Goethes schlesische Liebe

Am 22. März 2022 wurde an den 190. Todestag von Johann Wolfgang von Goethe erinnert. 

Goethes Aufenthalt in Schlesien 1790 wurde von einer Liebesgeschichte überschattet.

Fräulein Henriette und Johann Wolfgang von Goethe.

Am 22. März 2022 wurde an den 190. Todestag von Johann Wolfgang von Goethe gedacht. Aus dem Anlass erinnern wir an den Aufenthalt Goethes in Schlesien und besonders an seine weniger bekannte Episode, nämlich Goethes schlesische Liebe – Henriette Freiin von Lüttwitz.

Diese Geschichte beschrieb drei Jahre nach Goethes Tod der jüngere Bruder von Henriette, Freiherr Hans Ernst von Lüttwitz, der später ein Gut in Gorkau-Zobten (heute Sobótka-Górka) im Bezirk Breslau (Wrocław) kaufte. In seinem Leben veröffentlichte er einige Bücher. Eins von ihnen war die Biographie seines Schwagers, „Biographie des königl. preuß. Staatsministers Freiherrn von Schuckmann“, die 1835 in Leipzig herausgegeben wurde.

Hier findet man einen Abschnitt, der später ein großes Interesse bei den schlesischen Goethe-Forschern hervorrief und verursachte, dass die schlesische Reise Goethes bis heute „eine der dunkelsten und verworrensten Partien“ im Leben des Dichters bleibt: „Goethes Verehrer werden gewiß mit Vergnügen diese seiner schönen Aeußerungen lesen, in denen sich die Wahrheit ohne Dichtung rein ausspricht und vielleicht auch gern vernehmen, daß Goethe während seines Aufenthalts in Breslau in Schuckmann’s Hause bei dessen Frau eine Freundin hatte kennen lernen, die er zur Gattin begehrte; nämlich die älteste Schwester des Verfassers dieser Biographie, welche zwar den Dichter von Werther’s Leiden nicht verschmähte, aber doch seine Wünsche nicht erfüllen durfte und späterhin zweite Gemahlin Schuckmann’s wurde.“ – steht in der Biographie.

Kaspar Friedrich von Schuckmann und das Wallenberg-Pachaly-Palais am Roßmarkt 10 (heute ul. Szajnochy 10) in Breslau.

Auch eine andere Quelle bestätigt teilweise, dass Goethe an Henriette Gefallen fand. In den „Auszügen aus des Freiherrn von Schuckmann Briefen an Kapellmeister Friedrich Reichardt“, die Karl von Holtei in dem „Westermann’s Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte“ veröffentlicht hat, findet man so einen Satz: „Ein Mädchen gefiel ihm hier; die Freundin meiner Seligen, von der Du die Zeichnung bei mir gesehen hast. Auch da hat ihn sein Auge nicht betrogen. (…)“ – schrieb Schuckmann an Reichardt in einem Brief vom 26. September 1790.

Freiherr von Schuckmann bewohnte damals als hoher Beamter die Räume des repräsentativen Wallenberg-Pachaly-Palais’ (Projekt von Carl Gotthard Langhans) am Roßmarkt 10 in Breslau (heute ul. Szajnochy). Er war seit einigen Monaten Witwer und lebte dort mit seiner Schwiegermutter, die sich um seinen kleinen Sohn kümmerte. Eine junge, einundzwanzigjährige Dame, die engste Freundin der Verstorbenen, Henriette Freiin v. Lüttwitz, half ebenfalls dabei. Goethe lernte sie am 17. August 1790 im Haus von Schuckmann kennen. Diese Bekanntschaft gab den Heimatforschern Anlass zu späteren Spekulationen über Goethes Liebeserklärung und deren Ablehnung durch Henriettes Vater, der Generallandschaftsrepräsentant Hans Wolf Freiherr v. Lüttwitz, dem außer dem Schloßgut Hartlieb bei Breslau (heute Partynice – ein Teil von Breslau) noch vier andere Güter gehörten. Er sollte nicht einverstanden gewesen sein, weil er bei dem Frankfurter Bürgersohn den Geburtsadel vermißte („von“ wurde Goethe für seine Verdienste vom Herzog verliehen). Besonders eine Stelle, die bei Holtei auftritt, nämlich, „daß die besten, treffendsten und bezeichnendsten Stellen unterdrückt werden mußten, (…) weil wir auf Erden und unter Menschen leben, denen wir Rücksichten schuldig sind. Nicht Alles, was ein Freund dem Freunde einstmals vertraulich schrieb, darf der Lebende der Welt preisgeben; so wenig, wie er ein Recht hat, die Heiligkeit der Gräber zu entweihen“, ließ ein weites Feld von Vermutungen offen, welche Stellen denn „unterdrückt werden mußten“. Natürlich betrafen die meisten Vermutungen Goethes angeblichen Heiratsantrag an das Fräulein von Lüttwitz. Die meisten Heimatforscher hielten es für möglich, die Goetheforscher lehnten es natürlich ab. Seit 1788 lebte Goethe in einer unehelichen Beziehung mit Christiane Vulpius in Weimar und wie man weiß, nahm er seine Geliebte mit dem kleinen Sohn August Anfang 1790 zu sich in sein Haus, was einen großen Skandal hervorgerufen hat. Die Forscher betrachten also Goethes Heiratsbemühungen als völlig unwahrscheinlich. Wie es in der Wirklichkeit war, wissen wir nicht. Wir wissen jedoch, dass Goethe schöne Frauen und guten Wein liebte. Beide Sachen konnte er bestimmt in Breslau finden. Goethes schlesische Liebe Henriette heiratete im Mai 1791 Friedrich von Schuckmann. Leider starb sie 1799 im Alter von 29 Jahren. Sie wurde auf dem heute nicht mehr existierenden Friedhof in Gorkau (Sobótka-Górka) begraben, der ein Friedhof der Familie von Lüttwitz war.

