Agnieszka Bormann sprach mit dem Regionalforscher, Übersetzer und Verleger über seine Arbeit, Beweggründe, Pläne
Das Interview ist in der Zeitschrift „Schlesien heute“ (12/2021) erschienen.
Marcin Wawrzyńczak gründete seinen Verlag Wielka Izera um eine Geschichte zu erzählen. Drei Jahre später blickt er auf ein Dutzend Publikationen und mehrere Entdeckungen zurück. Dafür wird er mit dem Riesengebirgspreis für Literatur ausgezeichnet.
Mit dem Übersetzer und Verleger sprach Agnieszka Bormann, Kulturreferentin für Schlesien am Schlesischen Museum zu Görlitz
AB: Geboren und aufgewachsen bist Du in Warschau, weit weg von Schlesien. Erst als erwachsener Mensch um die Dreißig, verheiratet und Vater von drei Töchtern, hast Du der polnischen Hauptstadt den Rücken gekehrt. Dein Weg nach Chromiec (Ludwigsdorf) im Isergebirge führte zunächst über einen Ort an der polnisch-weißrussischen und einen anderen an der polnisch-litauischen Grenze. Es waren Wanderjahre auf der Suche nach dem Ort fürs Leben. Um diesen Weg zu reflektieren, bemühst du manchmal die Metapher von einem Beigel, nach der das wirklich Interessante am Rande liegt, nicht in der Mitte. Was genau an den Grenzregionen zieht Dich so an?
MW: Grenzgebiete sind per Definition multikulturelle Gebiete, was besonders attraktiv ist, wenn die vorherrschende Kultur etwas Überwältigendes hat. Es sind Gegenden, in denen es schwierig ist, singuläre Perspektiven zu präsentieren, weil sie sofort als zu eng und unzureichend erscheinen würden. In diesem Sinne erweitern Grenzgebiete dein Bewusstsein. Dies ist besonders im Gebirge der Fall, wo erstens das Natürliche über das von Menschenhand Geschaffene die Oberhand gewinnt, und wo es zweitens keine geraden Wege gibt. Schwarz-weiße Null-Eins-Stereotypen sind hier schwerer zu akzeptieren als im Flachland, wo du nur die Erde unter dir und den Himmel über dir hast, geteilt durch eine gerade Linie. Im Gebirge sind alle Perspektiven dreidimensional, das Bild ändert sich mit jedem Schritt, und es ist offensichtlich, dass es nicht nur die eine Wahrheit gibt: Alles hängt davon ab, wo man steht. Dieses Freiheitsgefühl – körperlich, kulturell und geistig – zieht seit Jahrhunderten rastlose Geister an und ich bin glücklich und stolz, Teil dieser Tradition zu sein.
AB: Im Gegensatz zu Deiner Heimatstadt, die im Zweiten Weltkrieg von deutschen Besatzern fast komplett zerstört und danach in ihrer heutigen Gestalt wiederaufgebaut wurde, erlebst Du in Schlesien Geschichte zum Anfassen „im Original“, aber es ist die deutsche Geschichte. Du bist umgeben von alter deutscher Architektur und von einer Landschaft, die Jahrhunderte lang überwiegend in deutscher Sprache und Kultur kodiert wurde. Was macht das mit einem sensiblen Menschen? Hast Du als Warschauer am Anfang Deiner Zeit in Schlesien einen inneren Konflikt gespürt? Wie hast Du das „Trauma der Warschauer“ verarbeitet?
MW: Zunächst einmal denke ich, dass Schlesien immer multikulturell war, ein Schmelztiegel, wenn auch überwiegend deutschsprachig geprägt. Aber die Menschen hier haben sich jahrhundertelang in erster Linie als Schlesier verstanden, nicht unbedingt als Deutsche und schon gar nicht im Sinne eines modernen Nationalstaates. Es ist nicht zu leugnen, dass es mich eine gewisse mentale Anstrengung kostete, tiefer in das hinein zu dringen, was mich hier umgibt. Mir wurde aber schnell klar, dass es nirgendwohin führt, im Trauma erstarrt zu bleiben, dass es tatsächlich jeden Fortschritt verhindert und bestehende Spaltungen nur verschärft. Meine Idee ist also, “sich an alles zu erinnern, aber nichts zu beurteilen”. Mit diesem neuen Gefühl – der Erleichterung, der freudigen Erwartung, etwas Positives in diesem so wichtigen Bereich der polnisch-deutschen Beziehungen zu tun – tauchte ich in die unendlich reiche, komplexe und vielschichtige Geschichte meiner neuen Heimatregion ein. Dabei habe eine einzigartige Kultur entdeckt, aber vor allem auch Menschen kennengelernt, sowohl die von vor 100 oder 200 Jahren als auch die heute lebenden Menschen, die dieselbe Leidenschaft für die Region teilen, sich gerne treffen und austauschen.
