Armenier in Oberschlesien

Nach 1945 wurde Oberschlesien auch für die bis dahin in Ostgalizien ansässigen polnischen Armenier zu einer neuen Heimat

Heute ist Gleiwitz Sitz einer von drei armenisch-katholischen Pfarrgemeinden Polens.

Diese zahlenmäßig kleine, ab einem gewissen Zeitpunkt eher konfessionell als ethnisch zu verstehende Gruppe, siedelte bereits seit dem 14. Jahrhundert in den Südostgebieten des Königreichs Polen, das nach der Union mit dem Großfürstentum Litauen 1569 zu den größten Staaten Europas zählte. Im Laufe der Zeit polonisierten sich die Armenier sprachlich, behielten aber ihre Religion und Tradition. Die meisten von ihnen fühlten sich gleichzeitig als Polen und Armenier bzw. als Polen armenischen Glaubens. In den östlichen Woiwodschaften Polens, die 1945 von der Sowjetunion annektiert wurden, lebten ca. 10.000 Angehörige dieser Gemeinschaft. In einigen Städten Ostgaliziens gab es armenische Kirchen, wobei die Kathedrale in Lemberg (poln. Lwów, ukr. Lwiw) den geistigen Mittelpunkt der polnischen Armenier bildete.

Bild der Mutter Gottes von Łysiec. Quelle: FilipK77, Wikimedia Commons.
Drei armenisch-katholischen Pfarrgemeinden Polens in Gleiwitz, Danzig und Warschau

Im Jahr 1945 kamen im Zuge des Massenexodus´ mehrere Millionen Polen aus den sowjetisch gewordenen Ostgebieten nach Ober- und Niederschlesien. Mit ihnen verließen auch einige Tausend seit langem innerhalb der polnischen Gesellschaft integrierte Armenier ihre angestammte Heimat. Kleine Gruppen von ihnen siedelten in Oberschlesien an, vor allem in Gleiwitz (Gliwice), Zabrze (1915-1945 amtlich: Hindenburg) und Oppeln (Opole). In Gleiwitz wurde ihnen 1945 die St. Trinitatis-Kirche zur Verfügung gestellt. Am Altar dieser Kirche befindet sich seit 1950 das wundertätige Bild der Mutter Gottes von Łysiec, das im 16. Jahrhundert von einem armenischen Geistlichen in den damaligen Südostgebieten Polens gemalt und nach dem Zweiten Weltkrieg von dem letzten Pfarrer der armenisch-katholischen Kirche in Stanislau (poln. Stanisławów, ukr. Iwano-Frankiwsk) nach Oberschlesien gebracht wurde. Gleiwitz ist auch heute neben Danzig (Gdańsk) und Warschau (Warszawa) Sitz einer von drei armenisch-katholischen Pfarrgemeinden Polens.

Armenisch-katholische Kathedrale in Lemberg – bis 1945 das geistige Zentrum der polnischen Armenier. Quelle: Maksym Kozlenko, Wikimedia Commons.
Tadeusz Isakowicz-Zaleski, Seelsorger der oberschlesischen Armenier war einer der bekanntesten Pfarrer in Polen

Seelsorger der oberschlesischen Gemeinde war zwischen 2009 und 2017 der kürzlich verstorbene Tadeusz Isakowicz-Zaleski (1956 – 2024) – in den vergangenen Jahrzehnten zweifelsohne einer der bekanntesten Vertreter der polnischen Armenier. Der römisch- und armenisch-katholische Geistliche machte sich mit seinen vielfältigen Aktivitäten einen Namen, u. a. war er Mitbegründer der karitativen Bruder-Albert-Stiftung (Fundacja im. Brata Alberta). Zudem sprach er sich lautstark und konsequent für die Aufarbeitung unbequemer Themen aus der jüngsten Geschichte der katholischen Kirche in Polen aus, zu denen in erster Linie die Zusammenarbeit einiger ihrer Vertreter mit dem kommunistischen Sicherheitsdienst und die Vertuschung von Kindermissbrauch durch Geistliche gehörte. Überdies forderte er seit dem Zerfall der Sowjetunion ein würdiges Gedenken der Polen, die in der ersten Hälfte der 1940er Jahre bei den von ukrainischen Nationalisten durchgeführten ethnischen Säuberungen in Ostgalizien und Wolhynien ermordet worden waren.

Pfarrer Tadeusz Isakowicz-Zaleski (rechts) zelebriert eine Messe im armenisch-katholischen Ritus. Quelle: Scio, Wikimedia Commons.

Heute bekennen sich ca. 1.500 polnische Staatsbürger zur armenischen Nationalität, etwa 150 von ihnen leben in der von Kattowitz (Katowice) aus verwalteten Woiwodschaft Schlesien. Viele bekannte Polen haben bzw. hatten teilweise armenische Wurzeln, um nur den Maler Teodor Axentowicz, den Dichter Zbigniew Herbert und den Regisseur Jerzy Kawalerowicz zu erwähnen. Gegenwärtig sind der „Fernsehkoch“ Robert Makłowicz und die im oberschlesischen Sohrau (Żory) aufgewachsene Schauspielerin Sonia Bohosiewicz die bekanntesten Polen, in deren Adern auch das Blut armenischer Vorfahren fließt.

Die St. Trinitatis-Kirche in Gleiwitz dient seit 1945 polnischen Armeniern. Quelle: Elżbieta Hereźniak, Wikimedia Commons.

Text: Dawid Smolorz