Johann Wolfgang von Goethe kam nach Schlesien im Sommer 1790. Der Grund dafür war die angespannte Situation zwischen Preußen und Österreich. Nach der Niederlage in den Schlesischen Kriegen beschloss Österreich, sein Territorium zu erweitern und trat in den Krieg zwischen Russland und der Türkei ein. Auf eine Antwort von der preußischen Seite musste man nicht lange warten: im April 1790 wurde die Armee in Alarmbereitschaft versetzt. Unter den Generälen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. befand sich auch Herzog Karl August, der Goethe zu sich rief. Noch vor seiner Ankunft wurde am 27. Juli 1790 die Reichenbacher Abkunft unterzeichnet (Österreich zog seine Truppen aus der Türkei zurück und gab alle beschlagnahmten Gebiete zurück). Es wurde noch auf einen Boten aus der Türkei gewartet, aber inzwischen konnte man schon feiern. Und diese seltsame Zeit verbrachte Goethe in Schlesien. „Seit Anfange des Monats bin ich nun in diesem zehnfach interessanten Lande, habe schon manchen Theil des Gebirgs und der Ebne durchstrichen und finde, daß es ein sonderbar schönes, sinnliches und begreifliches Ganze macht. Manche Unannehmlichkeit und Plage wird durch neue Begriffe und Ansichten vergütet. Ich werde viel zu erzählen haben, wenn es mir im Winter wieder erzählerisch wird. Schreiben kann ich nicht, das wißt Ihr. Also nur, daß der Herzog wohl ist, starck und dick, auch der besten Laune (…)“ – schrieb Goethe am 10. August 1790 an die Herders vom Dorf Gräbschen (heute Teil von Wrocław).

Das Goethe-Haus in Weimar.

Da die 1826 von Goethe angekündigte „Campagne in Schlesien“, die für den 26. Band seiner vollständigen Ausgabe letzter Hand vorgesehen war, am Ende doch nicht von ihm verfasst wurde, suchten viele Historiker nach den Ursachen dafür. Unter ihnen gab es besonders viele Schlesier, die in zahlreichen Veröffentlichungen darum wetteiferten, eine Antwort auf die Frage, warum Goethe sich nicht entschlossen habe, seine fast zweimonatige Reise durch das „zehnfach interessante Land“ zu beschreiben, zu finden. Und viele von ihnen sahen die Ursachen in den Geschehnissen des Sommers 1790 und in der unbekannten schlesischen Liebesgeschichte. Die Bestätigung dafür sollte ein Epigramm sein, dass Goethe am 26. September an Herders schickte und das sich auf seinen Aufenthalt in Zirlau (Ciernie) bei Freiburg (Świebodzice) bezog:

Feldlager 1790

Grün ist der Boden der Wohnung, die Sonne scheint durch die Wände,
Und das Vögelchen singt über dem leinenen Dach;
Kriegerisch reiten wir aus, besteigen Schlesiens Höhen,
Schauen mit gierigem Blick vorwärts nach Böhmen hinein.
Aber es zeigt sich kein Feind – und keine Feindin; o bringe,
Wenn uns Mavors betrügt, bring uns, Cupido, den Krieg!

(* Mavors = römischer Kriegsgott, *Cupido – römischer Liebesgott)

Ob die Beschwörung des Liebesgottes Cupido im letzten Vers des Epigramms das Ergebnis einer neu geschlossenen Bekanntschaft zwischen Goethe und Henriette sei, kann man nur vermuten.

Im Jahre 1998 fand in Gorkau ein Treffen der Familie von Lüttwitz statt. Bei dieser Gelegenheit wurde ein in dem Park gefundener Stein mit dem Wappen der Familie rekonstruiert und auf dem neuen Friedhof gestellt.

Text und Fotos: Małgorzata Urlich-Kornacka

Quellen:

Colmar Grünhagen, Die Reichenbacher Abkunft und Goethe’s schlesische Reise. In: „Schlesische Zeitung.“ Nr. 265/268, Jahrgang 1892

Adalbert Hoffmann, Goethe in Breslau und Oberschlesien und seine Werbung um Henriette von Lüttwitz. Oppeln/Leipzig 1898

Karl von Holtei, Goethe in Breslau. Auszüge aus des Freiherrn von Schuckmann Briefen an Capellmeister Fr. Reichardt. In: „Westermanns Jahrbuch der Illustrirten Deutschen Monatshefte“ 17 (1864/5)

Freiherrn von Lüttwitz, Biographie des königl. Preuß. Staatsministers Freiherrn von Schuckmann. Leipzig 1835

Friedrich Zarncke, Goethes Notizbuch von der schlesischen Reise im Jahre 1790. In: „Goetheschriften“. Leipzig 1897