Relikt der Deutschen Ostsiedlung im heutigen Kleinpolen

Mikrokosmos Wilamowice (Wilmesau)

Die Nachkommen der Siedler wissen nicht genau, woher ihre Vorfahren stammten.

In der lokalen mündlichen Überlieferung nannte man die Urheimat äußerst unpräzise. Die Vorväter seien „fum öwyt“ gekommen, also „aus dem Westen“. Höchstwahrscheinlich war der heutige deutsch-belgisch-niederländische Grenzraum das Herkunftsgebiet der Wilmesauer. Im 13. Jahrhundert kamen sie als Gäste schlesischer Herzöge in diese Gegend und gründeten die Siedlung Wymysoü, die Hochdeutsch als Wilmesau bezeichnet wird. Heute gilt der Raum Auschwitz/Oświęcim als Teil der historischen Region Kleinpolen, damals gehörte das Herzogtum Auschwitz jedoch noch zu Schlesien. Somit ließen sich die Siedler de facto in Schlesien nieder, denn die regionale Grenze wurde erst nach dem Anschluss dieser Gebiete an das Königreich Polen 1564 nach Westen verschoben (mehr dazu können Sie hier lesen.

Marktplatz in Wilmesau. Quelle: Silar, Wikimedia Commons.

Über Jahrhunderte hinweg blieb Wilmesau eine vom geschlossenen deutschen Sprachgebiet isolierte Insel. Deswegen überdauerte in dem Ort der aus der Urheimat mitgebrachte Dialekt als eine Art linguistisches Fossil, auch wenn er im Laufe der Zeit verschiedenen Einflüssen unterlag. Die Einwohner nennen ihn in der eignen Sprache „Wymysiöeryś”. Für die Sprecher des Deutschen, wo allem für jene, die mit westdeutschen Mundarten vertraut sind, ist er teilweise verständlich.

Begrüßungstafel am Ortseingang mit polnischem und wilmesauerischem Text. Foto: D. Smolorz.

Nach den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert lag Wilmesau in Österreich. In dem 1918 wiedererstandenen polnischen Staat gehörte der Ort zur Wojewodschaft Krakau. Eine deutsche Identität hatten die meisten Wilmesauer trotz ihrer Sprache nicht. Vielmehr betrachteten sie sich bis 1945 als eine eigenständige ethnische Gruppe germanischer Herkunft. Nach dem deutsch-sowjetischen Überfall auf Polen wurden die Wilmesauer dennoch von Berlin pauschal als Deutsche einklassifiziert und mit deutscher Staatsangehörigkeit beschenkt. Das hatte 1945 und in den Folgejahren schwerwiegende Konsequenzen. Die Sowjets und die polnisch-kommunistische Verwaltung schikanierten die kleine Gemeinschaft massiv. Frauen und Männer wurden verhaftet, gefoltert, verschleppt und zur Zwangsarbeit eingesetzt. Danach folgte das absolute Verbot des Wilmesauerischen. Damit wurde die Sprache, die das wichtigste Element der dortigen Identität darstellte, sowohl aus dem öffentlichen Raum als auch weitgehend aus der Privatsphäre verdrängt. Seit dem Fall des Kommunismus 1989 werden Initiativen zur Wiederbelebung und Förderung des „Wymysiöeryś“ unternommen. Heute sprechen noch ca. 20 Menschen aktiv die Sprache, unter ihnen auch Jugendliche. Etwa 500 weitere Einwohner können sie verstehen.

Grabinschrift in wilmesauerischer Sprache. Foto. D. Smolorz.

Eine kleine Hörprobe des Wilmesauerischen ist hier zu finden – ab Minute 1.00 (Schlesien Journal, 2011).

Text: Dawid Smolorz