Das oberschlesische Klein Versailles existiert nicht mehr
In dem östlich der Kreisstadt Tarnowitz (Tarnowskie Góry) gelegenen Neudeck (Świerklaniec) befand sich einst eine der imposantesten Adelsresidenzen Schlesiens.
In Neudeck (Świerklaniec) befand sich einst eine der imposantesten Adelsresidenzen Schlesiens. Den Beinamen „Klein Versailles“ erhielt die 1876 vollendete Anlage wegen ihrer französischen Architekten und ihres unverkennbar französischen Stils. Der Besitzer der Neudecker Güter, Graf Carl Lazarus Henckel von Donnersmarck, wollte mit dem Bau dieses beeindruckenden Schlosses seiner Frau ein Stück Frankreich schenken. Und dieser Plan gelang hervorragend.
Die von einem 250 ha großen Landschaftspark umgebene Residenz knüpfte stilistisch nicht nur an die Schlösser an der Loire und Seine an, sondern erinnerte auch an das nahe Paris gelegene Schloss Pontchartrain, das sich ebenfalls im Familienbesitz befand. Mehrmals war Kaiser Wilhelm II. Gast des Neudecker Ensembles, das aus dem ursprünglich gotischen sog. Alten Schloss, dem neuen „französischen“ Schloss und dem Kavalierspalast bestand. In den dicht an der damaligen Grenze zu Russisch-Polen gelegenen von Donnersmarck´schen Gütern ging der Monarch gerne zur Jagd.
Wie viele Adelssitze in der Region fiel das auch oberschlesische Klein Versailles 1945 der Zerstörungswut der sowjetischen Soldaten zum Opfer. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wurde die abgebrannte und ausgeplünderte Anlage auf Initiative der Behörden abgetragen. Ihre intakten Elemente wurden teilweise bei der Errichtung des Kulturpalastes des Dombrowaer Reviers (Pałac Kultury Zagłębia) in Dąbrowa Górnicza wiederverwendet. Das Eingangsportal und Teile der Umzäunung wurden wiederum im zoologischen Garten in Königshütte (Chorzów) aufgestellt.
Dasselbe Schicksal teilte das Alte Schloss Neudeck, dessen Ursprung im Mittelalter lag. Zwar war auch dieses in der letzten Phase des Zweiten Weltkrieges beschädigt worden, doch war das Ausmaß der Zerstörung weitaus geringer als bei dem neueren Bau. Zeitweise wurde sogar der Wiederaufbau erwogen. 1962 beschloss jedoch die Tarnowitzer Verwaltung in Vereinbarung mit dem Kulturministerium in Warschau die Sprengung der Ruine. Dass die Bekämpfung deutscher Spuren die Hauptmotivation hierzu darstellte, ist durchaus vorstellbar.
Trotz dieser enormen Kriegs- und Nachkriegsverluste ist Neudeck auch heute ein wichtiger Punkt auf der touristischen Karte Oberschlesiens. Einwohner der Region und Touristen besuchen gerne den Landschaftspark, in dem man verstreut noch einige wenige Relikte des früheren Schlösserensembles findet: originale Skulpturen, Terrassen des Neuen Schlosses, den Kavalierspalast und die Grabkapelle der Familie Henckel von Donnersmarck.
Text: Dawid Smolorz