40 Jahre Arbeitskreis Archiv für schlesische Mundart in Baden-Württemberg

Gegründet und aufgebaut 1982 von Erle Bach, blickt der Arbeitskreis auf vier Jahrzehnte erfolgreiche Arbeit zurück

Ein Bericht des Arbeitskreisleiters Friedrich-Wilhelm Preuß von der Jubiläumstagung.

Der Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart in Baden-Württemberg“ hat in den vergangenen fast 40 Jahren immer wieder durch Tagungen, Referententätigkeiten, Arbeitsberichte unter dem Titel „Woas die Stoare pfeifa“ oder Berichte, gleich welcher Art auf sich aufmerksam gemacht. Heute soll einmal ein anderer Bericht erfolgen, der den Arbeitskreis als wichtigen Beitrag der schlesischen Kulturarbeit zeigen und dokumentieren soll, denn er darf auf seinen 40. Geburtstag zurückblicken.

Jubiläumstagung am 23. April 2022. Hintere Reihe v.l.n.r: Dr. Alois Burkert, Hartmut Knobloch, Marianne Preuß, Friedrich Wilhelm Preuß, Ullrich Junker, Erika Eberle, vorne: Livi Taraszczuk.
 

Wann genau die Idee dieses Arbeitskreises genau entstanden ist, ist nicht dokumentiert. Nachdem in anderen Bundesländern, wie z.B. Hamburg, Nordrhein-Westfalen oder Bayern aktive Mundart-Sprechergruppen bestanden, sollte so etwas auch in Baden-Württemberg entstehen, zumal die beliebte schlesische Schriftstellerin Erle Bach in den Landeskulturbeirat gewählt worden war.

Wir erinnern uns an das Jahr 1982, als Erle Bach als Mundartreferentin der Landsmannschaft Schlesien in Baden-Württemberg den Auftrag erhielt, einen solchen Kreis aufzubauen. Ihr Ziel war es aber nicht nur die schlesische Mundart zu sprechen, sondern sich auch um die schlesischen Mundarten und ihren Verfassern zu beschäftigen.

In fast allen schlesischen Heimatzeitungen las man fortan ihren Aufruf zur Mitarbeit und um Übersendungen von Mundartgedichten, Kurzgeschichten und Biographien von Heimatdichtern, die in ihren vertrauten Heimatdialekten schrieben. Die Mitglieder des Arbeitskreises aus Baden-Württemberg erhielten „Hausaufgaben“ in Form von „Heimatblättern durchzuarbeiten und unbekannten Mundartpoeten ausfindig zu machen“.

Der Erfolg war überwältigend. Aus allen Teilen Deutschlands erhielt Erle Bach und der Arbeitskreis Briefe, Gedichte, Kurzgeschichten und Biographien von Mundartschriftstellern zugesandt. Zu dieser Zeit wussten die Mitglieder des Arbeitskreises noch nicht, in welches „Wespennest“ sie gestoßen hatten. Die eingegangene Post musste fortan sortiert und nach Schriftstellern mit ihren Biographien geordnet werden. Bis der Arbeitskreis in Wangen sein festes Archiv erhielt, wurde das Gesammelte bei den jeweiligen Arbeitskreismitgliedern verwahrt. In der Allgäu-Stadt Wangen fand die dritte Tagung des Arbeitskreises und es entstand bis zum heutigen Tag eine fruchtbare Zusammenarbeit mit den jeweiligen Oberbürgermeistern, Dr. Jörg Leist und heute Michael Lang, sowie den entsprechenden Kulturamtsleitern Walter Sterk und Hermann Spang. Walter Sterk ist auch als „Un“-Ruheständler weiterhin sehr eng mit dem Mundartkreis verbunden. So wie die Stadt Wangen nach dem Krieg 1946 viele ostdeutsche Künstler, wie z.B. Friedrich Peter Hankowiak, Willibald Köhler, Ruth Storm, Hermann Stehr Wolfgang von Websky und viele andere aufgenommen hatte, so gab sie auch dem Arbeitskreis nach dem Gustav Freytag Archiv und dem Joseph von Eichendorff Archiv eine feste Bleibe in den Räumlichkeiten der Volkshochschule für ihre Tagungen und später die geeigneten Räume für ein Archiv.

