Geschichtsträchtiger Ort wird zum Kunsttempel

Seit 2014 lebt und arbeitet die Malerin Maugosia Sycz in Pałac Sławnikowice (Schloss Kieslingswalde) bei Görlitz-Zgorzelec

Die Künstlerin öffnet ihr Atelier im Rahmen von SATELLITEN 2022 – Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst in Schlesien.

Wenn Maugosia Sycz im Schloss Kieslingswalde (heute Pałac Sławnikowice), dem wohl bedeutendsten klassizistischen Baudenkmal der Oberlausitz, Kaffee oder Tee in Geschirr aus Meißner Porzellan serviert, dann ist das durchaus angemessen. Denn in Kieslingwalde lebte Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708), der maßgeblich an der Erfindung des europäischen Hartporzellans beteiligt war. Tschirnhaus war einer der bedeutenden Naturforscher des 17. und 18. Jahrhunderts. Er befasste sich mit Philosophie, Pädagogik, Mathematik und Naturwissenschaften und wurde im Alter von nur 31 Jahren das erste deutsche Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Paris.

Als Leiter der kurfürstlichen Laboratorien in Dresden entwickelte der Gelehrte spezielle Brennspiegel und Brennöfen zur Erzeugung hoher Temperaturen. Sein Wissen teilte er mit Johann Friedrich Böttger (1682-1719), der zusammen mit Freiberger Hüttenleuten Porzellan herzustellen versuchte. Im Dezember 1707 gelang Böttger erstmals die Herstellung eines Porzellangefäßes. Da Tschirnhaus im Oktober 1708 starb, erlebte nicht mehr, dass 1710 die Porzellanmanufaktur in Meißen ihren Betrieb aufnahm. Das Grabdenkmal für Ehrenfried Walter von Tschirnhaus in der Dorfkirche von Kieslingswalde, gestiftet von seinem Bruder Georg Albrecht von Tschirnhaus, existiert nur auf einer alten Fotografie. Das Epitaph wurde in den 1970er Jahren aus der Kirche entfernt und zerstört. Nur wenige Teile davon hat Maugosia Sycz im naheliegenden Wald gefunden und im Schloss geborgen.

Ehrenfried Walther von Tschirnhaus gründete in Kieslingswalde eine Gelehrtengesellschaft, die er „Oberlausitzer Museum“ nannte, und richtete auf seinem Gutshof eine Glashütte mit Schleiferei sowie ein Laboratorium ein. Später funktionierten hier eine Brauerei und eine Brennerei. Reste dieser Bauten in der unmittelbaren Nähe des Schlosses gehören dem Staatsforstbetrieb und verfallen zusehends.

So viel ist bis heute geblieben von den alten Gebäuden am Schloss Kieslingswalde. Eine Glashütte, Glasschleiferei, Brauerei, Brennerei und das Laboratorium von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus kann man sich nur vorstellen…

Nach dem Tod des Gelehrten und seiner Kinder wechselte das Gut mehrfach seine Besitzer, bis es 1801 an Wolf Ludwig von Gersdorff (1756-1832) überging, der später – nachdem die östliche Oberlausitz 1815 an Preußen gefallen war – zum Landrat des neu gebildeten Kreises Görlitz berufen wurde. Am 25. April 1812 brannte das Schloss Kieslingswalde ab und wurde daraufhin 1812/13 durch Wolf Ludwig von Gersdorff in der heutigen Gestalt neu errichtet. Ab 1864 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges befand sich das Haus in den Händen der Adelsfamilie von Witzleben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss als Schule genutzt. Nach ihrer Schließung 2001 verpachtete die Gemeinde Zgorzelec (Görlitz-Ost) den ehemaligen Adelssitz an die polnisch-sächsische Stiftung „Tschirnhaus-Museion e.V.“, die hier ein Tschirnhaus-Kulturzentrum mit kleinem Museum plante, das Vorhaben jedoch aufgab und sich 2008 auflöste. Bereits 2005 kaufte der Belgier Bartel Vanvalle das Schloss und verkaufte es 2013 an das polnisch-niederländische Paar Maugosia Sycz und Jan-Kees Berendsen weiter.

Das Atelier und die Galerie von Maugosia Sycz stehen – neben der Kirche und den Ruinen des Laboratoriums von Tschirnhaus – im Programm der Exkursionen „Kunstschaffende in der ländlichen Oberlausitz. Aufbruch und Nachhaltigkeit“ am 16. Juli und am 10. September 2022. Diese finden unter der Überschrift SATELLITEN-Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst in Schlesien statt. Weitere Informationen zum Programm und Anmeldung finden Sie hier

Die Malerin Maugosia Sycz vor ihren Arbeiten im Schloss Kieslingswalde.

SATELLITEN – Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst in Schlesien ist ein Projekt des Kulturreferates am Schlesischen Museum zu Görlitz in Kooperation mit der polnischen Stiftung Dolnośląski Inkubator Sztuki. Es wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit. Mehr Informationen – auch zu anderen Exkursionen – unter www.satelliten.eu.

Text: Agnieszka Bormann, historische Informationen entnommen der Publikation: „Schlösser in der polnischen Oberlausitz“ von Lars-Arne Dannenberg und Matthias Donath (2011, S. 162-164), gekürzt und ergänzt.

Fotos: Jacek Jankowski

Mehr über das Schloss Kieslingswalde erfahren Sie aus dem Beitrag von Arne Franke in Schlesien heute 10/2016, S. 20-24: