Wo einst Großmächte aufeinandertrafen

Ein vergessener Grenzort aus der Zeit der polnischen Teilungen

Auf halbem Weg zwischen Lublinitz/ Lubliniec und Tschenstochau/ Częstochowa liegt der Ort Herby/ Herby. 

Er entstand im 19. Jahrhundert in einer entlegenen Gegend mitten im Wald. In diesem Fall wäre wohl die Mehrzahlform „Orte“ präziser gewesen, denn bei Herby handelte es sich ursprünglich um zwei Siedlungen, die in zwei verschiedenen Staaten lagen. Sie entwickelten sich um den preußisch-russischen Grenzübergang, an einer Straße, die die oberschlesische Kreisstadt Lublinitz und das seit dem Wiener Kongress zum russischen Zarenreich gehörende polnische Tschenstochau verband. In der Nähe der Zollkammern entstanden auf beiden Seiten nicht nur Gaststätten, Hotels und Lager mehrerer Handelsfirmen, sondern später auch – gerade mal einen Kilometer voneinander entfernt – zwei Bahnhöfe. Die staatliche Zugehörigkeit der beiden Ortschaften fand in ihren Namen Ausdruck. Offiziell hießen sie bis zum Ersten Weltkrieg Preußisch-Herby und Russkije Gjerby, also Russisch-Herby.

Ehemaliger russischer Grenzbahnhof, heute Wohngebäude. Foto: D. Smolorz.

Der relativ rege Grenzverkehr intensivierte sich zusätzlich, als der oberschlesische Teil der Ortschaft 1892 Anschluss an das deutsche Eisenbahnnetz erhielt. Fortan konnten Reisende aus Russisch-Polen nicht nur Lublinitz und Oppeln, aber indirekt auch Breslau und andere deutsche Großstädte bequem von der Grenze aus erreichen. Russisch-Herby musste auf eine Bahnverbindung nach Tschenstochau bis 1903 warten. Zum einen resultierte das aus einer Strategie des russischen Staates. Nur ungern baute man im Grenzgebiet gute Verkehrsinfrastruktur, um im Falle eines militärischen Konflikts dem Feind das Leben nicht leichter zu machen. Keine geringe Rolle spielte hier aber auch der Widerstand der Eisenbahngesellschaft, welche die Warschau-Wiener-Eisenbahn mit Abzweigung nach Sosnowitz (Richtung Kattowitz) betrieb. Da der Weg von Warschau nach Breslau über Herby um ca. 100 km kürzer war als über Kattowitz, konnte sie jahrelang das Projekt mit Erfolg torpedieren.

Ehemaliges deutsches Zollamt (im Vordergrund) und Sitz des deutschen Grenzschutzes. Foto: D. Smolorz.

Die große Geschichte der beiden kleinen Orte ging 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu Ende. Bis 1918 befand sich Russisch-Herby unter deutscher Besatzung. Im November 1918 wurde der polnische Staat wiederhergestellt, somit wurde die bisherige deutsch-russische Grenze für eine kurze Zeit noch zur deutsch-polnischen Grenze. Nach den Aufständen und der Volksabstimmung wurden jedoch Ostoberschlesien und damit auch Preußisch-Herby 1922 polnisch. Der Ort erhielt nun den amtlichen Namen Herby Śląskie (Schlesisch-Herby). Russisch-Herby war bereits 1918 in Herby Polskie (Polnisch-Herby) umbenannt worden. Die Linie, die noch 1914 zwei europäische Großmächte voneinander trennte, war fortan nur noch eine Grenze polnischer Wojewodschaften. 1954 verschwand auch sie, als beide Orte zusammengeschlossen wurden. Damit entstand die Gemeinde Herby im Landkreis Lublinitz, die aus einem oberschlesischen und einem kleinpolnischen Teil besteht.

Bahnhof in Preußisch-Herby 1905. Bildquelle: Fotopolska.eu.

In dem heute teilweise im Dornröschenschlaf versunkenen Ort erinnern noch mehrere Objekte an die Grenze, ohne die er in dieser Gestalt nie entstanden wäre. Erhalten geblieben sind die beiden Grenzbahnhöfe, wobei der frühere russische heute als Wohngebäude dient. Das ehemalige preußische Zollamt wurde in ein Gemeindeamt umfunktioniert, die ehemalige Kaserne des russischen Grenzschutzes beherbergt wiederum ein Erziehungsheim für Jugendliche.

Deutsch-russischer Grenzübergang in Herby, vor 1914. Bildquelle: Fotopolska.eu.

Text: Dawid Smolorz