Die Sammeltätigkeit des Kreises hat ihre Früchte getragen. Inzwischen sind von ihm die mundartlichen Lebenswerke von über 400 Frauen und Männer archiviert, die sich der schlesischen Mundart hingegeben hatten, auch wenn sie nie den Bekanntheitsgrad eines Ernst Schenke, Robert Rössler, Karl von Holtei, Robert Sabel usw. erreichten.

Leiter des Arbeitskreises, Friedrich-Wilhelm Preuß, und die Germanistin Izabela Taraszczuk. Im Rahmen der diesjährigen Tagung überreichte der Enkel des Grünbergers Heimatdichters Dr. Paul Petras, Wolfgang Scheuren, dem Mundart-Archiv eine Original-Sammlung Petras. Izabela Taraszczuk hielt im Rahmen der Wangener Jubiläumstagung einen Vortrag zum Lebenswerk Dr. Paul Petras.

Trotzdem war es eine lohnende Arbeit, die der Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart“ auf sich genommen hatte. Selbst der Tod der Arbeitskreisgründerin im Jahre 1996 konnte die Arbeit dieses Kulturkreises nicht stoppen. Wer in der großen Landschaft der Mundartpoeten kannte schon einen Johannes Tischer, der sich Oelsebach-Hannes nannte, oder einen Friedrich-Peter Hankowiak, eine Emmy Breiter oder die vielen anderen, die der Arbeitskreis bei seiner Suche gefunden hat. Lediglich die kleine Heimatgemeinde, aus dem diese Dichter stammten, kannten diese, erinnerten an ihre Gedichte oder Kurzgeschichten. Teilweise wurden diese sogar aus dem Gedächtnis heraus aufgeschrieben und archiviert. Selbst viele Gedichte, wo der Verfasser unbekannt geblieben ist, wanderten in das Wangener Archiv des Mundartkreises. Namentlich konnte der Arbeitskreis bis 2021 fast 600 Mundartautoren aus dem Schlesierland ermitteln. Heute nun findet man fast keine alten schlesischen Mundartschriftsteller mehr. Etwas, was wir aber früher nicht vermutet haben, ist dergestalt eingetreten, dass heutige Mundartschriftsteller sich an den Arbeitskreis wenden und ihre Gedichte und Kurzgeschichten der in der Diaspora geschriebenen Werke zur Verfügung stellen, damit auch diese archiviert werden können. Teilweise stellen sie dem Arbeitskreis bereits gedruckte Bücher zur Verfügung, andererseits Manuskripte ihrer Werke. Insofern trägt die Arbeit des Arbeitskreises weiterhin ihre Früchte, auch wenn die Arbeit beschwerlicher geworden ist, weitere Schriftsteller zu ergründen, es sei denn sie melden sich bei uns.

Anfang der neunziger Jahre stellte die Stadt Wangen im Allgäu dem Arbeitskreis Räumlichkeiten für das Archiv kostenfrei zur Verfügung. Damit honorierte die Stadt nicht nur die gute Arbeit des Mundartkreises, sondern fand auch Gefallen daran, dass der Arbeitskreis zweimal im Jahr mit seinen Mitgliedern zu Tagungen ins Allgäu kommt. Die vielen Mundartbücher aus Schlesien sowie die über 25 Ordner voller Akten haben dort einen würdigen Platz gefunden. Liebevoll wird der Arbeitskreis in Baden-Württemberg inzwischen „unsere Mundartforscher“ betitelt. Auch wenn unsere Archivräume inzwischen wieder einmal aus den Nähten zu platzen drohen, haben wir dort eine schöne Heimstätte vorgefunden.

Jubiläumsurkunde 40 Jahre Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart“.

