Vor 70 Jahren wurde Kattowitz (Katowice) umbenannt

Nach dem Tod des sowjetischen Diktators erhielt die größte Stadt Oberschlesiens den Namen Stalinogród

Nach dreieinhalb Jahren kehrte der alte Name zurück.

Wer auf diese Idee kam, wurde bis heute nicht eindeutig geklärt. Offiziell war von einer spontanen Initiative der regionalen Organisation der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) in Kattowitz und der regionalen Verwaltung die Rede. Diese sollen sich an die Warschauer Regierung mit einem entsprechenden Antrag gewandt haben. Im polnischen Sejm sprach der Schriftsteller Gustaw Morcinek von dem innigen Wunsch der Einwohner Oberschlesiens, den „Vater der Völker“ im Namen der größten Stadt der Region zu verewigen. Vermutlich waren es aber der damalige kommunistische Staatspräsident Bolesław Bierut oder jemand aus seinem Umfeld, die erstmals den Gedanken formulierten, Kattowitz in Stalinogród (je nach Interpretation: Stalinstadt oder Stalinburg) umzubenennen. Die am 7. März 1953 in Warschau getroffene Entscheidung wurde den Genossen vom Kattowitzer Woiwodschaftskomitee der PZPR telefonisch mitgeteilt. Diese reagierten allerdings ohne Enthusiasmus. Der Chef der regionalen Parteiorganisation Józef Olszewski soll sich von der Umsetzung dieses Beschlusses sogar mit durchaus logischen Argumenten gewehrt haben. Kattowitz sei eine zu alte Stadt für eine solche Umbenennung, behauptete er, und legte nahe, besser würden sich die junge Industriestadt Nowa Huta (heute Stadtteil von Krakau/Kraków) oder die südlich des oberschlesischen Kohlereviers in Entstehung begriffene Trabantenstadt Tichau (Tychy) eignen. Den ohnehin bescheidenen Widerstand brach ein erneuter Anruf aus Warschau, in dem Staatspräsident Bierut ankündigte, die gesamte Führung der Kattowitzer Parteiorganisation würde ihre Ämter enthoben, wenn nicht sofort gehandelt werde.

Mitteilung aus der in Kattowitz erscheinenden Tageszeitung „Trybuna Robotnicza“ vom 9.03.1953 über die Umbenennung der Stadt und der Woiwodschaft Kattowitz. Quelle: www.sbc.org.pl, Schlesische Digitale Bibliothek (Śląska Biblioteka Cyfrowa).

Bereits am 8. März, also drei Tage nach dem Tod des kommunistischen Massenmörders, wurden in Kattowitz neue Bahnhofsschilder und in den Nachbarstädten die ersten Wegweiser mit dem Namen „Stalinogród“ angebracht. Anschließend wurden nach und nach KfZ-Schilder, Amtsstempel und Infotafeln aller Art ausgewechselt. Außer der Stadt erhielt auch die von Kattowitz aus verwaltete Woiwodschaft denselben Namen. Innerhalb von wenigen Wochen verschwand „Katowice“ weitgehend aus dem öffentlichen Raum. Wer die Umbenennung nicht zur Kenntnis nehmen wollte, musste mit Problemen rechnen, denn die Verwendung des alten Stadtnamens wurde fortan als Ausdruck staatsfeindlicher Haltung interpretiert und rechtlich verfolgt.

Kundgebung zum Ersten Mai in Kattowitz zwischen 1953 und 1956. Am Spruchband zu sehen der Ortsname „Stalinogród“. Quelle: Museum für Geschichte der Stadt Kattowitz (Muzeum Historii Katowic).

Warum ausgerechnet Kattowitz auf diese Weise „ausgezeichnet“ wurde, bleibt unklar. Durchaus plausibel mag die Erklärung sein, dass die Hauptstadt einer Region, in der – um eine Formulierung aus der damaligen Zeit zu verwenden – das industrielle Herz Polens schlug, einfach für eine solche Initiative gut geeignet schien. Angeblich wurde anfangs  Tschenstochau (Częstochowa) in Betracht gezogen. Doch habe man diesen Plan aufgegeben, nachdem jemand nüchtern bemerkt haben soll, dass die Formulierung „Schwarze Madonna von Stalinogród“ nicht besonders gut klingen würde. Wohl handelt es sich aber dabei um eine Anekdote.

Flugblatt zur Feier des Ersten Mai in „Stalinogród“, 1954. Quelle: Museum für Geschichte der Stadt Kattowitz (Muzeum Historii Katowic).

Dreieinhalb Jahre nach der Umbenennung mussten die Schilder und die Stempel wieder ausgewechselt werden. Denn im Oktober 1956 beschloss der Städtische Nationalrat in Kattowitz im Zuge des sog. „Tauwetters“ – der Entstalinisierung und Liberalisierung des kommunistischen Systems in Polen – eine Rückkehr zu dem Ortsnamen „Katowice“.

Text: Dawid Smolorz