Untypische protestantische Insel in Oberschlesien

Multikulturell und monokonfessionell

Im Südosten des Kreises Leobschütz, nahe der Grenze zu Tschechien, liegen Rösnitz/ Rozumice und Steuberwitz/ Ściborzyce Wielkie.

Im Südosten des Kreises Leobschütz, nahe der Grenze zu Tschechien, liegen Rösnitz/ Rozumice und Steuberwitz/ Ściborzyce Wielkie. Beide Orte bildeten bis ins 20. Jahrhundert hinein eine kleine konfessionelle Insel, die allerdings ihre spezifische Eigenart hatte. Obwohl sie nur aus zwei Dörfern bestand, war sie sprachlich gemischt. Das im 14. Jahrhundert gegründete Rösnitz war von Anfang an eine deutsche Siedlung. In dem fast in Sichtweite gelegenen Steuberwitz war dagegen über Jahrhunderte hinweg der mährische Dialekt die Umgangssprache.

Historisches Kriegerdenkmal mit einer auf Initiative ehemaliger Einwohner angebrachten Tafel. Foto. D. Smolorz.

Im Zuge der Reformation nahm die Bevölkerung der beiden Orte in den 1520er Jahren den lutherischen Glauben an. Etwa ein Jahrhundert später begann nach dem Dreißigjährigen Krieg eine systematische und von Wien geförderte Rekatholisierung. In diesem Teil des Fürstentums Jägerndorf war sie aber nicht von Erfolg gekrönt. Auch nach der Vertreibung des örtlichen Pfarrers und der Schließung der Rösnitzer Kirche, die den Gläubigen aus beiden Orten diente, übten die Menschen ihre Religion im Untergrund aus. Ein Relikt dieser Zeit ist die bis heute erhaltene Waldkanzel – ein künstlich aufgeschütteter Hügel, auf den der Geistliche während der „illegalen“ Gottesdienste stieg, um die Predigt zu halten. Trotz des massiven Drucks und der Schikanen mussten sich am Ende sogar die Jesuiten geschlagen geben, denen es binnen 22 Jahren lediglich gelang, nur zwei örtliche Einwohner für den katholischen Glauben zu gewinnen. Als einzige lutherische Gemeinschaft im Raum Leobschütz/Głubczyce-Jägerndorf/Krnov überstanden die Rösnitzer und die Steuberwitzer die Zeit der Rekatholisierung und blieben protestantisch. Mit dem Anschluss des größeren Teils von Schlesien an Preußen (1742) erlangten die Lutheraner aus dem Leobschützer Land wieder das Recht auf freie Religionsausübung.

Die Pfarrgemeinde Rösnitz hatte einen Diasporacharakter und umfasste aus diesem Grunde ein großes Gebiet. Im Westen reichte sie bis Branitz/Branice, im Osten bis Hultschin/Hlučín – beide Orte sind wohlgemerkt ca. 50 km voneinander getrennt. Typisch für sie war zudem die zweisprachige Seelsorge. Gottesdienste und Predigten wurden sowohl auf Deutsch als auch auf Tschechisch bzw. im mährischen Dialekt abgehalten. Neben dem deutschsprachigen Rösnitz und dem mährischsprachigen Steuerberwitz gehörten zur der Pfarrgemeinde mehrere mehrheitlich katholische Ortschaften, in denen Protestanten beider Zungen jeweils nur kleine Minderheiten bildeten.

Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war der mährische Dialekt die Muttersprache von fast 90 Prozent der Steuberwitzer, doch das Deutsche gewann nach und nach immer mehr an Bedeutung. Hervorzuheben sei an dieser Stelle, dass sich die oberschlesischen Mährer im Deutschen Reich nicht als ethnische Minderheit betrachteten, sondern sich meistens als slawischsprachige Preußen fühlten.

Der Zweite Weltkrieg setzte der Existenz der protestantischen Gemeinschaft in diesem Teil Oberschlesiens ein Ende. Die Rösnitzer wurden infolge der Beschlüsse der Siegermächte 1945/46 fast ausnahmslos vertrieben. In ihre Häuser zogen nun Polen, die aus den von der Sowjetunion  annektierten Teilen ihres Landes übersiedelt wurden. In Steuberwitz fand dagegen kein so drastischer Bevölkerungsaustausch statt. Die neue polnische Verwaltung war zunächst bestrebt, die slawischsprachigen Einwohner in den polnischen Staat zu integrieren. Da sie aber eine starke deutsche Gesinnung hatten, siedelten die meisten von ihnen in den 1960er und 1970er Jahren in die Bundesrepublik über. Heute werden in Steuberwitz für die Handvoll dortiger Lutheraner zweimal im Monat Gottesdienste abgehalten. In Rösnitz leben dagegen keine Protestanten mehr. Die dortige Kirche ist seit den schweren deutsch-sowjetischen Kämpfen in der Endphase des Zweiten Weltkriegs eine Ruine.

Text: Dawid Smolorz