Das fünfgeteilte Schlesien

Verwirrung um die Grenzen und Namen der polnischen Verwaltungsbezirke

Seit 1999 gibt es in Polen 16 Woiwodschaften. Ihre Grenzen und Namen entsprechen nicht immer den historischen Regionen.

Im Zuge der Verwaltungsreform von 1999 entstanden in Polen 16 anstatt bis dahin 49 Woiwodschaften. Laut dem ursprünglichen Plan hätten ihre Grenzen und Namen den historischen Regionen entsprechen sollen. Doch nicht in allen Fällen gelang das.

Woiwodschaften in Polen nach der Verwaltungsreform von 1999. Quelle: Odder, Übersetzung: Palisadenhonko, Wikimedia Commons.

Zu den positiven Beispielen gehört die Woiwodschaft Niederschlesien. Sie setzt sich fast ausschließlich aus Gebieten zusammen, die tatsächlich als Schlesien betrachtet werden. Nicht so eindeutig verhält es sich hingegen bei der von Kattowitz (Katowice) aus verwalteten Woiwodschaft Schlesien. Denn anders als ihr Name suggeriert, besteht sie nur zu knapp 50 Prozent aus schlesischen Gebieten. Den Rest bilden der kleinpolnische Kreis Saybusch (Żywiec), das Dombrowaer Kohlerevier (Zagłębie Dąbrowskie) und das Tschenstochauer Land. Wohl nicht ganz ohne Grund vermuteten viele Oberschlesier, dass Warschau mit der Bildung dieses Mischbezirks den unter einem Teil der einheimischen Bevölkerung starken Wunsch nach Autonomie abschwächen wollte.

Wappen der Woiwodschaft Schlesien. Quelle: Wikimedia Commons.

Kontroversen erweckt zudem bis heute der Name dieser Woiwodschaft, da sie eigentlich „Oberschlesien“ hätte heißen müssen. Grund für die fehlende Konsequenz bei der Namensgebung ist die historische polnische Perspektive. Zwar gibt es im polnischen Sprachgebrauch den präzisierenden Begriff „Oberschlesien“ (Górny Śląsk), doch die ostschlesischen, also oberschlesischen Gebiete werden gewöhnlich einfach als Schlesien bezeichnet. Wohlgemerkt nennen sich alteingesessene, slawischsprachige Einwohner der Region in der Regel auch nicht „Oberschlesier“, sondern „Schlesier“ (Ślůnzoki). Folglich kann es in diesem Zusammenhang zu Missverständnissen zwischen deutschen und polnischen Muttersprachlern kommen, denn was die ersteren als Schlesien bezeichnen, das nennen die letzteren generell Niederschlesien. Und wenn der Pole von Schlesien spricht, denkt er hingegen entweder an Oberschlesien oder an die gesamte nieder- und oberschlesische Region. Übrigens hieß auch der bereits 1922 an Polen angeschlossene östliche Teil Oberschlesiens 1922 offiziell „Woiwodschaft Schlesien“.

Wappen der Woiwodschaft Niederschlesien. Quelle: Wikimedia Commons.

Als es nicht kompliziert genug wäre, befindet sich zwischen den Woiwodschaften Niederschlesien und Schlesien ein Verwaltungsbezirk, dessen Name von dessen Hauptstadt und nicht von der Region abgeleitet wurde. Die Woiwodschaft Oppeln, die mehrheitlich aus west- und mitteloberschlesischen Gebieten besteht, hätte nach dem ursprünglichen Plan 1999 aufgelöst und zwischen die Bezirke Niederschlesien und Schlesien aufgeteilt werden sollen. Nach vielen Protesten, an denen auch die deutsche Minderheit beteiligt war, konnte sie jedoch ihre Selbständigkeit behaupten. Da Schlesien in ihrem Namen ausbleibt, wird die Woiwodschaft oft einfach als Oppelner Land (poln. Opolszczyna) bezeichnet – ein Neologismus, den mancher Oberschlesier ungern hört.

Wappen der Woiwodschaft Oppeln. Quelle: Wikimedia Commons.

Ein Fall für sich ist überdies die Woiwodschaft Lebuser Land mit den Verwaltungssitzen Grünberg (Zielona Góra) und Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski). 1990 kommentierten polnische Medien mit Besorgnis die Nachricht, dass eines der neuen Bundesländer angeblich Sachsen-Schlesien heißen sollte. Es sei ein Ausdruck des deutschen Revanchismus, hieß es, denn Schlesien gehöre doch zu Polen. Was man den Deutschen damals übelgenommen hatte, das tat man in einem gewissen Sinne neun Jahre später selbst. Denn die Bezeichnung „Lebuser Land“ bezieht sich doch auf eine Stadt, die in den Grenzen der Bundesrepublik liegt. Mit etwas Humor könnte man sagen, in Deutschland hätte das als Ausdruck polnischer Gebietsansprüche verstanden werden können. Mit dem Territorium, das heute den Namen „Lebuser Land“ trägt, hatte man in Polen seit Langem seine Schwierigkeiten, weil diese Woiwodschaft (und auch ihre Vorgänger) aus Teilen der brandenburgischen Neumark, der Niederlausitz, Schlesiens und Großpolens besteht. Der Terminus „Lebuser Land“ war zwar schon im Mittelalter bekannt, doch erst nach der Westverschiebung Polens 1945 ging er in den allgemeinen Sprachgebrauch ein.

Wappen der Woiwodschaft Lebuser Land. Quelle: Wikimedia Commons.

Das historische Schlesien innerhalb Polens ist seit der Verwaltungsreform von 1999 fünfgeteilt. Denn außer den Woiwodschaften Schlesien, Oppeln, Niederschlesien und Lebuser Land umfasst auch die von Posen (Poznań) aus regierte Woiwodschaft Großpolen einen Teil Schlesiens. Es handelt sich dabei um das 1920 kraft des Versaillers Vertrags von Deutschland losgelöste und an Polen angeschlossene Reichthaler Ländchen.

Text: Dawid Smolorz