Ethnografisches Museum in Wrocław (Breslau) würdigt einen ungewöhnlichen Benediktinermönch

Ausstellung: „Heilige Bilder. Die Sammel- und Forschungsleidenschaft von Pater Nikolaus von Lutterotti OSB (1892-1955)“

Die Sammlung von Lutterotti entstand am Kloster Grüssau (Krzeszów) und wird jetzt in Wrocław aufbewahrt.

Das Ethnographische Museum in Wrocław (Muzeum Etnograficzne we Wrocławiu) zeigt aktuell eine einzigartige Ausstellung mit dem Titel “Heilige Bilder. Die Sammel- und Forschungsleidenschaft von Pater Nikolaus von Lutterotti OSB (1892-1955)“. Das ist die erste umfassende Präsentation von Pater Lutterottis beeindruckender Sammlung von Drucken, Gebetsbüchern, Andachtsbildchen und Glasbildern, die in ihrer Gesamtheit erhalten geblieben ist – eine absolute Rarität, wenn man das allgemeine Schicksal schlesischer Sammlungen aus der Vorkriegszeit betrachtet.

Banner am Zaun vor dem Ethnografischen Museum in Wrocław (Breslau).
Wer war P. Nikolaus von Lutterotti?

Marco von Lutterotti wurde am 22. Juli 1892 in der kleinen Stadt Kaltern in Südtirol (damals Österreich-Ungarn) geboren. 1910 absolvierte er das Franziskanergymnasium in Bolzano und hat sich früh für eine geistliche Laufbahn entschieden. Er begann mit dem Theologiestudium an der Universität in Innsbruck. Als Zwanzigjähriger trat er 1912 in das Noviziat des Benediktinerordens Emaus in Prag ein, wo er den Ordensnamen Nikolaus annahm. Im Ersten Weltkrieg wurde er eingezogen und hat als Sanitäter gearbeitet, danach setzte er sein Studium im Benediktinerkloster in Beuron fort. Nach dem Studium kehrte er in sein Kloster nach Prag zurück, das aber wegen nationalistischer Konflikte ins schlesische Grüssau (heute Krzeszów, früher Sitz der Zisterzienser) verlegt werden musste. 1922 kam er in die Abtei in Grüssau, wo er zum Priester geweiht wurde und den Namen Nikolaus annahm.

Ausstellung “Heilige Bilder” im Ethnografischen Museum in Wrocław (Breslau).

Jung, energisch und engagiert nahm er sich zahlreicher Aufgaben als Priester, Pfarrer und Seelsorger an. Als Prediger beeindruckte er mit seinen rhetorischen Fertigkeiten. Er fing schnell an, die Geschichte und das Archiv seiner Abtei zu erforschen, deren Prior er 1943 wurde.

Nach 1945 ist Pater Lutterotti nach dem Weggang der Mönche als einziger Kustos und Behüter des Klosters dageblieben. Er wurde auch zum Seelsorger für alle in Schlesien damals noch verbliebenen Deutschen – eine riesige Aufgabe, die für einen Menschen unmöglich war zu leisten. Er wurde schikaniert und verfolgt sowohl durch das im Nachkriegspolen herrschende stalinistische Regime als auch durch die damals systemkonforme Kirchenverwaltung.

Ausstellung “Heilige Bilder” im Ethnografischen Museum in Wrocław (Breslau), links die Hinterglasbilder.

Im Jahre 1954 wurde die ganze Grüssauer Klosterbibliothek, ein Teil vom Archiv und die Museumssammlungen vom polnischen Staat konfisziert. Das Kloster wurde seiner Schätze beraubt, rechtswidrig (er war ja kein deutscher Reichsbürger vor 1945) wurde auch die Sammlung von Lutterotti beschlagnahmt, seine Bücher, Bilder, Grafiken.

Ausstellung “Heilige Bilder” im Ethnografischen Museum in Wrocław (Breslau).

