Dombrowaer Kohlerevier (Zagłębie Dąbrowskie) wird oft irrtümlich als Teil Oberschlesiens betrachtet
Gründe sind die geografische Nähe und der Zughörigkeit zu derselben Wojewodschaft.
Aufgrund der geografischen Nähe und der Zughörigkeit zu derselben Wojewodschaft betrachten viele Einwohner Polens das Dombrowaer Kohlerevier (Zagłębie Dąbrowskie) als einen Teil Oberschlesiens. Dabei ist es selbstverständlich ein Fehler. Beide Regionen verbindet zwar die montane Vergangenheit, doch darüber hinaus trennt sie fast alles: die historische Entwicklung, die Tradition, die Architektur, teilweise auch die politische und nationale Gesinnung und nicht zuletzt der Bezug zu Deutschland. Annähernd 600 Jahre lagen die Landstriche in verschiedenen Staaten. Während Oberschlesien Teil Böhmens, Österreichs, Preußens und des vereinten Deutschlands war, befand sich die Gegend um Bendzin/Będzin, Dombrowa/Dąbrowa Górnicza und Sosnowitz/Sosnowiec – von einer kurzzeitigen Zugehörigkeit zu Preußen abgesehen – schon immer innerhalb der Grenzen Polens bzw. lag nach dem Zerfall der Adelsrepublik 100 Jahre lang im russischen Teilungsgebiet. Erst nach dem Anschluss Ostoberschlesiens an Polen 1922 verschwand die Staatsgrenze aus der dortigen Landschaft.
Diese unterschiedliche Prägung erklärt, warum für die meisten Oberschlesier jenseits der Flüsse Brinitza und Przemsa eine einigermaßen exotische und weitgehend unbekannte Welt beginnt. Zwar gibt es auch im Dombrowaer Revier Arbeitersiedlungen und historische Industrieanlagen, doch ihre Architektur unterscheidet sich meistens schon auf den ersten Blick von der, die man aus Kattowitz/Katowice, Beuthen/Bytom oder Hindenburg/Zabrze kennt. Gleiches gilt für die städtebauliche Gestaltung und auch allgemein für historische Architektur. Wohlgemerkt erleben Bahnreisende aus Oberschlesien die erste Überraschung schon, wenn ihr Zug in Sosnowitz hält. Denn gleich gegenüber dem Bahnhof befindet sich eine orthodoxe Kirche – ein klares Zeichen dafür, dass die Stadt einmal ein Grenzort im russischen Zarenreich war. Zwar war das Dombrowaer Kohlerevier wie Oberschlesien eine traditionell multikulturelle Region, doch setzte sich das dortige nationale Mosaik vor allem aus Polen und Juden zusammen. Im 19. Jahrhundert ließen sich in der Gegend zudem Russen und Deutsche nieder. Die erstgenannten waren vor allem als Lehrer, Verwaltungs- und Zollbeamte tätig, unter den letzteren handelte es sich wiederum überwiegend um Fachkräfte und Industrielle, die am westlichen Rande des Zarenreiches für sich gute Berufschancen sahen oder ihre Produktionsstätten nach Russland verlagerten. Dadurch konnten sie ohne Zolleinschränkungen Erzeugnisse für einen Markt produzieren, der von der Ostgrenze Deutschlands bis an das Japanische Meer reichte.
Nicht zu übersehen sind die Relikte der jüdischen Besiedlung, u. a. Friedhöfe und zwei erhaltene Haussynagogen. In den Städten des Dombrowaer Reviers lebten die Juden bis zum Holocaust meistens geschlossen in den zentralen Vierteln. In Bendzin machten sie mit 60 Prozent die Mehrheit der Stadtbewohner aus, in Sosnowitz und Czeladź war jeder dritte Bürger jüdischer Nationalität. Anders als ihre deutschsprachigen und deutsch gesinnten Glaubensbrüder aus Oberschlesien waren die Juden in der Dombrowaer Region meistens nicht assimiliert und sprachen untereinander Jiddisch.
Die frühere Staatsgrenze an der Brinitza und Przemsa ist auch in immaterieller Sphäre immer noch spürbar. Sie bildet quasi eine „Sprachgrenze“, denn für Teile der oberschlesischen Bevölkerung bleibt der regionale Dialekt die Muttersprache. In Sosnowitz, Bendzin und Umgebung wird dagegen praktisch ausschließlich das Hochpolnische gesprochen. Im Bereich der politischen Präferenzen lagen beide Regionen noch bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts in verschiedenen Welten. Während in den Industriezentren Oberschlesiens meistens für liberale Parteien gestimmt wurde, galt das Dombrowaer Revier als Hochburg der Postkommunisten.
Das Zentrum des oberschlesischen Kattowitz und die Innenstadt von Sosnowitz, dem Hauptort des Dombrowaer Kohlereviers, liegen ca. zehn Kilometer voneinander getrennt. An Brinitza und Przemsa liegen mehrere oberschlesische Orte und Orte der Dombrowaer Region gegenseitig in Sichtweite.
Text: Dawid Smolorz