Das Ledigenwohnheim von Hans Scharoun in Breslau (Wrocław)

Der Bau ist eine der interessantesten Realisierungen der Werkbundsiedlung WuWA von 1929

Nach und nach saniert, dient das Objekt heute als Schulungszentrum. 

Es sieht wie ein großes Schiff aus, das ruhig im Hafen steht. Das Ledigenwohnheim von Hans Scharoun liegt mitten im Scheitniger Park (Park Szczytnicki) im Stadtteil Grüneiche (Dąbie), in der Kopernika-Str. 9. Der Bau gehört zu den interessantesten Realisierungen der Werkbundsiedlung WuWA, die 1929 in Breslau organisiert wurde.

Der Architekt Hans Scharoun (1893-1972) wurde in Bremen geboren und ließ sich bestimmt von den nach Bremerhaven kommenden Schiffen inspirieren. Aber auch die Begeisterung der Architekten der 1920er Jahre für die Schiffsarchitektur ist hier wunderbar sichtbar. Bei dem „Scharoun-Schiff“ fehlt nur der Kamin: ursprünglich hatte das Haus einen (er wurde drei Jahre nach der Eröffnung der Ausstellung hinzugefügt). Und als das Ledigenwohnheim beheizt wurde, könnte man Eindruck bekommen, man hätte mit einem großen Ozeandampfer zu tun.

Heutzutage ist das Objekt an das städtische Wärme-Netz angeschlossen. Den baufälligen mußte man leider abtragen. Alle anderen Elemente, wie die Fensteraufteilungen, Geländer, Türen, aber auch die Farben wurden originalgetreu rekonstruiert. Über die Farben muss man staunen: von außen ist die Fassade hellgelb und unten blaugrau (der Streifen unten erinnert an das Wasser im Hafen), das Innere überrascht mit einer erstaunlichen Farbigkeit: die Eingangshalle ist kräftig blau und orange, das Restaurant ist blau und rot: die Realisierung hat sich der Aktion „Bunte Stadt“ angeschlossen. Die zweite Hälfte der 1920er Jahre war die Zeit des „Schreiens nach der Farbe“.

Organisches Bauen

Für Hans Scharoun war das organische Bauen von Bedeutung: das heißt die Verbindung der Architektur mit dem Ort. Zuerst wurde Scharoun ein anderes Grundstück auf der WuWA zugewiesen, dort, wo letztendlich das Turmhaus von Adolf Rading gebaut wurde. Deshalb musste Scharoun das erste Projekt ändern und es an den neuen Ort anpassen. Bei seinem Ledigenwohnheim hatte er zwei Zielgruppen im Sinn: Ledige (junge berufstätige Frauen und Männer, ohne Unterscheidung des Geschlechts) und Jungverheiratete (junge Ehepaare ohne Kinder). Früher waren diese Gruppen immer darauf angewiesen, ein Zimmer bei fremden Leuten zu mieten. In den 1920er Jahren sollte sich das ändern. Scharoun schlug zweistöckige Wohnungen vor: 32 Wohnungen je 27 Quadratmeter im linken Flügel des Hauses (sie wurden für die Ledigen bestimmt) und 16 Wohnungen je 37 Quadratmeter mit Balkon im rechten Flügel (für kinderlose Ehepaare).

Das kleine Wohnzimmer mit der Teeküche.

Die Wohnungen waren klein, aber aus der heutigen Sicht sehr funktional. Über eine Mini-Diele steigt man über ein paar Stufen nach oben (oder nach unten), wo sich das Wohnzimmer mit einer Teeküche befindet, die sich hinter einem Rollo verbirgt. Zuhause sollte nur kleines Essen, wie z. B. Frühstück, vorbereitet werden. Das Mittagessen sollte im Restaurant unten serviert werden – hier sollten die Bewohner einmal am Tag zusammenkommen, sowohl Männer als auch Frauen. Die moderne Frau sollte nicht mehr zu Hause bleiben und kochen, sondern so wie der Mann zur Arbeit gehen. Neben dem Restaurant bildeten die Eingangshalle, Gemeinschaftsräume und Dachterrassen einen Treff- und Integrationspunkt. Scharoun ging davon aus, dass sich die beiden Gruppen: junge Ledige und Jungverheiratete gut verstehen werden. Seine genaue Zielgruppe waren Ärzte, die in Kliniken beschäftigt sind, Studenten und Intellektuelle. Damit möglichst viele Wohnungen gebaut werden könnten, wurden sie so eingereiht, dass man in eine Wohnung die Treppen nach oben reingeht, in die nebenliegende wieder nach unten. Das verursachte zwar, dass sich die Schlafzimmer immer wieder über oder unter dem Korridor befanden (was sofort Kritik auslöste), aber sonst wurden die Lösungen genial an junge Menschen angepasst. Das Ledigenwohnheim sollte wie eine Art Hotel funktionieren: die Schlüssel sollten an der Rezeption abgegeben und die Zimmer vom angestellten Personal geputzt werden. Die Wohnzimmer wurden immer von der sonnigen südlichen Seite geplant, die Schlafzimmer dagegen von der nördlichen. Jede Wohnsektion hat die ganze Breite des Gebäudes genommen, was eine gute und schnelle Lüftung der Wohnung garantierte.