Für Pater Nikolaus von Lutterotti war der Abtransport von Bibliothek, Archiv und Kunstsammlungen wohl die bedrückendste Erfahrung seines langen monastischen Lebens: „Ich habe alles verloren, meine in 35 Jahren gesammelten Materialien, die große Bildersammlung, die Bibliothek, die zuletzt 36.000 Bände zählte und deren Abteilung Kunstgeschichte nun das Rückgrat der neuen Bibliothek ‚Ossolineum’ in Breslau bildet, das im alten Matthiasgymnasium untergebracht ist. Am meisten weh tat mir der mit brutaler Rohheit durchgeführte Abtransport des Grüssauer Archives. Selbst meine vielen in mehr als drei Jahrzehnten geschriebenen wissenschaftlichen Arbeiten und Artikel mußte ich zurücklassen.“ (Zitat aus der Promotionsschrift von Dr. Inge Steinsträßer „Wanderer zwischen den Mächten. Pater Nikolaus von Lutterotti OSB (1892-1955) und die Abtei Grüssau in Niederschlesien“).

Die Schikanen haben sich negativ auf die Gesundheit des Mönchs ausgewirkt. Er hat Polen verlassen und ist am 28. Oktober 1955 in Stuttgart gestorben.

Sammler und Forscher

Neben seinem umfangreichen pastoralen Werk war dieser bemerkenswerte Mönch auch ein versierter Sammler von religiösen Barockdrucken, Andachtsbildchen und Ablassgravuren aus dem 18. bis 20. Jahrhundert sowie von religiösen Volksbildern auf Glas (Hinterglasbilder). Er trug die im heutigen Polen größte und wertvollste Sammlung von über 13.000 „heiligen Bildern” und über 170 schlesischen Gemälden zusammen. Nach dem Krieg ging die vollständig erhaltene Sammlung an das heutige Nationalmuseum in Wrocław und dessen Zweigstelle Ethnographisches Museum.

Dr. Inge Steinsträßer aus Bonn schreibt in ihrer Promotion über seine Sammlerleidenschaft: „Neben seinem zeitlebens nie erlahmenden philatelistischen Interesse, befasste er sich intensiv mit volkskundlichen Themen. Das nahe Riesengebirge und eine lange Tradition in Schlesien und Böhmen lieferten die Basis für eine hervorragende Sammlung von Hinterglasbildern und ethnografisch wertvollen Andachtsbildchen, wie sie seit der ausgehenden Barockzeit und im 19. Jahrhundert in den altösterreichischen katholischen Ländern weit verbreitet waren. Die Sammlertätigkeit besaß für ihn hohen entspannenden Wert und half ihm, über manche Alltagsschwierigkeit besser hinwegzukommen. Darüber hinaus gewann er durch seine Sammlungen tiefe Einblicke in die Mentalität und das religiöse Empfinden des einfachen Volkes, was ihm für die praktische Seelsorge nützlich war.

Über die Motive für seine ungewöhnliche Freizeitbeschäftigung äußerte er sich gegenüber seiner Schwester Ludovica: »So gibt es immer wieder kleine Freuden, die einem das andere oft Schwere leichter tragen lassen. Eine solche Freude ist auch meine immer mehr wachsende Bildersammlung. Überall wohin ich komme, poussiere ich die kleinen Mädchen über 70 Jahre. Die schleppen dann aus allen alten Großmuttergebetbüchern Bildlein an, unendlich viel Schund, aber dazwischen immer wieder ganz erlesene Stücke. Systematisch geordnet ersteht da eine kulturgeschichtlich ebenso wertvolle wie aufschlußreiche Sache. Verschiedene Fachleute, die meine Sammlung sahen, staunten über ihre schon jetzt gut ‚abgerundete Vollständigkeit‘. Das stille Sitzen und Basteln in den kargen freien Stunden ist mir köstliche Erholung und Anregung. Ich denk‘ dann immer, wie ich vor 25 Jahren mit gleicher Passion über der Markensammlung saß. Das ist wohl gewiß ein Erbteil vom alten Urgroßvater Johann Peter, dem Stichesammler und Bücherwurm«.“

Lutterotti war auch ein hervorragender Kenner der Geschichte und Kunst der Grüssauer Abtei. Er hat die Archive der Abtei gründlich studiert und mehr als 70 Bücher und Artikel über das Klostergut und die Kunstwerke der dort tätigen Künstler veröffentlicht. Seine wichtigsten wissenschaftlichen Studien waren dem Barockmaler Michael Willmann gewidmet. Der Mönch arbeitete eng mit den Restauratoren der Kirche in Grüssau zusammen und unterstützte sie bei der sorgfältigen Restaurierung des größten Wandgemäldes des „schlesischen Rembrandts“.

Italiener? Deutscher? Benediktiner!

Sein ganzes Leben lang hatte Lutterotti Probleme wegen seiner Nationalität bzw. Staatsangehörigkeit. Geboren in Südtirol, hat er nach dem Ersten Weltkrieg, dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn und dem Anschluss dieser Region an Italien die italienische Staatsbürgerschaft angenommen. Später wurde er in Tschechoslowakei und in Polen als „Deutscher“ behandelt, auch wenn er deutsche Staatsbürgerschaft nicht besaß. Er selbst hat immer wieder gesagt, er sei in erster Linie ein Benediktinermönch, Mitglied der Klostergemeinschaft, treu den Klosteridealen. Seine Nationalität und die Tatsache, in welchem Land er für den Gott arbeitet, spiele für ihn keine Rolle.

„Heilige Bilder“ und vieles mehr

Die von Joanna Kurbiel und Arkadiusz Dobrzyniecki kuratierte Ausstellung im Breslauer Muzeum erinnert an die herausragende Persönlichkeit Lutterottis und bietet eine repräsentative Auswahl seiner unterschiedlichen Sammlungen. Neben Heiligenbildern, Hinterglasbildern, Grafiken und Drucken werden auch Publikationen präsentiert, die von Lutterotti verfasst bzw. seinem Leben und Schaffen gewidmet sind.

Die präsentierten Drucke (etwa 500 Stück) stammen aus europäischen Werkstätten, hauptsächlich aus Deutschland, Österreich und Böhmen, zu einem kleinen Teil auch aus Italien, Frankreich und Polen. Sie wurden im 18. und 19. Jahrhundert in provinziellen, oft klösterlichen Druckereien hergestellt und vor allem in Pilgerzentren, auf Ablassbörsen, Messen und auch durch Wanderhändler vertrieben.

Die Sammlung von fast 14.000 Drucken wurde 1955 in den Bestand des Ethnografischen Museums aufgenommen (nur kleine Fragmente befinden sich u. a. im Bibliotheks- und Grafikkabinett des Nationalmuseums in Wrocław und in geringerem Umfang im Ossolineum) und repräsentiert eine Vielzahl von grafischen Techniken – hauptsächlich Kupferstich und Tiefdruck, einige davon handkoloriert. Drucke wurden nicht nur auf Papier, sondern zum Beispiel auch auf Seide hergestellt. Ein ebenso interessanter Teil der Sammlung sind die so genannten “Klosterarbeiten” – handgefertigte Bilder von Nonnen. Im Gegensatz zu den massenhaft hergestellten Kupfer- oder Tiefdrucken handelt es sich um einzigartige, kleine Kunstwerke.

Die am 11. November 2022 eröffnete Ausstellung “Heilige Bilder. Die Sammel- und Forschungsleidenschaft von Pater Nikolaus von Lutterotti OSB (1892-1955)” ist bis zum 29. Januar 2023 im Ethnografischen Museum in Wrocław (Breslau) zu sehen.

Text und Bilder: Agnieszka Bormann