Die Arbeit des Arbeitskreises fand nicht nur bei den Schlesiern in der Bundesrepublik ihre Anerkennung. Heimatfreunde aus Europa und sogar aus Übersee suchten mit Fragen hier Rat.

Ein Germanist von der Universität Seoul in Korea suchte Rat bei Verständnisfragen aus dem Hauptmann-Werk „Und Pippa tanz“ und es entstand ein reger Kontakt über das Internet. Ein enger Kontakt besteht mit der Universität Zielona Góra, früher Grünberg, von der mehrere Germanistikstudenten ihre Magister bzw. Doktorarbeiten mit Hilfe des Arbeitskreises zu ihren erfolgreichen Abschlüssen kamen. Gleiches wäre von Studenten aus Wrocław, früher Breslau, zu berichten. Insofern trägt der Arbeitskreis erheblich zur Verständigung der europäischen Völker bei. Doch selbst Auswanderer, inzwischen in Kanada, USA oder Australien beheimatet, suchen über den Arbeitskreis nach sprachlichen Erinnerungswurzeln ihrer Eltern oder Großeltern. In vielen dieser Anfragen konnte der Arbeitskreis eine erfolgreiche Hilfe sein.

Darüber hinaus hat der Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart“ viele alte Schlesier ausfindig machen können, die entweder auf Tonband oder auf Video ihre angestammte Heimatsprache vorgetragen haben. Diese Tonaufnahmen haben den Inhalt, den heimatlichen Klang der Muttersprache in der Diaspora fest zu halten und deren Veränderungen nach Jahren in fremder Umgebung festzustellen. Leider wird dieses Vorhaben immer schwerer zu dokumentieren, denn die „Alten“ sterben oder haben Angst vor den neuen Techniken zu sprechen. Ein Mikrophon verschlägt ihnen die Sprache. Nicht selten hörten unsere Mitarbeiter die Worte: „Schalten sie doas neumodsche Dings ob und merr loabern hinga har“, wenn sie ein Aufnahmegerät sahen.

Nach nunmehr 40-jähriger Arbeit werden die Mitarbeiter des Arbeitskreises nur noch selten bei der Suche nach alten schlesischen Mundartschriftstellern fündig. Hier spielt der Zufall eine große Rolle, wenn in alten Büchern aus einem Antiquariat oder einem Nachlass ein neuer unbekannter Name auftaucht. Findet man einen neuen Mundartpoeten, so sind persönliche Daten schwer festzustellen, da der Datenschutz bei möglichen Gemeinden und Städten, fehlende Anschriften von Hinterbliebenen als großes Hindernis auftauchen.

Anders ist es bei den neueren schlesischen Mundartschriftstellern. Der Arbeitskreis erfährt einen immer größer werdenden Bekanntheitsgrad und die neueren Generationen der schlesischen Mundartschriftsteller melden sich von sich aus beim Arbeitskreis und stellen ihre Werke zur Archivierung zur Verfügung. Dabei ist es keine Schwierigkeit auch entsprechende persönliche Daten, Bilder oder Lebensläufe für das in Wangen befindliche Archiv zu erhalten.

Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart“ im Jahre 2015.

Bei der Gründung des Arbeitskreises im Jahre 1982 konnte keiner der damaligen Gründungsmitglieder ahnen, welche Auswirkungen diese selbst gestellten Aufgaben einmal erfahren werden. Die damalige Weitsicht bezüglich der schlesischen Mundarten der beliebten schlesischen Schriftstellerin Erle Bach hat inzwischen fast alle Zweifler überzeugen können.

