Als Polen wieder auf der Landkarte erschien

Ein Bericht von Stefan P. Teppert, M. A.

Oberschlesien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg war das Thema der Tagung des historisch-politischen Arbeitskreises des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e. V.

Der historisch-politische Arbeitskreis des Heimatwerkes Schlesischer Katholiken e. V. veranstaltete am 25./26. Juni 2022 im Erbacher Hof in Mainz eine Tagung über Oberschlesien in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Vorstandsvorsitzender Dr. Bernhard Jungnitz begrüßte Referenten und Teilnehmer und erläuterte das Programm der Tagung.

Prof. Dr. Rainer Bendel, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft katholischer Vertriebenenorganisationen (AKVO) in Stuttgart, hatte die Tagung zusammen mit dem Heimatwerk organisiert, führte in das Thema ein und moderierte das weitere Programm. Bendel wies darauf hin, dass die Tagung bereits 2021 stattfinden sollte, 100 Jahre nach der Volksabstimmung, jedoch durch die Corona-Pandemie verschoben werden musste. Weitere Motive, sie nunmehr nachzuholen, seien Ähnlichkeiten in gegenwärtigen Situationen, bei denen ebenfalls umstrittene Gebiete, Propagandaschlachten und die Frage nach der Rolle der Kirche eine Rolle spielen, sowie neue Quellen, die zur Erforschung der Thematik beitragen können.

Die 1978 in Oberschlesien geborene Historikerin Dr. Evelyne Adenauer arbeitete heraus, dass gegenüber der oberschlesischen Frage in der Abstimmungszeit 1919 bis 1921 eine leidenschaftliche Politisierung nicht nur das oberschlesische Abstimmungsgebiet im Allgemeinen erfasst hatte, sondern auch die katholische Kirche, sodass diese mit ihren Protagonisten, Klerikern und Laien, zum Spiegelbild der Gesellschaft wurde, obwohl der Breslauer Erzbischof  Bertram sich nachdrücklich aus allem Politischen herausgehalten, offiziell die volle Unparteilichkeit gewahrt und zu verhindern gesucht habe, dass die Kanzel zu politischer Agitation missbraucht wurde. Nichts war also schwieriger, so Adenauer resümierend, als neutral und fern jeder Politik zu bleiben, oder besser gesagt, seine neutrale Haltung nicht politisch interpretiert zu sehen.

Der Rechtshistoriker Prof. Dr. hab. Damian Szymczak von der Universität Posen referierte über die Entwicklungen vom Ende des Ersten Weltkriegs bis hin zur Ratifizierung des Versailler Friedensvertrags und seiner Umsetzung durch die Schaffung von mehr als zehn neuen Nationalstaaten in Europa mit den dafür notwendigen Grenzziehungen, darunter Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei, die sich durch den Zerfall der monarchischen Reiche bilden konnten. Er skizzierte auch die Rezeption bei den betroffenen Nationen, mit Fokus auf das entstehende Polen und stellte seine Protagonisten, Gremien und Gruppierungen vor, die entsprechende Entwicklungen anstießen und voranbrachten. Darüber hinaus beleuchtete Szymczak die rechtlichen Hintergründe des Versailler Friedensvertrags, die er mit historischen Bildern und Karten veranschaulichte.

Der Vortrag von Dr. Maik Schmerbauch von der Universität Hildesheim wurde krankheitshalber online überspielt. Schmerbauch befasste sich mit der Seelsorge für die deutschen Katholiken in der polnischen Diözese Kattowitz, die nach der am 20. Oktober 1921 vom Völkerbund beschlossenen Abtretung Ostoberschlesiens an Polen entstanden war und nun zur polnischen Wojewodschaft Schlesien gehörte. Am 5. November 1922 wurde der Salesianerpater Augustin Hlond als Administrator, ab 1925 als Erzbischof eingesetzt. Für die rund 150.000 deutschen Katholiken in Ostoberschlesien, war die Abtrennung eine Katastrophe. Obgleich viele von ihnen in den Folgejahren auswanderten, sei dennoch das Zusammenleben nicht unmöglich gewesen. Besonders durch Hlonds Gründung des „Sonntagsboten“ hätten sie ihr kirchliches Leben normal weiterführen können.

