Grenzübergreifende Zusammenarbeit der Landsmannschaft Schlesien und Schlesienfreunde mit der Gemeinde Schreiberhau
Ein Bericht von Friedemann Scholz.
Der spontanen Kontaktaufnahme eines unserer Mitglieder mit dem Bürgermeister der Gemeinde Schreiberhau im November 2019 und der daraufhin erfolgten Planung eines gemeinsamen Arbeitseinsatzes verdanken wir eines unserer erlebnis- und erfolgreichsten Wochenenden. Eigentlich war diese Aktion bereits für das Frühjahr geplant, musste aber aus dem bekannten Grunde abgesagt werden. Nach der lang erwarteten Grenzöffnung einigten wir uns mit dem Bürgermeister, Herrn Mirosław Graf, auf einen zweiten Versuch am Wochenende des 18.-20. September. Er war von Beginn an sehr offen für unser Anliegen. Im Vorfeld wurden von Mitarbeitern der Stadt Aushänge getätigt, welche die Einwohner zur gemeinsamen Mitarbeit am bilateralen Arbeitseinsatz aufriefen. Sehr hilfreich waren die notwendigen Vorarbeiten wie Mähen und Bäume ausästen, welche viel Arbeit abnahmen und die Konzentration auf das Eigentliche ermöglichten.
Bereits am Vormittag des 18.9. begannen die Mitglieder unserer Landsmannschaft sowie die Schlesierfreunde eigenständig mit dem Arbeitseinsatz. Zuvor begrüßten uns die Mitarbeiter des Kulturzentrums. Der zuständige Leiter des Betriebsamtes übergab uns erforderliche Werkzeuge und Arbeitsmittel. Zwei Großcontainer für den Baumschnitt wurden ebenso bereitgestellt. Bei herrlichem Wetter konnten wir sofort mit der Beräumung der oberen Hälfte des Friedhofs beginnen. Bis zum frühen Nachmittag waren die Container schon befüllt, nach Gesamteinsatz sogar überfüllt, so dass weitere Abfälle dann auf einer Nebenfläche deponiert werden mussten. Anschließend bildeten wir drei Gruppen für die weiteren Arbeiten. Zwei von ihnen übernahmen das Freilegen, Bergen, Aufstellen und Sichern von vorhandenen Grabsteinen. Die dritte Gruppe säuberte diese und half beim Sichtbarmachen der Inschriften. So arbeiteten wir bis nach 17 Uhr, unterbrochen von einem Mittagsimbiss mit Getränken in der nahegelegenen „Iserbaude“, welchen die Gemeinde für uns zur Verfügung stellte. Nach diesem ersten Tag waren schon erste sichtbare Ergebnisse zu verzeichnen. Bei einem selbstbereiteten und ausgiebigen Abendbrot in unserer Unterkunft ließen wir den Tag in der „Iserbaude“ in geselliger Runde bei Bier und Gesang ausklingen.
Gespannt erwarteten wir am Sonnabend 10 Uhr die offizielle Eröffnung des Friedhofseinsatzes durch den Bürgermeister. Wie viele Einwohner werden wohl den Weg finden, um die Aktion zu unterstützen? Haben die jetzigen Einwohner überhaupt Interesse an einem evangelischen deutschen Friedhof? Seit 9 Uhr arbeiteten wir bereits wieder auf jenem. Über die Resonanz waren wir positiv überrascht, denn einige Mitarbeiter der Gemeinde und mehrere Einwohner waren dem Aufruf gefolgt und so fanden sich gegen 10 Uhr ca. 20 Freiwillige auf dem Friedhof ein. Ein Reporter der regionalen Presse dokumentierte die Eröffnungsveranstaltung sowie den Arbeitseinsatz, an welchem sich nunmehr über 30 Helfer beteiligten. Inzwischen ist ein Bericht des gemeinsamen Einsatzes auf der offiziellen Netzseite der Stadt Schreiberhau zu lesen.
