Arbeiten, Feiern und Schmuggeln an der neuen Grenze

Erfahrungen im geteilten Oberschlesien zwischen 1922 und 1939

Vor 101 Jahren wurde Oberschlesien geteilt. Im Sommer 1922 übernahmen die deutsche bzw. die polnische Verwaltung die ihnen jeweils zugesprochenen Teile der Region. 

Vor 101 Jahren wurde Oberschlesien geteilt. 14 Monate nach der Volksabstimmung übernahmen die deutsche bzw. die polnische Verwaltung im Juni und Juli 1922 die ihnen jeweils zugesprochenen Teile der Region. Fortan war der Grenzübertritt für Tausende Einwohner dieses multiethnischen Landstrichs eine tägliche Erfahrung.

Die neue Grenze, die in dieser Form nie zuvor existierte, schlängelte sich von Sorowski (Zborowskie) im Lublinitzer Land bis Sabelkau (Zabełkow) südlich von Ratibor. Doch muss hier deutlich hervorgehoben werden, dass sie zu jenen Grenzen im damaligen Europa gehörte, die ohne größeren bürokratischen Aufwand passiert werden durften. Denn spezielle Ausweise, sogenannte Verkehrskarten, die mit dem deutsch-polnischen Abkommen vom Mai 1922 eingeführt wurden, ermöglichten den Oberschlesiern Reisen innerhalb des gesamten früheren, nun durch eine Grenze geteilten Abstimmungsgebietes ohne Pass und Visum.

Deutscher Grenzposten in Beuthen (Bytom). Quelle: Bundesarchiv_B_145_Bild-P012534, Wikimedia Commons.

Die Verkehrskarten hatten eine enorme Bedeutung nicht nur, weil nach der Teilung oft die nächsten Verwandten im Ausland lebten. Hindernisse an der neuen Grenze zu errichten, lag weder im Interesse Deutschlands noch Polens, vor allem weil das Industriegebiet, obwohl zerschnitten, noch lange einen einheitlichen Wirtschaftsraum darstellte. Viele Menschen, deren Arbeitsplätze nun von ihrem Wohnort aus gesehen im Ausland lagen, mussten die Grenze zweimal täglich passieren. Eine häufige Motivation für eine Fahrt oder – was aufgrund der geringen Entfernungen oft durchaus möglich war – einen Spaziergang nach drüben waren zudem private Besuche. Mit dem Anschluss Ostoberschlesiens an Polen wurden oft nahe Verwandte zu Bürgern verschiedener Staaten. So waren in der Zwischenkriegszeit auch Fahrten zu Familienfeiern manchmal Auslandsreisen. Nicht weniger wichtige Anlässe zu Besuchen bei den Nachbarn waren Einkäufe. Die Einwohner der geteilten Region wussten sehr gut, welche Waren auf deutscher bzw. auf polnischer Seite einen attraktiven Preis oder eine besonders gute Qualität hatten.

Polnische Grenzschutzbeamte begleiten festgenommene Schmuggler. Im Hintergrund ist die in Deutschland gelegene Hohenzollerngrube bei Beuthen zu sehen. Quelle: Nationales Digitalarchiv NAC, Warschau (Narodowe Archiwum Cyfrowe w Warszawie).

Eine weitere nicht geringe Gruppe der Grenzgänger bildeten die Schmuggler. Die Bedingungen für ihr Gewerbe waren besonders günstig. Zum einen existierten in der Region keine Sprachbarrieren, weil Deutsch und der slawisch-oberschlesische Dialekt auf beiden Seiten der Grenze gesprochen wurden. Auch gab es meistens keine Probleme mit der Abnahme der geschmuggelten Güter, weil fast jeder Einwohner Verwandte oder Bekannte drüben hatte. Die Motivation, mit dem Schmuggel seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, erhöhte sich stark in den späten 1920er Jahren, als die Arbeitslosenzahlen im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise stark anstiegen. Schmuggel war eine lukrative, aber gefährliche Beschäftigung. Da sowohl deutsche als auch polnische Grenzschutzbeamte manchmal von ihrer Waffe Gebrauch machten, gab es an der Grenze Tote und Schwerverletzte.

Verkehrskarte einer Einwohnerin Deutsch-Oberschlesiens. Quelle: Stiftung Haus Oberschlesien/Oberschlesisches Landesmuseum.

Im Oberschlesischen Landesmuseum Ratingen wird derzeit die Ausstellung „Grenzgänger. Alltag in einem geteilten Land“ präsentiert. In vielfältiger und moderner Form setzt sie sich mit der Periode 1922–1939 auseinander, in der Oberschlesien durch die deutsch-polnische Staatsgrenze geteilt war.

Darüber hinaus wird auf dem Portal www.copernico.eu demnächst eine Webdoku zum Thema „Geteiltes Oberschlesien“ veröffentlicht – ein Projekt des Kulturreferenten für Oberschlesien in Zusammenarbeit mit der Stiftung Haus Oberschlesien (SHOS) und dem Oberschlesischen Landesmuseum (OSLM).

Text: Dawid Smolorz