Den Jungen von hier wollten die Massen sehen

55.000 Fußballfans im Stadion in Bytom/ Beuthen

Das Länderspiel Deutschland gegen Rumänien – das wichtigste Fußballereignis in Oberschlesien während des Zweiten Weltkrieges.

(Orig.: Paweł Czado*, aus dem Polnischen übersetzt von Konrad Moczek)

Aus mehreren Gründen ist das damalige Aufeinandertreffen denkwürdig:

Der erste Grund: Bis heute ist es das einzige Fußballländerspiel auf Ebene der A-Nationalmannschaften, welches jemals in Bytom/ Beuthen stattfand. Die polnische Nationalmannschaft trug ihre Spiele vor dem Krieg in Kattowitz, danach in Chorzów/Königshütte, Zabrze/Hindenburg und sogar in Jastrzębie/ Bad Königsdorff-Jastrzemb auf, aber nie in Bytom/ Beuthen. Zugleich war es das einzige Spiel der deutschen Nationalmannschaft in der Rolle des Gastgebers in Oberschlesien.

Der zweite Grund: Das Spiel vom 16. August 1942 ging aufgrund seiner gigantisch hohen Besucherzahl in die Geschichte ein. Bei diesem Anlass versammelten sich in der Hindenburg-Kampfbahn in Beuthen – heute ist es das Edward-Szymkowiak-Stadion – fast 55.000 Fans (es wurden 52.500 Tickets verkauft)! Die Fans kamen aus ganz Oberschlesien zusammen. Es störte sie nicht, dass die Tickets verhältnismäßig teuer waren: Ab 5 Mark für einen Platz auf der Haupttribüne und 1,5 Mark für die schlechtesten Stehplätze. (Zum Vergleich: Zu dieser Zeit kostete ein halbes Liter Bier knapp 40 Pfennig). Alle Tickets waren aber trotzdem schon zwei Wochen vor dem Spiel ausverkauft.

Aktuell verfällt das Stadion. Vor einigen Jahren wurde mit Umbauarbeiten begonnen, aber nach einem Teilabriss kamen sie zum Erliegen.

Bildquelle: www.impromptuinc.wordpress.com

Brillantes Talent, ein Juwel

Der dritte Grund steht in Verbindung mit dem herausragenden oberschlesischen Stürmer Ernst (poln. Ernest) Willimowski. Er spielte sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Nationalmannschaft, aber in seinem heimatlichen Oberschlesien trat er nur einmal als Nationalspieler einer der beiden Nationalmannschaften in einem Länderspiel auf. Genau dieses eine Mal war das Spiel zwischen Deutschland und Rumänien.

Der mit einem faszinierenden Talent gesegnete Fußballer debütierte in der polnischen Nationalmannschaft in Alter von nur 17 Jahren und 332 Tagen. Es war das Spiel gegen Dänemark, das im Mai 1934 in Kopenhagen stattfand. In Oberschlesien wohnte er bis 1940. In dieser Zeit spielte die polnische Nationalmannschaft dort nur ein Spiel, aber es fand im Stadion von Pogoń Kattowitz statt (heute gehört es noch der Sporthochschule AWF Katowice, an diesen Ort soll aber ein Wohnviertel entstehen). An diesem Spiel gegen Jugoslawien im Jahr 1935 konnte Willimowski aufgrund einer Meniskus-OP nicht teilnehmen.

In einem offiziellen Länderspiel in Oberschlesien lief er also erst als deutscher Nationalspieler auf.

Ernst Willimowski. Bildquelle: www.impromptuinc.wordpress.com

Das Treffen in der Eichendorffstraße

Der heute 93-jährige Marian Lubina ist der Sohn von Paul Lubina, dem Trainer der Landesauswahl von Oberschlesien, der Willimowski vielfach in die von ihm geführte Mannschaft einberief. Marian Lubina erzählte mir, dass er „Ezi“ wenige Tage vor dem Spiel gegen Rumänien in Kattowitz traf. Zufällig begegnete er Willimowski in der Eichendorffstraße (heute Kochanowski-Straße), der in der Uniform eines Panzergrenadiers unterwegs war. Warum? weil die deutschen Nationalspieler während des Krieges vor einem Spiel zu Propagandazwecken nicht in ziviler Kleidung unterwegs sein sollten. Vor anderen Spielen waren sie mal in Uniform der Marine, mal in der Uniform der Infanterie gekleidet. Aus diesem Grund trug Willimowski vor dem Spiel eine Uniform der Panzergrenadiere. Anscheinend war es eine Anordnung von oben, obwohl der Fußballspieler wahrscheinlich nie in einem Panzer gesessen hat, zumindest gibt es dafür keine Belege.