Geschichte “zum Anfassen” erleben zu können – in Schlesien etwas Alltägliches – ist für einen Menschen aus einem sozialistischen Wohnblock an einem Ort, an dem alles höchstens 20 Jahre alt war, wirklich etwas Großartiges. Dazu kommt die Zeitreise bei der Übersetzung historischer Texte und die Expedition in die so unglaublich facettenreiche deutsche Kultur, die wirklich grundlegend ist, um zu verstehen, was Europa heute ist – das ist eine wirklich faszinierende Kombination.
AB: Ein Teil von Schlesien, das Isergebirge, wurde mittlerweile von einem Randgebiet – in gesamtpolnischer Perspektive – zum Mittelpunkt Deines Lebens. Seit über 10 Jahren lebst Du in Chromiec in einem wunderschönen, ehemals deutschen Haus. Hast Du auch nach der Geschichte des Hauses und seiner früheren Bewohner recherchiert?
MW: Paradoxerweise weiß ich wenig über die Geschichte des Hauses, in dem ich wohne, und über seine Bewohner vor 1945. Aber ich habe keinen Zweifel dran, dass es ein magisches Haus ist – mit seinen fünf verschiedenen Ebenen, unzähligen Ecken und Winkeln, Dutzenden von Türen und Fenstern – ein Lebewesen oder vielleicht ein Schiff, das durch den Ozean der Zeit fährt, auch wenn die Besatzungen wechseln. Ich sage deswegen immer wieder, dass „nicht das Haus mir gehört, sondern ich gehöre dem Haus“. Hier gab es Menschen vor mir und es wird Menschen nach mir geben. Voller Ehrfurcht und Respekt vor denen, die es erbaut haben, betrachte ich mich als seinen Wächter, als ein Crew-Mitglied, das sicherstellt, dass die Segel in gutem Zustand sind, damit das Schiff weiterfahren kann. Und ich bin mir sicher, dass ich ohne das Mitgefühl der Geister, die hier wohnen, nicht da wäre, wo ich jetzt bin.
AB: Bei Deiner Auseinandersetzung mit der Geschichte des Hauses und seiner Umgebung müssen die Anfänge – noch ohne Deutschkenntnisse – schwer gewesen sein. Getrieben von der Neugier und der Lust am Entdecken, hast Du Deutsch gelernt und begonnen, zu übersetzen. Als erfahrener Englisch-Übersetzer hast Du das Handwerk schnell beherrscht. Diese ausgeprägte, starke Motivation hat mit einer Entdeckung zu tun, die schließlich in der ersten Publikation mündete.
MW: Ja, alles begann im Sommer 2018, als ich die Überreste der Michelsbaude im Isergebirge entdeckt hatte, der – wie ich später erfuhr – einzigen Baude auf der sog. Alten Zollstraße zwischen Schreiberhau (Szklarska Poręba) und Karlsthal (Orle). Ich fand ein kleines ovales Schild und nachdem ich den Schmutz und die Patina entfernt hatte, wurde der Schriftzug „R. Adolph – Michelsbaude“ sichtbar. Etwas lag in der Luft, es war wie eine Offenbarung. Mir wurde klar, dass eine Geschichte mich als Medium auserwählt hatte, um erzählt zu werden. Also fing ich an, nach den Spuren der Michelsbaude zu suchen, zu recherchieren. Auf Polnisch fand ich keine Informationen, dafür aber stieß ich im Internet auf Hinweise in deutschsprachigen Quellentexten, in Reiseführern und Reiseberichten. Damals waren meine Deutschkenntnisse noch nicht ausreichend, um diese Texte lesen zu können. Geholfen hat mir Jowita Selewska, eine Germanistin aus der Region, die ich via Facebook kennenlernte. Mit ihrer uneigennützigen sprachlichen Unterstützung konnte ich die Geschichte der Michelsbaude erzählen, diesen Ort der Vergessenheit entreißen. Von einem Phantom – einem Schild und einem Namen auf der Landkarte – wurde sie zu einem Ort mit Geschichte, und zwar durch die Ansammlung meist lakonischer Erwähnungen in Reiseführern, historischen Reiseberichten, durch die Entschlüsselung vieler Anspielungen in den Werken von Gerhart Hauptmann oder Will-Erich Peuckert, durch die Zusammenstellung der Namen von Pächtern und hier lebenden Personen, die in Geburts- und Sterberegistern und offiziellen Dokumenten gefunden wurden und so weiter…
MW: Ja, denn trotz intensiver Recherche spürte ich schon unmittelbar nach der Buchveröffentlichung, dass es rund um die Michelsbaude noch Wissenslücken gibt. Ich durchsuchte weiter die Bestände der Digitalbibliotheken und stieß dabei auf Werke, die in der Geschichtsschreibung Schlesiens grundlegen sind, etwa jene von Johann Tobias Volkmar, Johann Friedrich Zöllner, Josef Karl Eduard Hoser oder Adolf Traugott von Gersdorf. Zu meiner Verwunderung musste ich feststellen, dass diese nicht einmal in Auszügen auf Polnisch veröffentlicht waren. Also begann ich zu übersetzen.
