Buchempfehlung: „Greiffenberg in Schlesien. Historisches Portrait einer Stadt am Queis“ von Jarosław Bogacki

Die deutsch-polnische Publikation beleuchtet die wichtigsten Aspekte der Geschichte von Greiffenberg, heute Gryfów Śląski

Dank der Interreg-Förderung ist die Publikation im Internet frei zugänglich.

Der Historiker und Sprachwissenschaftler Dr. Jarosław Bogacki hat ein Buch über seine Heimatstadt Gryfów Śląski (Greiffenberg in Schlesien) geschrieben. Es ist keine klassische Monographie mit den wichtigsten Fakten, Personen, Vorgängen und Eigenheiten der Stadt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Wir erfahren nicht, wie die Siedlung gegründet wurde oder wann sie sich in eine Stadt verwandelte, wie viele Einwohner sie im Laufe der Geschichte hatte.

Was für ein „Portrait der Stadt“ ist es denn? Auf jeden Fall ein sehr persönliches und subjektives. In Gryfów geboren und aufgewachsen, ist Jarosław Bogacki heute Dozent an zwei angesehenen Hochschulen: am Institut für Linguistik an der Universität Opole (Oppeln) und am Lehrstuhl für Interkulturelle Germanistik an der Universität Bayreuth. Obwohl er seine Heimatstadt vor langer Zeit verlassen hat, kehrt er hierher gerne zurück und erforscht weiterhin das, was ihn in die Welt der Germanistik und der Geschichte des schlesisch-lausitzischen Grenzlandes getrieben hat – die Vergangenheit beider Länder, ihre außergewöhnliche interkulturelle Fruchtbarkeit und keineswegs provinzielle historische Leistungen.

Buchumschlag

Wie er selbst etwas anekdotisch sagt, waren es die Spuren der Stadtvergangenheit, die ihn dazu brachten, sich der Germanistik zuzuwenden, um die Sprache und Kultur der früheren Bewohner des Ortes kennen zu lernen und um zu verstehen, was auf dem prächtigen, ungewöhnlich suggestiven Epitaph der Familie Schaffgotsch in der St. Hedwig-Kirche geschrieben steht.

Bogacki ist kein Einzelfall. In der Generation der heute 50-Jährigen, die ihre Bildungs- und Berufswahl vor 30 Jahren getroffen haben, nachdem der kommunistische Knebel der Geschichte aufgehoben wurde, als es endlich möglich war, darüber zu sprechen, wer und wie in den polnischen Westgebieten früher gelebt hat, wird man viele ähnliche Motivationen finden. Einige wurden durch die eigene Neugierde motiviert, andere teilten ihre Neugierde, und viele entwickelten sich zu leidenschaftlichen Regionalisten. Noch nie war das Interesse für die lokale und regionale Geschichte so stark wie heute, auch wenn sich diese oft als schwierig und komplex erweist.

Komplexität ist auch ein wichtiger Aspekt, den der Autor des historischen Portraits der Stadt am Queis (heute Kwisa) streift. Das Buch besteht aus drei Teilen, die nicht unbedingt miteinander verbunden sind. Sie behandeln drei verschiedene Themen und sind gleichzeitig drei Momentaufnahmen verschiedener Stationen der Geschichte. Sie bilden weder eine lineare Geschichte, noch sind sie chronologisch aufeinander aufgebaut. Zu jedem Thema könnte ein separates Buch entstehen. Gleichzeitig erlaubt jedes, zu verstehen, was die Realität von Greiffenberg auf verschiedenen Ebenen zu unterschiedlicher Zeit geprägt hat.

Im ersten Teil des Buches werden Persönlichkeiten vorgestellt, die der Stadt für mehrere hundert Jahre ihren Charakter gaben: Kaufleute und Leinenfabriken. Zu Beginn der Neuzeit wurde Greiffenberg zu einem wichtigen Zentrum für die Weberei und den Leinenhandel. Biographien von bayerischen, holländischen, englischen und natürlich schlesischen Leinenhändler schaffen nicht nur das Kolorit der Stadt von vor drei bis fünf Jahrhunderten, sondern sie sind auch lehrreich, wie Geschichten über Menschen gewöhnlich sind.

Flachs war jahrhundertelang die Grundlage für den Wohlstand in Schlesien und der Oberlausitz. Vom Ende des Mittelalters bis ins 19. Jahrhundert entwickelten beide Länder, vor allem im südlichen Teil, in den Sudeten, enormen Flachsanbau, Flachsverarbeitung und Flachs-Textilproduktion. Es war der Flachs, der die Grundlage für den Reichtum so mancher Greiffenberger Familie bildete. Und obwohl wir keine Mühlen am heutigen Fluss Kwisa mehr sehen und es in der Stadt kein Geschäft gibt, das sich auf den Verkauf von Leinenkleidung spezialisiert hätte, lohnt es sich, daran zu denken, woher die Patrizier, die rund um den Marktplatz Mietshäuser bauten, ihr Einkommen bezogen.