Prof. Dr. hab. Ryszard Kaczmarek, Leiter des Lehrstuhls für Archivistik und Geschichte Schlesiens an der Universität Katowice, behandelte die drei bewaffneten polnischen Aufstände im zu Deutschland gehörenden Oberschlesien 1919 bis 1921. Erklärtes Ziel der Aufständischen war es, Oberschlesien an das neugegründete Polen anzuschließen. Kaczmarek konzentrierte sich auf vier Fragen: inwieweit es bei allen drei Aufständen lokale und spontan gebildete Formationen waren oder ihre Aufstellung, Ausrüstung und ihr Handeln auf Initiative des polnischen oder deutschen Staates zurückging; wie stark die Einheiten auf beiden Seiten waren; wie die Kampfhandlungen jeweils verliefen; welche Parallelen es auf beiden Seite gab. Obwohl die militärisch erstarkenden Aufstände scheiterten, konnte ihr Organisator Korfanty den 1921 in Paris unterzeichneten Teilungsvorschlag als eigenen Erfolg feiern.

Nach dem Besuch der Heiligen Messe im Mainzer Dom konnten die Tagungsteilnehmer am Sonntag im Erbacher Hof zwei weitere Vorträge hören.

Der Historiker und Politikwissenschaftler Marius Urbanik M. A. aus Kassel nahm die Berichterstattung der liberalen deutschen Presse über die oberschlesische Abstimmungszeit unter die Lupe und stellte sein Fazit vor. Während der ersten beiden Aufstände hätten zumeist noch Sachlichkeit dominiert, vor dem anstehenden Plebiszit sei aber ein spürbarer Umschwung in der Wahrnehmung zu registrieren. Abgesehen von einzelnen Versuchen, die gegnerische Perspektive zu beleuchtet und auf die soziokulturellen Grundprobleme eines Referendums hinzuweisen, neigten die Tagesblätter angesichts der Bedeutung des Industriegebietes sowie der Empathie mit der dort lebenden und darbenden deutschen Bevölkerung zu äußerst diffamierenden und polarisierenden Kommentaren. Statt die Vorgänge in Oberschlesien zu klären, hätten sie zur Verschärfung des Konflikts beigetragen.

Der aus Oberschlesien stammende und in Regensburg lehrende Historiker Dr. Roman Smolorz wertete vatikanische Quellen aus, um die Situation in Oberschlesien nach dem Ersten Weltkrieg zu betrachten. Eingangs relativierte er den Begriff Vatikan, opportuner sei es, vom Heiligen Stuhl zu sprechen, weil der moderne Vatikan erst 1929 als souveräner Staat festgeschrieben wurde. Der Heilige Stuhl bestand aber mit seinen Netzwerken und dem politischen Katholizismus unangefochten fort. Der Referent fasste zusammen, es habe im Interesse des Hl. Stuhls gelegen, in Oberschlesien schnelle Entscheidungen herbeizuführen, um die für die katholische Kirche schädliche nationalistische Fehde auf beiden Seiten zu beenden. Denn die ideologische Auseinandersetzung, die dem Hl. Stuhl ins Haus stand, sei nicht im Nationalismus, sondern weltpolitisch betrachtet im Kommunismus begründet.

Von Links: Dr. Bernhard Jungnitz, Prof. Dr. hab. Damian Szymczak, Dr. Evelyne Adenauer, Marius Urbanik M. A., Prof. Dr. Rainer Bendel, Prof. Dr. hab. Ryszard Kaczmarek, Dr. Roman Smolorz.

Text: Stefan P. Teppert