Mitglieder des Arbeitskreises werden zu Vorträgen vieler kultureller Vereinigungen eingeladen. Bekannte deutsche Schauspielhäuser holen sich bei uns Mundartberater für Werke von Gerhart Hauptmann, wenn diese auf den jeweiligen Spielplänen stehen. So haben z. B. Liselotte Weske und Konrad Werner an den großen Bühnen in Bern in der Schweiz, in Frankfurt und Jena den Schauspielern den mundartlichen Schliff gegeben. Auch der Norddeutsche Rundfunk holte Hilfe bei Friedrich-Wilhelm Preuß, als es um die schlesische Mundart für Hörspiele ging. Vervollständigt wird das Wirken des Arbeitskreises durch regelmäßige Tagungen in Wangen im Allgäu, wenn sich ihre Mitglieder aus der ganzen Republik auf eigene Kosten treffen.

Grafik für das Jubiläumsglas „40 Jahre Arbeitskreis „Archiv für schlesische Mundart“.

Einige Ereignisse, die vom Arbeitskreis organisiert und durchgeführt wurden, oder wo die Mitglieder des Arbeitskreises aktiv mitwirkten, sollen nicht unerwähnt bleiben. So wurden zweimal szenische Lesungen des Schauspiels „Haus am Hügel“ von Ruth Storm, einmal sogar mit der Schriftstellerin selbst, in Wangen aufgeführt, Mundartnachmittage in Efringen-Kirchen, oder Wangen wären zu erwähnen. Drei Tagungen in und um Görlitz nach der Wende, wobei die „Mundartschnuppertagung“ 1993 in Görlitz von großer Bedeutung war und der Arbeitskreis mit einer Lesung von Kurt Junge, Erle Bach und Friedrich-Wilhelm Preuß in der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften vor einem überfüllten Saal unter Beisein des Oberbürgermeisters glänzten. Regelmäßige Tagungen der Stiftung Schlesien bestückten Referenten des Arbeitskreises und dürfen sich rühmen, an einer der ersten deutschsprachigen Seminare in Jagniątków (Agnetendorf) auf der Bismarckhöhe vor polnischen Germanisten aktiv teilgenommen zu haben. Weiter Seminare z. B. in Wałbrzych (Waldenburg), Jena, Weimar oder Nienburg folgten für die Referenten des Arbeitskreises. Auch für den Wangener Kreis „Der Osten“ e.V. im Gerhart Hauptmann-Haus Wiesenstein in Agnetendorf war der Arbeitskreis mit einer szenischen Lesung unter dem Motto „Das schlesische im Werke von Gerhart Hauptmann“ aktiv. Ausstellungen, wie z. B. in Nienburg/Weser, Stuttgart, Wangen oder Efringen-Kirchen geben nur einen kleinen Ausschnitt der Arbeiten des Arbeitskreises wieder.

Das Jubiläumsglas wurde in der Huta Julia in Piechowice (Petersdorf) in Niederschlesien hergestellt.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen die Gedenktafeln, die der Arbeitskreis in die Wege geleitet hatte. So konnte der Arbeitskreis zum Beispiel zum 100. Geburtstag von Ernst Schenke im Mai 1996 eine Gedenktafel des dort geborenen Mundartdichters am Rathaus von Niemcza (Nimptsch) mit einer Gedenkfeier anbringen. Auch den Grabstein von Erle Bach nach Auflösung ihrer Grabstelle in Erfringen-Kirchen fand eine gebührende Gedenkstätte neben dem Familienstammsitz an der Erlebach-Baude am Spindler-Pass, um nur einige zu nennen.

Nach dem Tod der Arbeitskreisgründerin Erle Bach im Jahre 1996 lebt der Arbeitskreis unter der Führung von Friedrich-Wilhelm Preuß, der zuvor schon Jahre an ihrer Seite wirkte, erfolgreich weiter und leistete in seinen nunmehr 40 Jahren einen großen Beitrag zur Kulturarbeit der früheren deutschen Provinz Schlesien, der Bundeslandsmannschaft Schlesien, sowie in der Landsmannschaft Schlesien Baden-Württemberg und darüber hinaus.

Text und Bilder: Friedrich-Wilhelm Preuß

Kontakt:

Friedrich-Wilhelm Preuß
Eichenweg 12
25365 Sparrieshoop
Tel.: 04121-91854
Mail: friwi.preuss@t-online.de