Vor einhundert Jahren wurde das Teschener Schlesien erstmals in seiner Geschichte geteilt
Die im Sommer 1920 festgelegte Linie bildet bis heute die Staatsgrenze zwischen Polen und der Tschechischen Republik.
Nach dem Zerfall des österreichisch-ungarischen Vielvölkerstaates 1918 erhoben die Tschechoslowakei und Polen Anspruch auf diesen multikulturellen Teil Schlesiens, in dem laut Volkszählung von 1910 430.000 Menschen lebten, die Polnisch (54 Prozent), Tschechisch (27 Prozent) und Deutsch (18 Prozent) als Muttersprache angaben. Prag begründete seinen Anspruch mit der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Schlesiens zur böhmischen Krone. Warschau sah wiederum das Ergebnis der letzten österreichischen Volkszählung als starkes Argument für den Anschluss der Region an den nach über 120 Jahren wiedererstandenen polnischen Staat. Völlig außer Acht ließ aber eine solche Interpretation den Umstand, dass sich ein nicht unbedeutender Anteil der polnischsprachigen Bevölkerung (sogenannte Schlonsaken) mit dem von Warschau aus regierten Staat nicht identifizierte und sich dem deutschen Kulturkreis zugehörig fühlte.
Schon Anfang November 1918 einigten sich die lokalen Nationalräte der Tschechen und der Polen im Herzogtum Teschen auf eine vorläufige Grenze, die der in der Volkszählung ermittelten Sprachsituation entsprach und somit den größeren Teil der Region, einschließlich des Industriegebietes um Karwin unter polnische Verwaltung stellte. Prag, mit der vorläufigen Trennlinie nicht zufrieden, nutzte im Januar 1919 die Beteiligung der polnischen Streitkräfte an den Kämpfen gegen die Armee der Westukrainischen Volksrepublik in Ostgalizien und besetzte innerhalb von wenigen Tagen fast die gesamte Region. Nach dem polnischen Gegenangriff wurde ein Waffenstillstand geschlossen, in dem eine neue, aus Sicht Prags günstigere Demarkationslinie festgelegt wurde. Kurz darauf beschlossen die Siegermächte im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz die Durchführung einer Volksabstimmung im Teschener Schlesien. Im Vorfeld des geplanten Plebiszits erschütterte die ganze Region aber eine derart große Welle von Gewalt, dass beide Seiten auf die Volksabstimmung verzichteten und sich in Überzeugung des eigenen Sieges auf ein internationales Schiedsgericht verließen.
Die endgültige Entscheidung traf der Botschafterrat der Siegermächte während der Konferenz in Spa am 28. Juli 1920, einem Termin, der für die polnische Seite kaum schlechter sein könnte. Da zum damaligen Zeitpunkt eine Großoffensive der Roten Armee die weitere Existenz des polnischen Staates gefährdete, war Warschau bereit, fast jeden internationalen Entschluss zu akzeptieren, um alliierte Unterstützung zu erhalten. Mit den Beschlüssen von Spa wurden 56 Prozent des strittigen Gebiets einschließlich des Bergbaugebiets um Karwin der Tschechoslowakei zugesprochen. Die neue Grenzlinie beließ zudem die für Prag äußerst wichtige Kaschau-Oderberger Bahn komplett auf tschechoslowakischer Seite, was zur Teilung der Hauptstadt der Region – Teschen – führte, die seitdem aus der tschechischen West- und der polnischen Osthälfte besteht. Die 1920 festgelegte Linie trennt die Region mit Ausnahme der Jahre 1938 bis 1945 bis heute.
Text: Dawid Smolorz