Das Epitaph der Familie Schaffgotsch in der St. Hedwig Kirche in Gryfów Śląski (Greiffenberg in Schlesien). Foto: Arkadiusz Lipin

Der zweite Teil erzählt von einer weiteren Besonderheit des Lausitzer-Schlesischen Grenzlandes – der Grenzkirche in Niederwiesa (heute Wieża Dolna), einem Dorf, das im Süden an Greiffenberg angrenzt. Zusammen mit den so genannten Flüchtlingskirchen, die während des Dreißigjährigen Krieges entstanden, waren die Grenzkirchen nicht nur Gebetshäuser, sondern auch Zentren kultureller Eigenständigkeit, Brennpunkte religiöser Eigenart. Da die Kirchen ihre eigenen Schulen hatten, garantierte eine konfessionelle Einrichtung die Bildung der jungen Stadtbürger. Nach jahrelangen spionageähnlichen Bemühungen wurde das lutherische Gotteshaus mit Schule und Wirtschaftsräumen von den katholischen Bürgern der Stadt vor ihren Toren, in der protestantischen Oberlausitz, errichtet. Sie diente den Gläubigen fast 300 Jahre lang.

Faszination für die Schaffgotsch-Familie

Der letzte Teil des Stadtporträts ist eine ausführliche, historische und mit vielen wertvollen Exkursen versehene Beschreibung der Familiengruft der Schaffgotsch in der römisch-katholischen Pfarrkirche St. Hedwig. Dabei ist das ungewöhnliche, von Hans Klintsch in Sandstein gehauene Epitaph nur der Ausgangspunkt, um die Geschichte der Schaffgotsch zu erzählen. In dem Kapitel werden nicht nur viele wichtige Persönlichkeiten der verzweigten Familie erwähnt, die natürlich vor allem mit den Gütern am Fuße des Riesengebirges und des Isergebirges verbunden sind, sondern es werden auch heraldische und genealogische Fragen besprochen. Ein Glanzstück der Ausgabe ist auch das Vorwort von Hans Ulrich Graf Schaffgotsch.

Das markante Rathaus in Gryfów Śląski (Greiffenberg in Schlesien). Foto: Agnieszka Bormann

Vielen Bewohnern Westschlesiens und der Oberlausitz ist die Faszination für die Familie Schaffgotsch nicht fremd. Kein Wunder. Diese starke, tüchtige und angesehene Familie hat dem schlesischen Land einen tiefen Stempel aufgedrückt. Von ihrem Einfallsreichtum profitieren bis heute die Bewohner Schlesiens, aber auch der angrenzenden Gebiete und sogar der weit vom Oderland gelegenen Länder. Auch Bogacki macht aus seiner Bewunderung für die Schaffgotsch keinen Hehl. Wer das publizistische Schaffen und die öffentlichen Auftritte des Oppelner Germanisten verfolgt, weiß, dass er spannend über die auf der Burg Greiffenstein, Kynast und Altkemnitz herrschenden Nachfahren von Gotsche Schoff sprechen kann (so auch im Schlesischen Museum zu Görlitz in der Reihe des Kulturreferates Schlesien erfahren: Video // Text des Vortrags).

Zweisprachig, reich bebildert und frei zugänglich

Die größte Besonderheit der Publikation ist ihre Zweisprachigkeit. Jarosław Bogacki schrieb es gleichzeitig in beiden Sprachen. Um die Gleichzeitigkeit zu betonen, wird der Inhalt abwechselnd in polnischen und deutschen Absätzen dargeboten. So gesehen kann das Buch ein gutes Lehrwerk für Studenten beider Philologien sein.

Die Publikation ist zudem reich bebildert. Porträts der vom Autor vorgestellten Personen, Dokumente, Fotos, Abbildungen und Karten ergänzen den schriftlichen Inhalt perfekt. Einige der Archivalien erschienen in der polnischen Literatur zum ersten Mal in gedruckter Form, was den wissenschaftlichen Wert der Publikation deutlich erhöht. Der Autor hat eine enorme Recherche in Archiven durchgeführt und sich zahlreicher Dokumentensammlungen und Reproduktionen bedient. Durch jahrelange Forschungen hat er umfangreiches historisches Material gesammelt, so dass wir eine Fortsetzung erwarten können. Abgerundet wird das Ganze durch einen harten, soliden Einband, der sicherlich der langen Lebensdauer des Buches dienen wird.

Das Buch wurde veröffentlicht von der Stadt- und Gemeindeverwaltung Gryfów Śląski als Bestandteil der Aktion „Revival! – Revitalisierung der historischen Städte in Niederschlesien und Sachsen“, das im Rahmen des grenzüberschreitenden Kooperationsprogramms INTERREG Polen-Sachsen 2014-2020 durchgeführt und mit Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung finanziert wurde.

Textvorlage: Arkadiusz Lipin
Redaktion und Übersetzung: Agnieszka Bormann

Hinweis: Durch die INTERREG-Förderung ist das Buch nicht im Handel erhältlich. Eine PDF-Datei ist frei zugänglich.