Dreizehn kleine Aufnahmen und so viel Geschichte

Heimlich aufgenommene Fotos zeigen Juden aus Breslau kurz vor ihrer Deportation nach Kaunas

Dank des Forschungsprojekts #LastSeen kann man sie im digitalen Bildatlas sehen.

Dreizehn Originalabzüge wurden 2023 in Archivbeständen des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden in Dresden gefunden. Es handelt sich um Fotos, die vorher noch nie veröffentlicht wurden. Die Fotoserie hat der Historiker Steffen Heidrich entdeckt. Die Fotos erwecken große Emotionen, weil es sich um Breslauer Juden handelt, die im November 1941 und April 1942 deportiert und ermordet wurden. Es sind zurzeit die einzigen bekannten Aufnahmen, die diese erschütternden Ereignisse dokumentieren.

Die Fotos wurden heimlich, von der Ladefläche eines Fahrzeuges gemacht. Als Autor vermutet man den Breslauer Architekten Albert Hadda, der mit einer Nicht-Jüdin verheiratet war und zunächst partiell geschützt wurde. Hadda wurde 1944 in ein Zwangsarbeitslager gebracht. Im Januar 1945 glückte ihm die Flucht nach Breslau, wo er sich bis zur Befreiung versteckte. Weniger Glück hatten seine Brüder, u. a. Moritz Hadda (auch Architekt), der sich in dem ersten Transport zusammen mit noch 1000 weiteren Juden (u. a. Walter Tausk oder Willy Cohn) befand.

Wahrscheinlich wurde Albert Hadda gezwungen, Hilfsarbeiten bei den Transporten zu erledigen (er durfte als Jude seinen Architekten-Beruf nicht ausüben). Er behielt trotz des Verbotes die Kamera und dokumentierte die Ereignisse: 12 Fotos wurden 1941 und ein Foto 1942 gemacht.

Nach der Einführung der Nürnberger Gesetzte (1935) wurden die Juden nach und nach ihrer Rechte beraubt, enteignet und stigmatisiert (sie mussten den Judenstern tragen). Sehr beeindruckend haben diesen Prozess der Schriftsteller Walter Tausk („Breslauer Tagebuch 1933-1940) und der Historiker und Deutschlehrer Willy Cohn („Kein Recht, nirgends: Tagebuch vom Untergang des Breslauer Judentums 1933-1941“) beschrieben. Beide waren in dem Transport, der am 25. November 1941 Breslau verließ, beide wurden erschossen. Auf einem der Bilder glaubte man die Familie von Willy Cohn zu erkennen: seine Frau Trudi (40) und seine Töchter: Susanne (9) und Tamara (3) – dies hat sich jedoch nicht bestätigt. Die Mitarbeiter des Forschungsverbandes #Lastseen versuchen, an die Angehörigen zu kommen und möglichst viele Personen zu identifizieren, aber nach so langer Zeit ist es sehr schwierig. Es gibt nämlich keine Zeitzeugen – keine der 1005 Personen, die am 25. November vom Breslauer Bahnhof Odertor nach Kaunas verschleppt wurden, hat überlebt.

Es gibt keine Liste von der Deportation, aber anhand anderer Dokumente weiß man, dass die Älteste Person 81 Jahre alt war, die Jüngste acht Monate.

Offiziell sollte der Zug nach Minsk gehen, aber das dortige Ghetto war der Gestapo nach zu „überfüllt“. Es wurde kurzfristig entschieden, den Zug in die litauische Stadt Kaunas umzuleiten. Dort war nichts für die Einnahme der Deportierten vorbereitet. Direkt nach der Ankunft der Züge aus Breslau, Berlin, München und Frankfurt, wurden die Menschen in das alte Fort IV gebracht und von dem Einsatzkommando unter dem SS-Standartenführer Karl Jäger am 29. November 1941 erschossen.

Das Gelände des Veranstaltungslokals „Schießwerder“ war mit dem weitläufigen Biergarten recht groß. Postkarte aus dem Archiv der Autorin.

Die Aufnahmen wurden in Breslau (Wrocław) auf dem Gelände des Veranstaltungslokales „Schießwerder“ am Schießwerderplatz 25 (heute ul. Łowiecka 24) gemacht. Hier wurden am 21. November 1941 die Breslauer Juden versammelt. Der Ort wurde nicht zufällig von Gestapo gewählt. Der Lokal, der 1855 erbaut wurde, verfügte über einen großen Tanzsaal bis zu 1000 Sitzplätzen und einen großen Biergarten. Er lag abseits, aber gleichzeitig zentral und von hier war es nicht weit zum Bahnhof Odertor. Vier Tage lang wurden hier die Juden gehalten, hier wurde das Gepäck verladen, hier machte Albert Hadda heimlich die Fotos. Heutzutage gehört das Gelände dem Städtischen Elektrizitätswerk. Die Gebäude des ehemaligen Etablissements existieren nicht mehr. Eine Gedenktafel in polnischer, deutscher, englischer und hebräischer Sprache erinnert im Warteraum des Bahnhofs Odertor an die tragischen Ereignisse.

Die Gedenktafel in dem Korridor des Bahnhofs Odertor Bahnhof – von hier gingen viele Transporte in die Konzentrationslager.

Text und aktuelle Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka
Historische Fotos: Kooperationsverbund #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen