Ein ungewöhnlicher Stadtplan führt in Wrocław (Breslau) zu deutschen Inschriften

Unter dem Putz schaut Breslau hervor

Unter dem Motto werden Orte mit sichtbaren Spuren deutscher Vergangenheit der Stadt dokumentiert und präsentiert.

Breslau und Wrocław – ein deutscher und ein polnischer Name für dieselbe Stadt? Oder hieß die deutsche Stadt (bis 1945) Breslau und die polnische heißt (ab 1945) Wrocław? 

Der Name Breslau war nach dem Zweiten Weltkrieg in Polen verboten. Solche Stadt gab es einfach nicht. Wie der berühmte polnische Sprachwissenschaftler Prof. Jan Miodek erklärt, sind die Wurzel beider Städtenamen gleich. Der Name der Stadt kommt von dem böhmischen Fürst Wratislav I., der der Legende nach der Begründer der Stadt ist. Der Name evaluierte durch Jahrhunderte von Wrotizla durch Wratslaw, Bresslaw, Bressla, Bresslau bis Breslau und Wrocław. „Jede große Stadt hat Recht darauf, ihren Namen in verschiedenen Sprachen zu nutzen. Die Deutschen fahren nach Prag (die Polen nach Praga) und nicht nach Praha, man besichtigt Rom (bzw. Rzym) und nicht Roma. Die niederschlesische Hauptstadt heißt also auf Deutsch Breslau und auf Polnisch Wrocław“ – sagt der in Polen sehr bekannte Sprachwissenschaftler.

Aber so selbstverständlich war das früher nicht. Durch den Zweiten Weltkriegs waren die Wunden in der polnischen Gesellschaft so tief, dass man alles, was deutsch war, ausradieren wollte. Alles, was historische Zusammenhänge mit Deutschland aufweisen konnte, musste aus dem öffentlichen Raum verschwinden: vor allem Denkmäler (in erster Linie die Prestigedenkmäler, die besonders wichtig für die Deutschen waren oder bei den Hauptstraßen standen), Inschriften, Friedhöfe. Also alle Elemente, die der Stadt „einen fremden Charakter” verliehen haben. Die ganze Aktion nannte man „Entgermanisierung“ oder „Entdeutschung“ der Stadt.

Die polnische Bevölkerung, die hierher, in das „wiedergewonnene, urpolnische Piasengebiet“ kam, sollte sich schnell heimisch und sicher fühlen. Und dieses Ziel wollte man durch die Gründung von polnischen kulturellen Einrichtungen, Verminderung der Zahl und schließlich Vertreibung der deutschen Einwohner und eben durch die bereits erwähnte Entfernung der deutschen Inschriften und Denkmäler erreichen. Die Ansiedler nannte man sogar offiziell „Repatrianten“, obwohl sie überhaupt nicht nach Hause zurückkehrten, sondern in eine fremde (und zu 70% zerstörte) Stadt kamen.

Um der Stadt möglichst schnell ein polnisches Antlitz zu verleihen, wurde allen Immobilieneigentümern im September 1945 unter strafrechtlicher Verantwortung angeordnet, die deutschen Inschriften zu entfernen. Für die Ausführung des Befehls setzte man eine unrealistische Frist von einer Woche. Es war eine Prioritätssache – es ging darum zu beweisen, dass Wrocław eine polnische Stadt ist. Man musste mit der „Entgermanisierung“ spätestens bis 1948 fertig werden, denn damals fand in Wrocław die große „Ausstellung über die wiedergewonnenen Gebiete“ statt. Die Kulturbehörden, Presse und Propagandaabteilung intervenierten immer wieder in dieser Angelegenheit, was dazu führte, dass man in einigen Fällen übereifrig war: man beseitigte auch Elemente, die historisch sehr wertvoll waren (z. B. Inschriften auf den Epitaphien). Die Krönung der Aktion bildete der im Frühling 1947 von der Zeitung „Słowo Polskie“ organisierte Wettbewerb „Wir entfernen Spuren des Deutschtums in Wrocław“. Als Preise wurden unter den Teilnehmern polnische Bücher verlost!

Zum Glück wurden nicht alle Inschriften beseitigt. Sie kommen immer wieder unter dem Putz hervor. Es gibt auch immer mehr Menschen, die sich für die Geschichte der Stadt interessieren und auf der Suche nach Breslau der Vorkriegszeit unterwegs sind.

Unter dem Putz schaut Breslau hervor

Das Wissen um deutsche grafische Zeichen und Inhalte, die im öffentlichen Raum von Wrocław noch anzutreffen sind, ist verstreut, nicht systematisiert und noch wenig bekannt. Gleichzeitig ist sie ständig gefährdet. Ein gemeinsames Projekt der Tymoteusz-Karpowicz-Stiftung und des Forschungszentrums für das kulturelle Erbe Niederschlesiens mit dem Namen Spod tynku patrzy Breslau (Unter dem Putz schaut Breslau hervor) bietet erstmalig Gelegenheit, die Problematik systematisch anzugehen.

Es wurden bereits über 200 verschiedene deutsche Inschriften gesammelt und in Form eines Stadtplanes geordnet. Der Stadtplan ist ein einzigartiges Projekt, das den Einwohnern und Touristen die Geschichte der Stadt veranschaulicht. Zu seiner Entstehung haben die Einwohner von Wrocław=Breslau beigetragen, indem sie Fotos oder Informationen schickten, wo noch alte Spuren zu finden sind.

Das Projekt „Spod tynku patrzy Breslau“ setzt sich weiterhin zum Ziel eine umfassende, moderne und nachhaltig ausbaufähige Erfassung dieses verstreuten Bestands an Vorkriegsinschriften, seinen Schutz und seine Förderung. Die modernen, multimedialen Werkzeuge zur Darstellung der Projektinhalte gewährleisten einen Zugang für alle Interessierten und aktivieren gleichzeitig die Einwohner von Wrocław. Für Touristen hingegen wird die Karte eine interessante Alternative darstellen, um die Vergangenheit der Stadt von einer wenig bekannten Seite kennenzulernen.

Einer der Ideengeber des Projekts ist Maciej Wlazło, bekannt als „Beard of Breslau“, der vor einigen Jahren anfing, die alten Inschriften zu dokumentieren und sie auf Facebook zu veröffentlichen. Maciej Wlazłos Aktivitäten werden in dem Bericht von Schlesien Journal (in deutscher Sprache) porträtiert:

Den Stadtplan kann man als PDF hier herunterladen (unten auf „mapa net“ klicken).

Die Internetversion von dem Stadtplan finden Sie hier.

Auf Wiedersehen in Breslau, Wrocław oder einfach WrocLove!

Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka

Quellen: Fundacja na rzecz Kultury i Edukacji im. Tymoteusza Karpowicza

Centrum Badań nad Dziedzictwem Kulturowym Dolnego Śląska