Nach drei Wochen Krieg zwischen Russland und der Ukraine sind Tausende von Frauen und Kindern auf der Flucht
Wie ist die Flüchtlingssituation in Wrocław? Wir kann geholfen werden?
Seit drei Wochen dauert der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Tausende von Frauen und Kindern sind auf der Flucht und suchen ein neues Zuhause für diese unruhigen Zeiten. Es ist nämlich seit ein paar Tagen klar, dass die Russen keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen. Häuser, Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser werden bewusst und gezielt bombardiert.
Die erschütternden Berichte haben dazu beigetragen, dass man sich entschieden hat, schnell zu helfen. Es war zuerst eine spontane Aktion von den Breslauern: einer hat z.B. einen Zettel ausgehängt, dass er am nächsten Tag an die polnisch-ukrainische Grenze fährt, und die Nachbarn haben innerhalb von einigen Stunden die wichtigsten Bedürfnismittel gesammelt. Nach zwei-drei Tagen war es klar: gutes Herz und Empathie reichen nicht aus: es ist eine organisierte und vielseitige Hilfe notwendig. Die Koordinationsaktionen haben Stiftungen, NGOs und Hilfsorganisationen übernommen, aber der Schwerpunkt der Hilfe lag und liegt immer noch auf den einzelnen Menschen, die ständig Lebensmittel, Decken, Wasser und Medikamente liefern. In allen Firmen, Schulen, Supermärkten wurden Sammelpunkte für Produkte mit langem Verbrauchsdatum organisiert. Es ist inzwischen klar geworden, dass der Krieg länger dauern wird und dass er immer breitere Kreise macht.
Man muss sich auch auf eine große und längere Zuwanderungswelle der ukrainischen Zivilbevölkerung vorbereiten. Die größte Last der Flüchtlingswelle haben auf sich große Städte genommen, u. a. Warschau, Krakau und Breslau. Wie viele geflüchtete Ukrainer es jetzt in Niederschlesien gibt, weiß niemand. Denn viele von den Flüchtlingen sind zu ihren Familien oder Bekannten hierhergekommen, die schon früher hier lebten und oder wurden spontan von den Breslauern aufgenommen. Schon vor dem Ausbruch des Krieges arbeiteten in Wrocław ca. 150.000 Ukrainer. Wenn man nur berücksichtigt, dass jeder eine Person aufgenommen hat, sind die Zahlen heute doppelt so groß.
Es kommen stündlich und täglich neue Flüchtlinge an. Nicht alle wollen in Wrocław bleiben, aber man muss ihnen mindestens nach der langen Fahrt eine Übernachtungsmöglichkeit und Verpflegung sichern. Deshalb arbeitet die Stadtverwaltung intensiv daran, verschiedene Objekte so schnell wie möglich für die Flüchtlinge vorzubereiten. Ehemalige Schulen, Sporthallen, der alte Flughafen, ein Kreativzentrum: alles wird an die neue Rolle angepasst und mit Betten ausgestattet. Man würde gern die Menschen in kleineren Räumen unterbringen, um ihnen zumindest eine gewisse Intimität zu vermitteln, aber das ist nicht immer möglich. In der aktuellen Situation ist jede Unterkunft gut. Bis heute haben über 10.000 Flüchtlinge die Übernachtungsmöglichkeit genutzt. Sogar die Kunstgalerie auf dem Bahnhof wurde mit Betten belegt. Viele Familien machen hier nur einen Zwischenstopp, wollen auf dem Bahnhof bleiben und auf den nächsten Zug warten. Und in der Bibliothek, die sich auf dem Bahnhof befindet, wurde eine Lese- und Filmecke für ukrainische Kinder arrangiert.
Man würde gern die Flüchtlinge auf die anderen niederschlesischen Städte verteilen. Viele von ihnen haben aber nur von den großen Städten gehört, deshalb möchten sie hier bleiben, eine Wohnung und Arbeit finden und hier abwarten, bis der Krieg vorbei geht. Viele wissen es noch nicht, wohin sie fahren wollen. Sie sind aber sicher – sie möchten überleben und eigene Kinder vom Krieg retten.
Die Fahrten wurden für die Ukrainer von der polnischen Bahn kostenlos zur Verfügung gestellt (man muss nur eine freie Platzkarte holen). Auch die Stadt Wrocław bietet den ukrainischen Einwohnern, die nach dem 24. Februar hierherkamen, kostenlose Fahrten mit allen Verkehrsmitteln. Die meisten Sehenswürdigkeiten haben einen kostenlosen Eintritt für Ukrainer ermöglicht, um mindestens den Kindern ein bisschen Freude in diesen schwierigen Zeiten zubereiten. Auf dem Gebiet der Stadt gibt es einige Kinderhorte, wo man das Kind abgeben kann, wenn man notwendige Papiere erledigen möchte. Alle, die in Polen bleiben möchten, bekommen eine Identifikationsnummer, dank der sie krankversichert werden und Arbeit aufnehmen dürfen. Auch ukrainische Kinder können auf die polnischen Schulen gehen. Verschiedene Institutionen, wie z.B. Oder-Zentrum bieten kostenlose Workshops für ukrainische Kinder.
Bei allen diesen Prozessen sind Personen behilflich, die Ukrainisch oder Russisch sprechen. Sehr oft melden sich Freiwillige aus der Ukraine, die auf diese Art und Weise helfen wollen. Die ukrainischen Frauen wollen auch ihren Männern, die in der Ukraine kämpfen, helfen. Eine von den bekannten Aktionen ist die Zubereitung von Piroggen (Teigtaschen). In einer von der Concordia Design zur Verfügung gestellten Küche bereiten die Frauen jeden Tag eine Menge von Teigtaschen, die dann an die Breslauer verkauft werden. Die Erlöse aus dem Verkauf gehen für die direkte Hilfe in die Ukraine.
Die Breslauer organisieren auch regelmäßig Proteste gegen den Angriff der Russen auf die freie Ukraine. Auf allen öffentlichen Gebäuden, Verkehrsmitteln, Schildern kann man überall die ukrainischen Fahnen sehen. Es ist ein Symbol der Solidarität mit der Ukraine. Es ist nicht lange her, dass unsere Großeltern selbst die Flucht miterlebt haben. Aus Breslau wurden tausende von Deutschen vertrieben und von den ehemaligen östlichen Gebieten Polens (heute Ukraine) Tausende Polen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich in Wrocław viele Polen aus Lemberg und anderen Ostgebieten angesiedelt, die nicht zur Sowjetunion angehören wollten. Es war nicht die Mehrheit der neuen Einwohner der Stadt Wrocław (nur 9,8 % stammte direkt aus Lemberg und 6,4% aus den benachbarten Regionen), aber es war sehr oft die Elite: Professoren, Lehrer, Ärzte und andere ausgebildete Menschen, die das Nachkriegsleben wesentlich beeinflusst haben. Der erste Nachkriegsrektor der Breslauer Universität war z. B. der ehemalige der Rektor der Lemberger Universität. Deshalb sprach man oft über den Mythos der Lemberger in Wrocław. In der Stadt gibt es viele bekannte Andenken aus Lemberg: das Denkmal des Dichters Aleksander Fredro, das Panorama von Racławice, die Nationalstiftung Ossolineum, die die Schätze der polnischen Literatur beherbergt. Diese historische und emotionale Beziehung zwischen Wrocław und der Ukraine wird in der heutigen Situation zur besonders starken Motivation, den Kriegsopfern zu helfen.
Text und die Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka