Landschaft sichtbar. Ihre Fotografien sind eine soziologisch-kulturelle Niederschrift, ein pathetischer Ausdruck des Dramas, das sich an diesen Orten abspielte. Ostentativ konträr zu den Hochglanzfotos der Tourismusindustrie, schreiben diese Bilder einen subjektiven, kritischen Gegenentwurf zu der allgemein bekannten Geschichte.

Den Schlüssel zum Verständnis des Phänomens, liefert ein Zitat aus einer Erzählung von Henryk Worcell aus dem Jahre 1945. „Der Boden ist seit Jahrhunderten unser, aber die Häuser sind es nicht.“ In der Ausstellung sehr dominant präsentiert, verdeutlicht das Zitat die Stimmungslage nach dem Krieg und hilft zu verstehen, wie unheimisch sich die neuen Bewohner Niederschlesiens in der neuen Heimat gefühlt haben mussten, wo sie den Propagandaparolen von den „wiedergewonnenen Gebieten“ folgten, aber mit dem Vorgefundenen wenig anfangen konnten, wo sie den Boden zwar als ihr Terrain, aber die Bauten nicht als Zuhause empfanden.

Die folglich verletzte Landschaft besteht aus architektonischen Spuren und Schichten, die sich in den Kriegsjahren und Nachkriegsdekaden ablagerten. Sie sind der visuelle Ausdruck eines Kulturclash, einer kulturellen Diskontinuität, des Weggangs einer Kultur und der Ankunft einer anderen. Die andere Kultur hat die vorgefundene Landschaft gründlich umgepflügt, teilweise unumkehrbar, und hat damit eine neue Landschaft geschaffen, eine neue Ästhetik, an der man die soziale und gesellschaftliche Problematik ablesen kann.

Die ausgestellten Bilder machen die Folgen dieses Kulturclash kompromisslos sichtbar. Professor Marta Leśniakowska hat das in ihrem Essay so formuliert: „Das Bild des neobarocken Portals, das einmal zum Hof eines nicht mehr existierenden Schlosses führte und heute neben primitiven Garagen steht, hat hier eine paradigmatische Dimension. Es wird schmerzhaft deutlich, welch dramatisches Verhältnis die beiden Kulturen eingehen. Die Reste, Spuren, Reliquien, Abdrücke der kleinen Gedächtnisse sind hier der Erosion und der systemischen, politisch motivierten Verdrängung durch die neue Gesellschaft ausgesetzt. Dadurch gewinnen sie eine universelle Dimension von einer starken emotionalen Ladung.“

Emotional geladen war schon die Buchpremiere von „Nieswojość“ im Dezember 2019 in Wrocław. Es wurde mehr als deutlich, dass es unterschiedliche Stimmen in dem innerpolnischen Diskurs gibt und dass das Thema noch lange nicht ausdiskutiert ist.

Die Ausstellung wird vom Kulturreferat am Schlesischen Museum zu Görlitz in Kooperation mit der Görlitzer Kulturservicegesellschaft mbH organisiert.  

Öffnungszeiten: Mo-Fr 11-18, Sa 13-18, Eintritt frei.

Text: Agnieszka Bormann
Bilder: Ausstellungseröffnung am 6. Februar 2020, Fot. Jakub Purej