Optantensiedlungen

Relikte aus der Zeit der ersten „oberschlesischen Völkerwanderung“

Nach der Teilung Oberschlesiens 1922 zwischen Deutschland und Polen setzte in beiden Richtungen eine Auswanderungswelle ein.

Als die Region nach den Aufständen und der Volksabstimmung 1922 zwischen Deutschland und Polen geteilt wurde, setzte in beiden Richtungen eine Auswanderungswelle ein.

Insgesamt mehr als 200.000 Oberschlesier, also annähernd jeder zehnte Einwohner der Region, machten von dem Recht der Option Gebrauch, das ihnen die Oberschlesien-Konvention einräumte, und siedelten in den deutschen bzw. polnischen Teil über. Die einen wollten weiterhin in Deutschland leben, die anderen wiederum ihren Traum von einem Leben in Polen mit der Realität konfrontieren lassen. Nicht selten mussten auf einer Seite des Konflikts engagierte Bürger jedoch nicht freiwillig, sondern unter Zwang oder aus Furcht um ihr Leben und das ihrer Familien den bisherigen Wohnort verlassen.

Flachrelief „Wanderer“ an einem Optantenhaus in Bielschowitz. Foto. D. Smolorz.

In der ersten Phase lebten Tausende Optanten, wie man die Übersiedler damals oft nannte, in provisorischen Baracken oder Notunterkünften: Schulen und Kasernen. Ab Mitte der 1920er Jahre wurden für sie – vor allem in den größeren Städten des Industriegebietes – Wohnhäuser oder ganze Siedlungen errichtet. Auf deutscher Seite steuerten die meisten Optanten aus dem polnisch gewordenen Teil der Region Hindenburg/Zabrze an. Deswegen entstanden in der Innenstadt und in einigen Stadtteilen, u. a. in  Mathesdorf/Maciejów und Zaborze/Zaborze, Siedlungen für Deutsche aus Polnisch-Oberschlesien. Ihre Eigenart bestand zum Teil darin, dass sie manchmal nahe der neuen Staatsgrenze lagen, sodass die Übersiedler ihre früheren Wohnorte fast aus dem Fenster sehen konnten. Bei den architektonischen Ensembles handelte sich meistens um moderne und ästhetische Ein- und Mehrfamilienhäuser. Wohnungen in einigen dieser Siedlungen, z. B. in der sog. „Gagfah-Siedlung“ nahe der St. Josefskirche, sind bis heute auf dem Immobilienmarkt gefragt.

Viele Optanten fanden auch in Beuthen/Bytom ein neues Zuhause. Aufgrund ihrer Lage in einem von drei Seiten vom polnischen Staatsgebiet umgebenen deutschen Zipfel war die Stadt als Zufluchtsort für Übersiedler besonders prädestiniert. Vor allem wegen des großen Zuzugs aus dem abgetretenen Teil der Region entstanden nördlich des Stadtzentrums, auf dem sog. Großfeld und im Stadtteil Rossberg/Rozbark, neue Wohngebiete. Teils handelte es sich dabei um Reihenhäuser, teils um spektakuläre großstädtische Architektur, wie zum Beispiel die Anlage „Kalide-Block“.

Wie in Deutsch-Oberschlesien wurden auch auf polnischer Seite der Grenze Wohngebäude und Siedlungen für Optanten erbaut. Eine der größten von ihnen entstand im heutigen Rudaer Stadtteil Bielschowitz/Bielszowice. An einigen der einstöckigen Gebäude ist bis heute ein Relief mit einem Wanderer zu sehen – eine Anknüpfung an das Schicksal der ursprünglichen Bewohner. Einen Mischcharakter hatte wiederum die Kleinhaussiedlung in Kattowitz-Zalenze/Katowice-Załęże, die  aus über 60 Gebäuden besteht und nach dem polnischen Staatspräsidenten Ignacy Mościcki benannt wurde. Ihre Bewohner waren nämlich nicht nur aus Deutsch-Oberschlesien eingewanderte Optanten, sondern auch Beamte der autonomen Wojewodschaft Schlesien. Ein bemerkenswerter Gebäudekomplex, bekannt als „Haus des Flüchtlings“ (Dom Uchodźcy), wurde zudem am südlichen Rand der Kattowitzer Innenstadt errichtet. Weitere Optantenhäuser auf polnischer Seite gab es u. a. auch in Königshütte/Chorzów und Knurow/Knurów.

Nach 1945 blieben die Hintergründe der Errichtung der oberschlesischen Optantensiedlungen für das breitere Publikum lange unbekannt. Erst vor einigen Jahren wurden an den Gebäuden in Kattowitz, Ruda und in einer Siedlung in Beuthen Informationstafeln angebracht, die die Teilung der Region und die großen Migrationsbewegungen in den 1920er Jahren als Ursachen ihrer Entstehung nennen.

Text: Dawid Smolorz