AB: Damit hast Du eine wichtige Pionierarbeit geleistet! Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich damals, Anfang 2019, zufälligerweise – oder gibt es keine Zufälle? – auf Deine Übersetzungen gestoßen war, die Du auf Facebook regelmäßig veröffentlichtest. So begann auch unsere Zusammenarbeit, und die Idee für eine deutsch-polnische Anthologie der alten Reiseberichte Wanderer im Riesen-Gebirge (Podróżnicy w Górach Olbrzymich) war schnell geboren. Mich beeindruckt nach wie vor die Qualität Deiner Übersetzung. Die polnischen Texte lesen sich sehr leicht, haben einen angenehmen Rhythmus, wirken nicht gekünstelt und lassen die Lesenden sich mühelos in die früheren Zeiten versetzen.
MW: Auch ich kam mir bei der Arbeit als Zeitreisender vor. Gleichzeitig faszinierte mich die Möglichkeit, jeder Zeit vom Schreibtisch aufbrechen zu können und ins Gebirge zu gehen, zum Ort des Geschehens in den Texten. Das mache ich immer wieder. Die detaillierten Berichte ermöglichen es ja beinahe den Spuren früherer Wanderer zu folgen. Ich las die Reiseberichte und konnte mich mehr und mehr ins Leben der Autoren oder der beschriebenen Bewohner der Berge einfühlen. Eine besondere Freude bereiteten Textpassagen, die mir am Herzen liegende Orte beschreiben: den Iserkamm, die Umgebung der Iser- und Kobelwiese, den Michelsbaudenplan, heute als Hirschwiese (Jelenia Łąka) bekannt, oder die Alte Zollstraße. Durch die Landschaft und in der Landschaft spüre ich eine metaphysische Verbindung zu den Geistern der früheren Bauden-Bewohner und der Wanderer.
AB: Welcher Reisebericht, von welchem Autor, ist Dir besonders ans Herz gewachsen?
MW: Die bisher berührendste Entdeckung war das 1804 in Leipzig erschienene Buch „Reise von Thüringen durch Sachsen, die sächsische Schweiz und die Oberlausitz, über den Oybin und Meffersdorf in das schlesische Riesengebirge“. Der Autor hatte im Laufe seiner Reise eine Nacht in der Michelsbaude verbracht und den einzigen bekannten so ausführlichen Bericht über sein Inneres hinterlassen. Auszüge aus diesem anonym veröffentlichten Reisebericht haben wir in „Wanderer im Riesen-Gebirge“ veröffentlicht. Ich entschloss mich aber, das ganze Buch zu übersetzen. Mir fehlten zwei wichtige Angaben – das Jahr, in dem die Reise stattgefunden hat, und die Identität des Autors. Während ältere Bibliographien (z.B. „Literarische Grundlage zur Beschreibung und Geschichte der Oberlausitzischen Dörfer“ im „Neuen Lausitzischen Magazin“, 1832, Heft 2, S. 154) ihn als David Friedrich Schulze identifizierten, einen Katecheten aus Zittau, fügten neuere einen Friedrich Herrmann hinzu, und z. B. die SLUB-Bibliothek in Dresden nennt nur diesen als Autor.