Pünktlich eröffnete der Bürgermeister den gemeinsamen Arbeitseinsatz zur Revitalisierung des Friedhofs. In seiner kurzen Ansprache dankte er uns außerordentlich für unsere zündende Initiative und Engagement, die ihn von der Ernsthaftigkeit unserer Bemühungen überzeugte. Durch diesen gemeinsamen Einsatz geht auch ein starkes Zeichen an die zuständigen Denkmalpfleger, die endlich mehr für den Erhalt und die Restaurierung des Friedhofs tun sollten. Unser Mitglied Robert Wollny übernahm die Rolle des Dolmetschers und stellte unsere Gruppe den polnischen Teilnehmern vor. Als Gastgeschenk überbrachten wir dem Bürgermeister ein großes rundes Brot mit der Verzierung „Danke“ in polnischer Sprache, außerdem je einen Klecks-, Streusel-, Mohn- und Heidelbeerkuchen für die gesamte Gemeinde. Unsere Geste wurde sichtlich bewegt aufgenommen.
Nach der gegenseitigen Begrüßung aller Teilnehmer nahem wir Aufstellung für ein Gruppenfoto. Daraufhin bildeten sich schnell gemischte Gruppen, die auf das gesamte Areal verteilt wurden. Nun konnte auch die untere Hälfte des Friedhofs in Angriff genommen werden. Dort begann die Räumung von Baum- und Grasschnitt sowie Glas- und Kunststoffmüll. Auf diesem Teil wurden im Anschluss ebenfalls schon erste Grabsteine freigelegt und geborgen. Im oberen Teil setzten wir die Arbeiten vom Vortag fort, wagten uns mit Hilfe eigener „Hebetechnik“ und der erlernten Hebelgesetze auch an größere Grabsteine heran. Mit der Motorsense entfernten wir den letzten Streifen Buschwerk, in dessen Bereich noch mehrere Grabmale sichtbar wurden. Manchmal fanden wir auch die ursprünglich auf dem Grab angebrachten gusseisernen Grabstellennummern. Mit Hilfe dieser werden wir im vorhandenen Grabstellenbuch von Nieder- Schreiberhau nach den zugehörigen Namen suchen. Jeder neu geborgene Stein wurde nach seiner Reinigung begutachtet. Jahrzehntelang lagen diese Grabsteine auf ihrem „Gesicht“, waren nicht zu lesen. Nun endlich zeigten sie uns Namen und oft auch die Berufe der Verstorbenen. Apotheker, Doktor, Fuhrwerksbesitzer, Gastwirt, Hotelbesitzer, Glasschleifenmeister, Glaspacker, Prokurist, Postagentin, Hotelbesitzer, Bäcker, Fleischer, Hausbesitzer, Landwirt, Kaufmann und sogar Rentenempfänger- das ist eine Auswahl der Berufe, die wir fanden. Mit jedem wieder sichtbar gemachten und aufgestellten Stein erhielten die Verstorbenen ihre Würde und ihren Namen zurück.
Während des Arbeitstages bekamen wir auch Besuch von einem 1939 in Schreiberhau geborenen Herren. Er nahm 6 Stunden Autofahrt auf sich, um an diesem Tag dabei sein zu können. Sehr emotional und dankbar verfolgte er unsere Arbeiten, so manche Träne konnte er verständlicherweise nicht verstecken. Gegen 15 Uhr endete der Arbeitseinsatz offiziell und alle Beteiligten nahmen die Einladung zum gemeinsamen Grillen in der „Iserbaude“ an. Schmackhafte, kalorienreiche Würste brutzelten auf dem Grill, unser Begrüßungsbrot wurde vom Bürgermeister aufgeschnitten. Zwei der gesponserten Kuchen gingen reihum. Da sich in unseren Reihen vier sprachkundige Mitglieder befanden, entwickelte sich eine lebhafte Unterhaltung zwischen den polnischen und deutschen Beteiligten des Arbeitseinsatzes. Durch das Ergebnis des Tages sichtlich beeindruckt, machte der Bürgermeister (“Endlich erkennt man wieder einen Friedhof”) spontan den Vorschlag, voraussichtlich am 7.-8.11.2020 einen fortführenden Arbeitseinsatz zu organisieren. Wir besprachen mit ihm die weiteren Schritte für die Arbeiten, nötige Technik für die Hebung der großen, schweren Grabplatten sowie Baumfällungen.