Hans Scharoun wusste, so wie die anderen Architekten der damaligen Zeit auch, dass eine Wohnung, die sich nicht auf die Sonne und Luft öffnet, keinen Sinn hat. Daher nicht nur große Fensterflächen und Balkone: auch die Innenausstattung sollte funktionell sein: leichte, praktische Möbel, die den Raum nicht ausfüllen. Sehr populär waren Möbel aus biegsamem Holz, meist von der Firma Thonett oder die mit schlankem verchromtem Stahlgestell. Auch die Schlafzimmer mit Einbauschränken wirken sehr geräumig. Einige Teile der Innenausstattung wurden von Hans Scharoun selbst entworfen, z. B. Bücherregale für die Eingangshalle, Sofas für die Wohnzimmer, Einbauschränke und Schreibtische. Seine Projektentwürfe kann man im Berliner Archiv der Akademie der Künste bewundern. An Ort und Stelle findet man leider nichts mehr: die Reste der originalen Ausstattung wurden in den Jahren 1979-1984 entfernt.

Experimentelles Bauen als Antwort auf Wohnungsnot

Die WuWA-Siedlung war eine experimentelle Siedlung. Sie wurde innerhalb von drei Monaten gebaut! Die meisten der damaligen Architekten waren jung und haben viele von den architektonischen Lösungen erst ausprobiert. Dazu kam auch der besonders strenge und lange Winter des Jahres 1928/1929, der Verzögerungen verursachte. Zwei Häuser, von Adolf Rading und von Hans Scharoun, wurden bis zur Eröffnung der WuWA-Ausstellung (15. Juni 1929) nicht fertig. Selbstverständlich hat man hier, wie bei den anderen Realisierungen der WuWA-Siedlung, Fehler nicht vermieden. Die Kork-Platten wurden von innen statt von außen gelegt (die Wände wurden vor den Wetterbedingungen nicht geschützt), die Fenster wurden aus Kieferholz gemacht, was zu Folgen hatte, dass man sie nicht auf- und zumachen konnte. Auch die Entwässerung von Dachflächen wurde nicht gut genug gelöst, was in den späteren Jahren viele Probleme mit sich brachte. Man kritisierte auch die Lüftung der Badezimmer, die durch Schlafzimmer ging und die vielen Treppen innerhalb der kleinen Wohnung.

Die Baukosten der WuWA-Siedlung fielen höher als geplant aus. Um die teuersten Realisierungen, u. a. das Ledigenwohnheim in den Finanzplänen „zu verstecken“, hat sich der schlesische Werkbund entschieden, die Preise auszugleichen: die Kosten wurden unter allen Häusern geteilt. Das hat wiederum Proteste seitens anderer Architekten ausgelöst und zu Streitigkeiten beigetragen.

Nach Beendigung der Ausstellung wurde die Wohnsiedlung zwei Jahre lang für experimentelle Zwecke genutzt. Sie wurde hauptsächlich von Künstlern, Architekten und Schriftstellern bewohnt: Die WuWA wurde zum Künstlerviertel. Auch das Ledigenwohnheim erfüllte seine Funktion nicht mehr. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde dort das Park-Hotel eröffnet. Ab 1946 diente es als Schulungszentrum für Gewerkschaften, dann als Internat der Schule der polnischen Arbeitsinspektion (Arbeitsschutzbehörde). Im Jahre 1972 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.

Musterzimmer mit Lerneffekt

Mit der Renovierung des Gebäudes wurde erst 1993 begonnen: stufenwiese, denn kurz nach der Wende gab es noch Probleme, an die richtigen Materialien, Farben und technischen Lösungen zu kommen. Einige Sanierungsarbeiten mussten nach kurzer Zeit wiederholt werden. Nichtsdestotrotz wurden das Haus mit seinen vielen architektonischen Details bis 2011 gründlich rekonstruiert. Bald werden auch die Außenanlagen (Terrassen) neu begrünt.

Es funktioniert heute als Schulungs- und Konferenzzentrum der polnischen Arbeitsinspektion. Es ist kein öffentliches Hotel, deshalb kann es in kleinen Gruppen und nur auf Anfrage besichtigt werden. Und das Interesse ist groß! Dank der innovativen Lösungen ist das Haus bis heute bei den Architekturinteressierten Touristen beliebt.

Besonders erfreulich ist, dass man ein „Musterzimmer“ – Zimmer Nr. 48 – nach den Prinzipien von Hans Scharoun erreichtete. Und noch eine Kleinigkeit muss erwähnt werden – man hat ein spezielles Kennwort für das W-LAN eingeführt: die Gäste des Schulungszentrums müssen den Namen des Architekten und das Baujahr angeben, wenn sie sich in das Netz einloggen wollen. Lerneffekt garantiert!

Kontakt bei Besichtigungswunsch:

Ośrodek SzkoleniaPaństwowej Inspekcji Pracy

Im. Profesora Jana Rosnera we Wrocławiu
ul. M. Kopernika 5, 51-622 Wrocław

hotel@os.pip.gov.pl
www.ospip.pl

Text und Bilder: Malgorzata Urlich-Kornacka