Nachdem das „Land der erloschenen Vulkane“ zum UNESCO-Geopark ernannt wurde, hofft man in Niederschlesien auf mehr Touristen
Der Wohnturm in Siedlęcin (Boberröhrsdorf) mit seinen einzigartigen Fresken kann davon profitieren.
Nachdem das Land der erloschenen Vulkane in das UNESCO-Geopark-Netzwerk aufgenommen wurde, rechnen die Besitzer oder Verwalter der einzigartigen Baudenkmäler dieser Region auf den Zuwachs der Touristen.
Nicht weit von Jelenia Góra (Hirschberg), im malerischen Boberthal gelegen, liegt der kleine Ort Siedlęcin (Boberröhrsdorf). Sein Schatz ist ein ungewöhnlicher Wohnturm. In ganz Schlesien wurden ca. 50 Rittertürme gebaut, dieser in Siedlęcin ist besonders groß. Aber nicht nur die Größe macht ihn besonders. Hier kann man die einzigen in der Welt erhaltenen Fresken über den Lancelot du Lac (frz. für Lancelot vom See), den engsten Freund König Artus’ und einen der größten Ritter der Tafelrunde bewundern, die in situ, also am ursprünglichen Ort, erhalten geblieben sind. Sie befinden sich im zweiten Stock des mittelalterlichen Turmes, der in den Jahren 1313-1315 auf Initiative des Herzogs Heinrich I. von Jauer (aus der Dynastie der Piasten) errichtet wurde. Das Jahr 1313 ist ziemlich sicher – aus dieser Zeit stammen die Holzbalken, die sich im Erdgeschoss des Wohnturmes befinden. Man hat hier also mit den ältesten sicherdatierten Holzbalken in Polen zu tun.
Warum entstand der Turm hier? In der Nähe gab es viele Bodenschätze, u. a. Gold, das selbstverständlich viele Raubritter hinzog. Die dichten Wälder und der Flussübergang eignete sich wunderbar als ein Ort für einen Überfall. Deshalb entschied man sich eine Anlage zu bauen, die den Flussübergang überwachen und von den Raubrittern schützen sollte. Die Anlage wurde mit der Zeit zu einer Burg ausgebaut und für Wohn- oder Jagtzwecke genutzt. Sie hatte einen Burggraben und zwei Türme: einen Turm bei der Zugbrücke, den anderen, der als Wohnturm diente – dieser hatte Wirtschats-und Repräsentationsräume. Das zweite und das dritte Stockwerk des Wohnturmes gehörte dem Herzog – es ging um Sicherheit und um die Wärme – es waren die wärmsten Räume in dem Turm. Es hatte auch eine feudale Bedeutung – der Herrscher sollte ganz oben sein und zu seinen Dienern nach unten kommen. Die Repräsentationsräume wurden entsprechend vorbereitet.
Außer den Szenen aus dem Leben von Lancelot ist bei den Fresken eine riesengroße Figur des heiligen Christoph zu sehen, der ein Patron der Wanderer war und zugleich als das Symbol der Treue galt. Die Aussage sollte deutlich sein: die Ritter sollen dem Herrscher wie der heilige Christoph dem Jesus dienen und nicht so wie der Lancelot dem König Arthur. Lancelot gehörte zwar zu den berühmtesten Rittern des Königs, liebte aber heimlich seine Frau. Wegen der ehebrecherischen Affäre mit Guinevere kam es zu dem Bürgerkrieg, der in einem Zusammenbruch von Artus’ Königsreich endete. Auf den Fresken in Siedlęcin wurde der Eheverrat dargestellt – Lancelot und Guinevere halten sich an den linken Händen – es ist ein Beweis des Verrates.
Die Fresken, die in der Technik al secco gemacht wurden, wurden nicht zu Ende ausgeführt. Die Ursache ist nicht bekannt. Man vermute, die letzten stammen aus den Jahren 1345-1346. Im Jahre 1346 starb der Herzog Heinrich I von Jauer aus der Dynastie der Piasten. Das konnte die Ursache sein, warum sie nicht vollständig realisiert wurden. Aber dennoch lohnt es sich sowieso, den Wohnturm zu besuchen und sich die Fresken anzuschauen. Sie wurden 2006 restauriert. Der Wohnturm, der seit dem 17. Jahrhundert bis zum 1945 der Familie Schaffgotsch gehörte (hier befand sich ein Speicher), wurde vor einigen Jahren von der Stiftung Fundacja Zamek Chudów gekauft, die ihn täglich für die Öffentlichkeit zugänglich macht und gleichzeitig weitere Konservierungs- und Forschungsarbeiten durchführt.
Zum Internetauftritt des Wohnturms in Siedlęcin / Boberröhrsdorf (in polnischer und denglischer Sprache)
Text: Małgorzata Urlich-Kornacka