„Wir kaufen uns einen Friedhof”

Zehn Jahre Wunder von Giesmannsdorf

Jahrzehntelang glich der evangelische Friedhof in Giesmannsdorf (Gostków) bei Waldenburg (Wałbrzych) einem verwahrlosten Brachen. Bis zwei Einwohnerinnen auf die kühne Idee kamen, ihn zu erwerben.

Jahrzehntelang glich der evangelische Friedhof in dem 20 km von Waldenburg (Wałbrzych) entfernten Giesmannsdorf (Gostków) einem verwahrlosten Brachen. Dass auf dem 0,5 ha großen, von Unkraut und jungen Bäumen bewachsenen Gelände außer einer Gruft noch mehrere Dutzend Grabsteine vorhanden waren, konnte man auf den ersten Blick nicht erkennen. Dennoch war es den Einwohnern des Ortes klar: Nördlich der Ruine der evangelischen Kirche befindet sich ein alter deutscher Friedhof.

Als 2015 die Gemeindeverwaltung das Gelände zum Verkauf anbot, zögerten Angelika Nolberczak und ihre Mutter Halina Bryk nicht. Denn sie hatten die nicht unbegründete Befürchtung, dass sich die Gemeinde auf diese Weise des Problems einfach entledigen wollte. In den Jahren zuvor war sie ja häufig dafür kritisiert worden, dass sie derartige Verwüstung der Nekropole zugelassen hatte. Die Gefahr, dass der Friedhof eingeebnet wird oder dass auf dem Gelände ein Gebäude errichtet wird, war durchaus realistisch. Solche Fälle hat es in Niederschlesien bereits gegeben.

Die öffentliche Ausschreibung haben Angelika Nolberczak und ihre Mutter gewonnen und wurden so offiziell zu Besitzerinnen eines historischen Friedhofs. Nicht endgültig zerstören lassen – das war der Hauptgedanke, aber eine konkrete Idee, was mit dem Grundstück geschehen sollte, hatten die beiden Damen anfangs nicht. Kurze Zeit nach dem Erwerben fingen sie an, auf „ihrer“ Nekropole Blumen zu pflanzen, um sie ästhetischer zu machen. Dabei stellten sie zu ihrer Verwunderung fest, dass sich unter dem Unkraut doch noch viele Grabsteine oder Grabsteinteile befanden.

Ein Jahr lang haben sie ohne fremde Unterstützung den Friedhof Schritt für Schritt gesäubert. Um dieser Tätigkeit einen institutionellen Rahmen zu verleihen und Fördergelder akquirieren zu können, gründeten sie 2016 die Stiftung Fundacja Anna, die ihren Namen von Anna Renner ableitet, deren Grab als erstes wiederentdeckt wurde.

Mit Unterstützung engagierter Menschen und Vereine, die sich auch in anderen Teilen Polens für verlassene Friedhöfe einsetzen, gelang es, über 70 Grabsteine zu renovieren. Trotz der Kooperationen tragen die Stiftungsgründerinnen die Hauptlast der Arbeiten nach wie vor selbst. Für ihre Aktivitäten wurde die Stiftung Anna unter anderem mit dem Anna-Vasa-Preis der evangelischen Kirche in Polen ausgezeichnet. In der Begründung ist zu lesen, dass dank ihres Engagements Brücken zwischen Menschen verschiedener Generationen und verschiedener Herkunft gebaut werden. Hervorgehoben wurde zudem, dass sie auch Aufklärungsarbeit leisten und dass heutige Einwohner Niederschlesiens in Giesmannsdorf die Geschichte ihrer Region kennenlernen und für den großen kulturellen Reichtum Schlesiens sensibilisiert werden.

2022 wurde die Stiftung Fundacja Anna für ihr Engagement mit dem deutsch-polnischen Preis „Denkmal – denk mal dran“ ausgezeichnet. Im Bild Angelika Nolberczak bei der Preisverleihung in Gola Dzierżoniowska. Fot. Natalia Ratajczak, Quelle: Facebook

Der evangelische Friedhof in Giesmannsdorf wurde 1856 angelegt. Nach der Vertreibung der Deutschen 1945/1946 verfiel er nach und nach genauso wie die auf benachbartem Grundstück gelegene, 1785 geweihte evangelische Kirche, die den Zweiten Weltkrieg in unversehrtem Zustand überdauerte. Der Bau ist seit einem Brand in den 1960er Jahren Ruine.

Text: Dawid Smolorz