Vor 82 Jahren brannte die Neue Synagoge in Breslau ab
Die „Tage des gegenseitigen Respekts“ haben sich als Veranstaltungsreihe zum Gedenken an den 9. November 1938 etabliert – dieses Jahr finden sie online statt.
Vor 82 Jahren brannte die Neue Synagoge in Breslau ab, die neben der Neuen Synagoge an der Oranienburgerstraße in Berlin die größte und schönste in Deutschland war. Dem Rabbiner Hermann Vogelstein wurde nicht mal erlaubt, die liturgischen Bücher zu retten. Mit der Zerstörung der Synagoge während der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 begann die Etappe der physischen Vernichtung des deutschen Judentums auch in der niederschlesischen Hauptstadt.
„Es gibt Ereignisse in unserer Geschichte, die wir am liebsten vergessen würden. Aber trotzdem dürfen wir sie nicht vergessen. Es gibt Nächte, zu denen Jahrestagen wir schweigen möchten. Aber trotzdem müssen wir unsere Stimme erheben. Es gibt Ereignisse, für die wir keine Verantwortung übernehmen wollen. Und doch müssen wir auch trotz alledem sagen: Aus diesen Tagen eine Lehre zu ziehen, ist unsere große gemeinsame Verantwortung“ – sagte der Stadtpräsident Jacek Sutryk beim letzten „Marsch des gegenseitigen Respekts“ am 9. November 2019.
Der erste „Marsch des gegenseitigen Respekts“ fand 2005 auf die Initiative der in Breslau lebenden jüdicsh-norwegischen Sängerin Bente Kahan statt. Seit dieser Zeit ist er zu einer Tradition geworden – alljährlich nehmen an diesem Ereignis Hunderte von Breslauern teil. Anwesend sind immer die Vertreter der Stadt, der Woiwodschaft, des deutschen Generalkonsulats. Der Marsch findet ohne Slogans, Schreie und Transparente statt. Nur weiße Rose und Kerzen werden getragen. Er führt von der Storchsynagoge in der Wallstraße (heute ul. Włodkowica) bis zum Gedenkstein am Anger, wo bis 1938 die Neue Synagoge stand (ul. Łąkowa). Er hat zum Ziel, vor allem der Opfer der Pogromnacht zu gedenken, aber auch die Teilnehmer zum Nachdenken zu zwingen, wenn es auch um gegenwärtige Ereignisse in der Welt geht. Mit der Zeit wurde der Marsch um weitere Elemente ergänzt: Konzerte, Vorträge, Workshops. In diesem Jahr werden die „Tage des gegenseitiges Respekts“ wegen der Pandemie online präsentiert. Die Premiere des diesjährigen Konzerts findet am 9. November um 18.00 Uhr statt.
Die am 29. September 1872 eröffnete liberale Synagoge (sog. Neue Synagoge), ein Werk des Architekten Edwin Oppler, war damals die zweitgrößte in Deutschland. Sie bot 1850 Gemeindemitgliedern Platz. Edwin Oppler, der auch andere Synagogen entwarf (u.a. in Schweidnitz/ Świdnica, Hannover, Hameln oder Bleicherode), schuf sie für den liberalen Gemeindeflügel der Breslauer Synagogengemeinde. Dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend wurde sie im Stil des Historismus (Eklektizismus) mit byzantinisch-römischen Elementen erbaut. Der Architekt wählte speziell den neoromanischen Stil. Das Projekt sollte sich für die Idee der Assimilierung, die von den liberalen Juden hervorgehoben wurde, einsetzen. Oppler ließ sich mit der mittelalterlichen Architektur des Rheinlands inspirieren (die Kathedralen in Aachen, Worms, Mainz, Speyer). „Der deutsche Jude (muß) im deutschen Staate auch im deutschen Style bauen!“ – so war das Motto Edwin Opplers. Die Synagoge hatte eine imposante Kuppel und vier achteckige Türme. Der Innenraum der Neuen Synagoge war orientalisch geprägt (besaß bunte Polychromie). 1895 wurde die Beleuchtung von Gas auf elektrisches Licht umgestellt. Die Plätze für die Frauen befanden sich auf den Emporen, es wurde jedoch auf die Trennwände verzichtet. Und was vielleicht erstaunt – die Synagoge besaß eine Orgel, die als ein ganz typisch christliches Element angesehen wird.
Die Synagoge wurde gegen 2 Uhr in der Nacht vom 9./10. November 1938 durch Breslauer SA-Horden unter SS-Oberführer Fritz Katzmann ins Feuer gesteckt. Sie wurde bis zum Morgengrauen zu einer Ruine. Weil die Kuppel mit dem Einsturz drohte, wurde sie am nächsten Tag weggesprengt. Es sollte von ihr keine Spur mehr bleiben. Dank einem polnisch-deutschen Projekt, das 2018-2019 durchgeführt wurde, geschah aber anders. Es wurde eine digitale Rekonstruktion der Neuen Synagoge vorbereitet. Dank Prof. Piotr Kuroczyński, Leiter des Instituts für Architektur der Hochschule Mainz, und seinen Mitarbeitern und Studenten, können wir die Synagoge sehen und bewundern. Die Ergebnisse sind wirklich atemberaubend!
Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka
„Wrocław wird auf böse Worte reagieren! Es wird unwürdige Demonstrationen, egal unter welchen Fahnen sie stattfinden, unterbrechen. Sie wird sich für die Beleidigten und Verfolgten einsetzen. Wrocław lässt sich nicht einschüchtern. Wrocław hat Schlussfolgerungen aus der Lektion der Geschichte Breslaus gezogen“ – sagte Stadtpräsident Jacek Sutryk.