Im Zuge der Übersetzung entdeckte ich im Buch jedoch den Hinweis: „Vor einigen Tagen ist der Flinsberger Revierjäger, wie man allgemein glaubt, von Wilddieben … erschossen worden“. Dies ist sicherlich ein Hinweis auf Johann Christian Ullbrich, dessen Tod damals Schlagzeilen machte (vgl. den Artikel „Schreckensvolle Mordthat“ in den „Schlesischen Provinzialblättern“, Jahr 36, Heft 8, August 1802) und dessen Gedenkstätte noch heute an der Stelle seines Todes in den Bergen oberhalb von Świeradów-Zdrój (Bad Flinsberg) zu finden ist. Damit konnte das Jahr der im Buch beschriebenen Reise auf 1802 datiert werden.
Auf das bis dahin vergessene Ullbrich-Denkmal wurde ich vor einigen Jahren durch den mittlerweile verstorbenen Jerzy Sapiela vom Oberforstamt in Szklarska Poręba (Schreiberhau) aufmerksam gemacht. Aufgrund seiner Informationen wurde der Standort von Bartosz Kijewski entdeckt, einem engagierten Regionalisten aus Świeradów-Zdrój. 2019 habe ich eine Gruppe von Freiwilligen organisiert, um das Gelände zu räumen und das Denkmal zu sanieren.
AB: Das ist auch nicht die einzige von Dir initiierte Aktion, die sichtbare Spuren in der Landschaft hinterlassen hat. Auf Deine Initiative hin wurde im September 2019 auf der Hirschwiese ein großer Stein installiert. Die daran montierte Tafel informiert die vorbeiziehenden Wandernden auf Polnisch, Deutsch und Tschechisch über die Michelsbaude, die dort einmal stand.
Aber zurück zum besagten Reisebericht und zur Frage seiner Autorschaft. Wie ging das weiter?
MW: Ich hatte also das Jahr der Reise von David Friedrich Schulze oder Friedrich Herrmann auf 1802 datieren können. Mit Hilfe von Ullrich Junker habe ich die Reisetagebücher von Adolf Traugott von Gersdorf für September 1802 durchgesehen und einen Eintrag für den 15. September gefunden. Hier erwähnt von Gersdorf die Gesellschaft, mit der er an diesem Tag die Tafelfichte bestieg, zu der auch Herr Schulze gehört. Der Autor des Reiseberichtes wiederum widmet seinem Aufenthalt im Schloss des Herrn von Gersdorf ein ganzes Kapitel und dem „Tag auf der Tafelfichte“ ein eigenes Unterkapitel. Die beiden Autoren hatten offenbar von demselben Ereignis geschrieben! Basierend auf diesen Informationen ziehe ich daher den Schluss, dass die „Reise von Thüringen durch Sachsen, die sächsische Schweiz und die Oberlausitz…“ ein Werk von David Friedrich Schulze (geb. 1775 in Tiefensee bei Düben, gest. 1810 in Waldheim) ist. Abgesehen von zwei kurzen Komödienstücken und einigen Epigrammen in der „Neuen Lausitzischen Monatsschrift“ ist die „Reise…“ das einzige und mit Abstand bedeutendste literarische Werk des früh verstorbenen Autors. Es enthält zahlreiche wichtige Augenzeugen-Informationen über die besuchten Orte, nicht zuletzt seine Schilderung einer Nacht in der einsamen Baude auf dem Hohen Iserkamm – der Michelsbaude.
Ich bin sehr glücklich und geehrt, seinen Namen aus der Vergessenheit zu holen und dabei noch zur Richtigstellung in der Geschichtsschreibung beigetragen zu haben. Abgesehen von allem anderen hat mich Herr Schulze auch damit beeindruckt, dass er offenbar an einem Tag eine Strecke von rund 40 Kilometern zu Fuß gegangen war, um am nächsten Morgen seine Wanderung fortzusetzen.
AB: Vor dem erneuten Aufbruch hat Herr Schulze aber noch „im Glanze der Morgenröthe auf einem Steine neben der murmelnden Wasserleitung“ seine Erlebnisse notiert, damit wir sie heute lesen und nachempfinden können. So wie Schulze vor etwa 220 Jahren bist Du heute von der Persönlichkeit Adolf Traugott von Gersdorfs fasziniert und seine Reisejournale aus dem Iser- und Riesengebirge sind das nächste große Projekt. Es umfasst aber nicht nur die Übersetzung.