Paul Lubina nahm seinen kleinen Sohn zu den Spielen der oberschlesischen Landesauswahl mit, dadurch kannte Ernst Willimowski Marian bestens. Der Junge ging zum Spieler und begrüßte ihn. Ernst fragte, wie es dem Vater gehe und richtete Grüße aus. Marian fragte resolut, ob er mit einem Ticket für das Spiel Deutschland gegen Rumänen rechnen könne. Willimowski erwiderte, dass die Eintrittskarte in der Wranglerstraße (heute Barbara-Straße) auf ihn warten werde, also dort, wo die Mutter des Spielers Paulina wohnte.

Über das Spiel zwischen Deutschland und Rumänien sprach ich mit dem heute bereits verstorbenen Gerald Cieślik, einem Nachkriegsstar des polnischen Vereins Ruch Chorzów. Als 15-jähriger fuhr dieser mit der Straßenbahn zu jenem Spiel. Über Willimowski sprach er mit Enthusiasmus, seiner Meinung nach war er der beste Fußballspieler, den er im Leben gesehen hat. Er erzählte mir, dass er vor dem Krieg extra zum Training von Ruch kam, um ihn spielen zu sehen. Cieślik meinte, dass Willimowski zwar keinen besonders starken Schuss hatte, aber dieses Dribbling! Er habe sich über das Spielfeld wie ein Hockeyspieler bewegt, im Übrigen habe er auch sehr gut Hockey gespielt, bei Pogoń Katowice. An das Spiel selbst erinnerte er sich hauptsächlich wegen der bereits erwähnten großen Menschenmenge und des damit verbundenen Gedränges im Stadion.

In diesem Gedränge standen überdies auch der damals 14-jährige Marian Lubina sowie der 10-jährige Ernst (polnisch: Ernest) Pohl. Vom Spiel seines Namensvetters begeistert soll er angeblich damals beschlossen haben, Fußballspieler zu werden. Ist nun die Feststellung, dass aus diesem einen Spiel so viel Gutes für den polnischen Nachkriegsfußball hervorgegangen ist, eine Übertreibung?

Ticket für die Ehrengäste zum Spiel Deutschland – Rumänien. Bildquelle: www.weszlo.com

In das eine Tor

Die rumänische Mannschaft brauchte zwei Tage, um vom Bahnhof in Bukarest zum Bahnhof in Beuthen zu gelangen. Marius Kowoll, ein schlesischer Forscher der Fußballgeschichte, gibt in seinem ausgezeichneten Buch „Fußball über alles“ (Orig. „Futbol ponad wszystko“), das von der Geschichte des Fußballs in Oberschlesien während des Zweiten Weltkrieges handelt, an, dass die Rumänen mit dem Frühstück in dem Beuthener Restaurant nicht zufrieden waren, weil es ihnen zu wenig pikant war. Im Eiltempo importierte man Gewürze aus dem Generalgouvernement für sie.

Der Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten reiste extra für das Spiel an. Die Gastgeber liefen in Beuthen in traditioneller Bekleidung auf: Schwarze Hosen und Strümpfe sowie weiße Trikots mit roten Kragen. Zu dieser Zeit gab es auf den Trikots noch keine Nummern.

In Beuthen spielte Willimowski bereits als Spieler des TSV 1860 München, damals einer der besten Mannschaften in Deutschland. „Ezi” brillierte als linker Flügelstürmer und unterstützte im Angriff unter anderem den berühmten Fritz Walter, der zwölf Jahre später Weltmeister werden sollte. Der legendäre Spieler des 1. FC Kaiserslautern erzielte in Beuthen drei Tore. Willimowski hingegen traf – ganz bescheiden – nur einmal ins Tor. Schlussendlich gewann Deutschland mit 7:0! Willimowski erzielte den letzten Treffer, indem er das runde Leder fünf Minuten vor dem Spielende mit einem präzisen Schuss unter die Latte versenkte. Das Stadion brach in Euphorie aus.

*Paweł Czado ist Journalist des polnischen Portals Sport Interia. Er stammt und lebt in Katowice/ Kattowitz.