Ein Glatzer Haus erzählt Geschichten

Werner Schmack erzählt von seinem Haus in Glatz, dem heutigen Kłodzko

Nach dem Zweiten Weltkrieg ging mit der niederschlesischen Heimat auch das Haus verloren. 

Es ist das schönste der Jugendstilhäuser in Glatz/Kłodzko, das Werner Schmack vorm Zweiten Weltkrieg mit seiner Familie bewohnt hat. Er erinnert sich – auch daran, dass auf dem Zuhause aus Kindertagen ein Schatten liegt.

Werner Schmack lebt heute im nordrhein-westfälischen Minden. Aufgewachsen ist er aber in Glatz, Niederschlesien. Der 86-Jährige, groß und schlank mit Brille und silbernem Haar, ist in die alte Heimat gekommen, mit ihm seine Frau. Schließlich ist es viel schöner, solche Momente mit Menschen, die uns nahe sind, zu teilen. Gemeinsam stehen sie vor dem Haus, das einmal der Familie gehörte. Damals wie heute eine Perle der Jugendstil-Architektur. Beeindruckend die Stuck-Fassade mit Motiven aus der Pflanzen- und Tierwelt, die farbigen Fenster und Türen. Auch das historische Treppenhaus ist noch erhalten. „Es ist wohl das schönste Jugendstil-Haus der Stadt und kann mit vielen ähnlichen Bauten in Deutschland und Österreich durchaus mithalten“, schwärmt Werner Schmack.

Das wohl schönste Jugendstilhaus in Glatz.

Die frohen Zeiten

Einen frischen Anstrich hätte das Gebäude, in dem sich jetzt eine Schule, ein Solarium und mehrere Privatwohnungen befinden, trotzdem nötig. Von der Renovierung des Daches ganz zu schweigen, das fällt an einer Stelle bereits in sich zusammen. „Das macht mich natürlich traurig“, sagt Werner Schmack. In dem Haus stecken immerhin viele Erinnerungen. „Die Kindheit war sehr schön. Wir waren sechs Geschwister. Man nannte uns Schmack-Bande. Wir waren eine große Familie und es war ein großes Haus“, erzählt Werner Schmack und es macht den Eindruck, er hat es noch ganz genau vor Augen. „Wir hatten immer zu zweit ein Zimmer. Meine Eltern hatten große Salons, wir hatten ein großes Esszimmer, ein großes Herrenzimmer. Mein Vater hatte sogar in zwei Räumen seine Augenarzt-Praxis untergebracht.“ Beschäftigt war eine Hausangestellte, die im Zuge der Vertreibung zusammen mit Familie Schmack in den Westen gegangen ist und die Kinder weiterhin betreut hat. „Sie gehörte zur Familie. Leider ist sie sehr jung gestorben.“

In Werner Schmacks Familie hatten die Männer einen besonderen Zeitvertreib, der heute wohl etwas aus der Zeit gefallen scheint: „Mein Vater war Jäger. Er war sehr stolz, als er bei uns in der großen Diele seinen Hirschen aufhängen durfte, den er am Königsheiner Spitzberg geschossen hat. Das war seine Trophäe.“ Werner Schmack hat den Vater sehr bewundert und die Liebe zur Jagd mit ihm geteilt. Eine Anekdote amüsiert ihn bis heute und er erzählt sie besonders gern: „Als wir vertrieben wurden, hat mein Vater seine ganzen Jagdgewehre in Wachstuch eingewickelt und hat sie in die Lüftungsschächte oben hineingesteckt. Irgendwann haben die Polen, weil die Gasheizung nicht funktionierte, einen Ofen angebaut. Dann haben sie festgestellt, dass der Ofen nicht zieht. Schließlich haben sie unsere Jagdwaffen gefunden.“ Er lacht.

Die schweren Zeiten

Doch mit dem Haus verbindet Werner Schmack nicht nur schöne Erinnerungen. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges flüchtet die Familie in Richtung tschechischer Grenze. Als der Krieg vorbei ist, kehrt sie im Sommer 1945 nach Glatz zurück. In ihr Haus dürfen die Schmacks aber nicht – hier sitzt jetzt die sowjetische Staatssicherheit. „Und dann begann eine schreckliche Zeit in dem Haus. Es wurde zu einem Gefängnis, in dem viele Menschen schwer gelitten haben.“

Werner Schmack geht einige Schritte und betritt mit seiner Frau den Hinterhof. Er entdeckt die rostigen Stäbe vor den Kellerfenstern, die noch immer von dieser Zeit zeugen – sie geben ein verstörendes Bild ab. Wie ein Zeichen von oben schickt der Himmel plötzlich Regen auf die Erde, erst nur ein bisschen, dann einen richtigen Schauer. Werner Schmack und seine Frau suchen Schutz unter dem Regenschirm. Leise schauen sie sich um. Ihre Blicke streifen die Blicke der Hausbewohner, die neugierig den Kopf aus dem Fenster strecken, dann die ausrangierten Möbel an der Ecke, die überfüllten Mülltonnen.

Werner Schmack blickt über die Schulter und zeigt auf das Gelände hinter sich, wo gerade einige Autos parken. „An dieser Stelle sind Hunderte Menschen begraben worden, die in dem Haus gestorben sind.“

Die Toten seien mittlerweile exhumiert worden, erzählt er. Ihnen zu Ehren ist am Nachbarhaus eine Gedenkplatte aufgestellt worden – am Nachbarhaus, um dem eigentlichen Tatort ein Stück Frieden zurück zu geben. Was für Werner Schmack sehr wichtig ist: „Die Gedenkplatte ist nicht nur für die toten Deutschen. Das Staatssicherheitsgefängnis hat später vielen Polen die Freiheit und das Leben genommen. Ihnen allen zu Ehren ist dieses Denkmal errichtet worden.“

Die Versöhnung

Als der Krieg zu Ende war und die Staatssicherheit den Schmacks das Haus weggenommen hatte, und als in Glatz fast keine Deutschen mehr lebten, hatte die Familie keine Hoffnung mehr, dass sie das Haus wiederbekommen würde.

Doch die Fügung meint es gut mit ihnen. In Minden gelingt es den Eltern und Kindern, wieder Fuß zu fassen. Der Vater praktiziert als Augenarzt und ist auch in der Berufswahl seinem Sohn ein Vorbild. „Auch nach dem Krieg hatten wir ein schönes Leben“, sagt Werner Schmack, er hat bewusst die Entscheidung getroffen, aus der Opferrolle heraus zu treten. „Versöhnlich ist, dass wir heute über diese Ereignisse offen sprechen. In aller Freundschaft und in Frieden mit dieser Stadt und mit denen, die uns damals das Haus genommen haben. Wir haben uns in den vielen Jahren miteinander versöhnt.“

Ehepaar Schmack besucht Glatz.

Text und Fotos: Marie Baumgarten

Hinweis: Die deutsche Minderheit in Glatz hat sich dem Erhalt des deutschen Erbes der Stadt verschrieben. Die Mitglieder des Vereins zum Erhalt des deutschen Erbes versammeln sich regelmäßig im Vereinssitz. Interessierte und Unterstützer sind herzlich willkommen.

Mehr Informationen sowie Kontaktdaten sind im Internet zu finden unter:

www.grafschaft-glatz.de