MW: Ja, ich glaube, Adolf Traugott von Gersdorf war eine so außergewöhnliche Persönlichkeit, eine Institution für sich, die mehr als ein Buch verdient. Zumal er heute in „seiner“ Gegend um Pobiedna (Meffersdorf-Wigandsthal) wenig bekannt ist, obwohl er jahrzehntelang fast ihr Symbol und Markenzeichen war. Nahezu alle Reisenden in Richtung Riesengebirge besuchten ihn, und einige – wie der Katechet Schulze aus Zittau – hatten das Glück, seine Sammlungen zu begutachten, seine elektrischen Experimente mitzuerleben und mit ihm in den Bergen zu wandern. Von Gersdorf war in mehrfacher Hinsicht Vorreiter – als Naturwissenschaftler, Elektrizitätsforscher, Sozialreformer, der seine Untertanen von der Leibeigenschaft befreite, Künstler und Kunstkenner und nicht zuletzt als leidenschaftlicher Bergwanderer, der allein 80 Mal die Tafelfichte bestieg. War jemand von uns 80 Mal auf einem Berg? Als ich seine Reisetagebücher las, kam ich ihm sehr nahe, und ich dachte, dass deren zukünftige Veröffentlichung mit einem breiteren Veranstaltungsprogramm verbunden werden sollte, das Menschen auf deutscher und polnischer Seite einbeziehen könnte. Ich stelle mir eine Sitzbank in Pobiedna mit der überlebensgroßen Bronze des sitzenden von Gersdorf vor, die Initiierung eines ihm gewidmeten und auf seinen Spuren führenden Wanderwegs, eine mineralogische Werkstatt, eine astronomische Werkstatt, eine Bergwanderung in historischen Kostümen oder eine virtuelle Schlossführung. Einiges davon – insbesondere die Sitzbank – sind große Projekte, andere sind bescheidener und einfacher durchzuführen. Auf jeden Fall möchte ich die Einwohner von Pobiedna darauf aufmerksam machen, dass eine so außergewöhnliche Persönlichkeit hier lebte. Das könnte sie mit Stolz und Freude erfüllen und auch den hiesigen Tourismus ankurbeln. Ich muss zugeben, dass ich ein Porträt von Adolf Traugott von Gersdorf auf meinem Schreibtisch habe, also ist er wie mein Gönner oder so [lacht]. Aus irgendeinem Grund ist es eine enge Verbindung geworden. Ich denke, sein Geist ist noch immer in den Bergen zu spüren, die er so geliebt und so oft besucht hat.
AB: Jetzt weiß ich, von wem Du Deine enorme Arbeitsdisziplin hast! Kein Wunder bei solchem Vorbild [lacht]. Das Tempo Deiner Übersetzungs- und Verlagsarbeit in den letzten drei Jahren ist ja erstaunlich. Das bleibt nicht unbemerkt. Wenn am 12. Dezember 2021 zum zweiten Mal der Riesengebirgspreis für Literatur in Jelenia Góra (Hirschberg) verliehen wird, wird mit einem Sonderpreis auch Deine Leistung geehrt. Was bedeutet für Dich diese Auszeichnung?
MW: Aus meiner Sicht gibt es kaum etwas Wichtigeres, als Polen und Deutsche zusammenzubringen. Wenn ich also zu dieser Aufgabe auf noch so bescheidene Weise beitragen kann, dann freut mich das sehr. Übersetzer sind in der Regel kulturelle Mittler, Merkurboten zwischen verschiedenen Kulturen, und in diesem Sinne ist meine Arbeit an der Übersetzung historischer deutscher Texte über das Riesen- und Isergebirge eine Arbeit zur besseren Verständigung zwischen unseren Völkern, zur Überwindung von Klischees hin zu einem “Weg des Herzens”. Die historischen Reiseberichte stellen eine multiple Begegnung dar: mit dem Autor, mit den Menschen, die sie beschreiben, mit der Landschaft, mit der Kultur und auch mit uns selbst, wenn wir einen Blick auf unser Denken und Leben gewinnen, einen Einblick, wie wir den Menschen aus der Vergangenheit ähneln und wie wir uns von ihnen unterscheiden. Die Literatur bietet diesen Begegnungsraum und das ist ihre große Kraft.