Von unserer Seite versicherten wir ihm eine stetige Unterstützung bei dem Friedhofsvorhaben. Mit dem erreichten Ergebnis der zwei Tage im Rücken, wird Herr Bürgermeister Graf dem Denkmalamt starke Argumente für eine beschleunigte Sanierung des Friedhofs liefern können. Nach der Verabschiedung aller gegen 16 Uhr und nochmaligem Dank für das Geleistete löste sich unsere Schar auf. Einige unserer Mitglieder gingen noch einmal auf den Friedhof zurück und erledigten restliche Arbeiten. Dabei überraschte uns der Anwohner eines benachbarten Grundstücks mit der Übergabe einer zerbrochenen Grabtafel, die bei ihm viele Jahre auf dem Boden lagerte. Eine andere Bewohnerin informierte über einen Grabstein auf ihrem Dachboden. Wir versprachen ihr, diesen bei unserem nächsten Aufenthalt in Schreiberhau abzuholen und auf den Friedhof zurückzubringen.
Den vorerst letzten Abend verbrachten wir in geselliger Runde. Auch unser Pensionswirt hatte eine Überraschung – er übergab uns eine Probe seiner schmackhaften Backkunst. Vor dem Umbau zur Pension war der Bäckereiberuf sein Broterwerb.
Der Sonntag begann noch einmal mit dem gemeinsamen Frühstück unserer Mitglieder und Freunde. Danach begann für die meisten der Aufbruch nach Hause. Ich persönlich nutzte den Vormittag zu einem ausführlichen Rundgang auf „unserem“ Friedhof, bei dem ich noch viele Fotos machte. Dem Carl und Gerhard Hauptmann- Haus in Schreiberhau stattete ich noch einen Besuch ab und danach ging es auch für mich zurück.
Dieser Bericht wäre nicht vollständig, ohne die Würdigung der Unterstützer unserer Aktion. Sie haben es mit ermöglicht, diesen Arbeitseinsatz zu einem großen Erfolg werden zu lassen. Darum bekommen sie hier ihren verdienten Platz.
Zunächst möchten wir uns beim Sächsischen Staatsministerium des Innern mit dem sächsischen Beauftragten für Vertriebene und Spätaussiedler, Herrn Dr. Jens Baumann, für die erstmalige Förderung unseres Projektes herzlich danken. Wir hoffen auf eine weitere gute Unterstützung.
Ein Riesendank gilt unserem Mitglied Armin Hübner, dem Hübner-Bäcker aus Horka bei Niesky. Er unterstützte uns mit schlesischem Kuchen als Gastgeschenk und zur Wochenendverpflegung. Außerdem spendierte er das Begrüßungsbrot für den Bürgermeister der Gemeinde und zwei „Dreipfünder“ für das Abendbrot.
Und damit wir etwas auf der „Bemme“ haben, stellte uns unser Mitglied Roberto Pusch Wurstwaren aus der eigenen Produktion seines Hofladens zur Verfügung. Auch dafür ein großes Dankeschön. Ein besonderer Dank gilt unserem Mitglied Robert Wollny für seine professionelle Kontaktaufnahme mit der Gemeinde Schreiberhau, seiner perfekten Organisation bei unserem Aufenthalt und seinen Diensten als Übersetzer.
Herzlichen Dank unserem Quartiergeber in der „Alten Bäckerei“.
Ein großer Dank gilt dem Bürgermeister Mirosław Graf und seinen Mitarbeitern für die geleisteten Vorarbeiten, die Verpflegung mit Getränken und Imbiss, der Bereitstellung von Werkzeugen und Arbeitsmitteln, für ihre Gastfreundschaft, das entgegengebrachte Vertrauen und die gute Zusammenarbeit. Wir sind uns an dem Wochenende nähergekommen und auf dem Weg, verlässliche Freunde zu werden.
Wir kommen gern wieder!!!
Tausend Dank unseren Familien, die wieder einmal ein Wochenende ohne uns auskommen mussten.
Danke an unsere eingearbeitete, verschworene Truppe, die wirklich Außergewöhnliches geleistet hat.
Und letztlich Dank dem „Herrn der Berge“, Rübezahl, der bei unserem Herrgott das herrliche Wetter bestellt hat.
Text: Friedemann Scholz